Triest

[232] Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemerkungen meiner Freunde durchaus keine merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In Prewald wohnte ich bei den drei Schwestern, die, wenn ich mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirtschaft, und ich befand mich bei ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und behandelten mich, wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bei den Östreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bei den Mädchen gar gemächlich in Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war ein noch ganz hübsches Stückchen Erbsünde und hätte wohl einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern können. Die erste Bekanntschaft mit den drei Personagen – ich nennte sie gerne Grazien, wenn ich nicht historisch zu gewissenhaft wäre – machte ich drollig genug in der Küche, wo sie sich alle drei auf Stühlen oben auf dem großen Herde um ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, daß alle drei aus vollem Halse lachten. Das war nun ein Jargon, Deutsch, Italienisch und Krainisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, wie Du denken kannst, und ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich mich so nahe als möglich, um von dem[232] Feuer, wenn auch nicht der Unterhaltung, doch des Herds, meinen Anteil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir, belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein italienisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchslatein. Da es hier darauf ankam, so kannst Du glauben, daß ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den Filz machte, und der Mann faßte bald eine gar gewaltige Affektion zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus dem Griechischen anführte, die er nur halb verstand. Nun empfahl er mich den schönen Wirtinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die Ehre, ihn zum Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zuviel Respekt bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. Natürlich erhielt er durch das Lob, das er mir zukommen ließ, selbst im Hause ein neues Relief; wer den andern so laut und gründlich beurteilt, muß ihn durchaus übersehen können.

Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen, nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen ziemlich früh fortgewollt hätte, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und ließ die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen aufstand und fortwollte, fand ich in dem ganzen, großen, nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die Türen waren nur von innen verriegelt und also für mich offen, aber wenn ich auch Schuft genug wäre, so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht mißbrauchen.[233]

Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige Male über den Saal weg, niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer, das nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hübsche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich freundlich, daß noch niemand wach sei. Weiß der Himmel, ob ich armes Menschenkind nicht in große Verlegenheit würde geraten sein, wenn sie nicht eben um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Mantel gab mir sogleich eine gehörige Dose Stoizismus; ich bezahlte meine Rechnung und wollte zum Tempel hinaus.

Du mußt wissen, daß ich entweder gar nicht frühstücke oder erst, wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich, wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte ich mirs nun durchaus zum Gesetz, meine Rechnung allemal den Abend vorher zu bezahlen, damit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein, der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine, die ich ohne Wasser trank, welche Ehre zum Beispiel nicht einmal dem Burgunder wiederfährt. Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste Wirtshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein anderes, besseres finden. Es fand sich[234] keins, ich war zu faul, zu dem ersten zurückzugehen, ging also vorwärts; und nun war von Sessana bis an die Duane von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken, und es war kein Tropfen gutes Wasser zu finden, das war für einen durstigen Fußgänger das verdrießlichste. Wenn ich nicht noch zuweilen ein Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte hinüberschießen können. Von Schottwien bis Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee, bei Sessana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen, und hier diesseits des Berges am Meere schwitzt man schon. Es ist heute, am dreiundzwanzigsten Januar, so warm, daß überall Türen und Fenster offenstehen.

Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muß viel Vergnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt und fängt nun an, ein Amphitheater am Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl, um angenehm zu sein; und zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach und nur für kleine Fahrzeuge, die größern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Reede bleiben, die nicht ganz sicher zu sein scheint. Die See ist hier geduldig, und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hineinarbeitet und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für große Schiffe anfahrbar macht.[235]

An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Weingärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urteilen, und in meinem Gasthause gibt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist eng und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste wirklich gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem sogenannten großen Gasthofe, einem Hause von gewaltigem Umfange und dem nämlichen, worin Winkelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermordet wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und vielleicht ist es das nämliche Zimmer, in welchem das Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich vergessen.

Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in Triest den Sprachmeister für die Italiener deutsch und für die Deutschen italienisch macht. Die Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche, angenehme Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien nach Laibach, von Laibach nach Triest, überall in genialischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein hat ihm manchen Streich gespielt und ihn noch zuletzt genötigt, seine Stelle in Laibach aufzugeben, wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine mannigfaltigen, verflochtenen Schicksale ein gewisses barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht ohne Teilnahme läßt. Per varios casus, per tot discrimina rerum tendismus Tergestum, sagte er mir mit vieler Drollerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. Wir gingen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht finden. Niemand wußte etwas davon.[236]

Das Haus eines Griechen – wenn ich mich nicht irre, ist sein Name Garciatti – ist das beste in der Stadt und wirklich prächtig, ganz neu und in einem guten Stile gebaut. Eine ganz eigene, recht traurige Klage der Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen nur, daß ihnen der Himmel noch zehn Jahre einen so gedeihlichen Krieg bescheren möchte, dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabei haben die guten kaufmännischen Seelen gar nichts Arges; schlagt euch tot, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und türkischen Tücher! Das neue Schauspielhaus ist das beste, das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab man auf demselben Teodoro Re di Corsica, welches ein Lieblingsstück der Triester zu sein scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Partie Rialto in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich, wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet haben wollten. Man sang recht gut und durchaus besser als in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Tochter des Wirts und der Kammerherr des Theodor. Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleuten genommen, und ein Fremder muß sich auf ihre Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm sein mag. Die Herren haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit den Eingang; eine eigene Art des Geldstolzes! Der Patriotismus könnte wohl eine etwas humanere Art finden, die Kunst zu unterstützen. Der Fremde, der doch wohl zuweilen Ursache haben kann, im Publikum isoliert zu sein, ist sehr wenig dabei berücksichtigt worden. Hier hörte ich zuerst den betäubenden Lärm[237] in den italienischen Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu Rendesvous, zu Konversationen, zur Börse und wer weiß wozu sonst noch. Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens nicht viel Genuß haben; und die Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Etwas eigenes war mir im Hause, daß das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte mich hinwenden, wo ich wollte.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 232-238.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (insel taschenbuch)
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon