Messina

[426] In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen mit pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit Recht als eine große Wohltat gepriesen wurde. Nur schade, daß sie kein Wasser hatten! Die Hafenseite ist noch eine furchtbare Trümmer und doch der einzige nahe Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze muß gewesen sein; und ich glaube wirklich, die Messinesen haben Recht gehabt, wenn sie sagten, es sei in der Welt nicht so etwas Prächtiges mehr gesehen als ihre Fassade an dem Hafen, die sie deswegen nur vorzugsweise den Palast nannten und ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht gegeben zu haben: »Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem Fleiß in Jahrhunderten, und das kann ich in einem Momente!« Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits und diesseits wurde zerrüttet! – Nur die Heiligennischen an den Enden werden wieder aufgebaut und Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird[426] sehr lebhaft und sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekommen durchaus nicht mehr als zwei Stockwerke, um bei künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbarsten Erdbeben überall nur wenig gelitten.

Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem Bild Philipps des Zweiten gestanden und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mir deucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzüglichste Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft, so wie Agatha in Catanien den Berg nicht zähmt, so müssen freilich die Sünder gestraft werden. Ich hatte soeben Gelegenheit, eine große, feierliche Zeremonie ihr zu Ehren mit anzusehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daß die Palmen in Sizilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre possierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedralkirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt und führte dafür Beweise an, über die selbst der echteste, gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: »Credat Judaeus Apella!« Sodann[427] kam der Erzbischof in einem ungeheuern, alten, vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg aus und segnete das Volk, und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem Baue nichts Merkwürdiges als die Säulen, die aus dem alten Neptunustempel am Pharus sind. Der große, prächtige Altar war verhängt; er gilt in ganz Sizilien für ein Wunder der Arbeit und des Reichtums. Man machte mir Hoffnung, daß ich ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, daß mir die Sache so gleichgültig schien.

Man sagt, die Hafenseite liegt deswegen noch so ganz in Trümmern, weil die Regierung sie durchaus ebenso schön und ganz nach dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, die Bürger aber sie nur mit dem übrigen gleich, zwei Stock hoch, aufzuführen gesonnen seien. Mir deucht, das Ganze, ob ich es gleich von sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sei doch nur ein Gerücht; und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten, soliden Verstand der Bürger und die Unkunde und Marotte der Regierung. Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des Vierten, hat man noch 1792 mitten unter die Trümmer gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was die Leute bei der Aufstellung der Statue hier eben mögen gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier englische Fregatten, und es scheint, als ob die Briten über die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ihnen die Lage derselben vorkommen. Es sind schöne, herrliche Schiffe, und sooft ich etwas von der englischen Flotte gesehen habe, habe ich unwillkürlich den übermütigen[428] Insulanern ihr stolzes »Britania rule the waves« verziehen; ebenso wie dem Pariser Didot sein »Excudebam«, wenn ich die Arbeit selbst betrachte.

Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messini anzugreifen, aber zu Lande von Scaletta würde man so ziemlich gleich gegen gleich fechten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit, aber ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muß. Er begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin und wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirtshaus. Die Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an Freskogemälden und Marmorarbeit; aber was mir wichtiger ist als dieses, sie gibt von ihrer Fassade links und rechts die schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen, und mit einem guten Glase muß man hier sehen können, was gegenüber am Ufer in Italien und in Reggio auf den Gassen geschieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriziers der Stadt, steht als neuestes Altertum ein Stück von einer alten Säule mit Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, die Inschrift sei griechisch; aber niemand ist da, der sie erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so konnte ich doch nicht einmal herausbringen, ob es nur griechische Lettern wären. Vielleicht ist es altes phönizisches Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor haben sehr gelitten, da sie lange unter der Erde gelegen haben. Das Stück ist, soviel ich weiß, noch nicht bekannt und wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die gelehrter[429] sind als ich, da es doch vielleicht für irgendeinen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.

Die Herren des Klosters luden mich ein, zum Fasttage bei ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in Italien bei Italienern genossen habe; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu essen. Das ist nun so die italienische Weise, die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand nur aus wenigen Geistlichen, der Laienbrüder, welche die Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz und war sehr artig, und ich sollte daher wohl dankbar sein; aber erst für Humanität – magis amica veritas! Ich habe mir die Gerichte gemerkt und muß sie Dir nennen, damit Du siehst, wie man an einem sizilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem Kohlrabi; sodann kamen Maccaroni mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen, Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige große, herrliche, goldgelbe Fische aus der See, die ich für die beste Art von Barschen hielt; weiter hochgewürzte, vortreffliche Artischocken; das Dessert bestand aus Lattichsalat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Kastanien und Nüssen; alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität und schon einzeln quantum satis superque. Vor allem habe ich die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich Dich, heißt das nicht mit diesem Fasten einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bei dieser Diät muß man freilich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die frommen Gläubigen[430] blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag! Meine fußwandelnde Person war wohl nicht so wichtig, daß man deswegen eine Änderung in der Klosterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich oben in dem ausgebauten Kloster herum und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum Heile der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen, weiß ich nicht; die Herren zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkeiten. Hier las man mir ein Manuskript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der Stadt Messina enthielt, und das man sehr hoch schätzte; aber nach dem zu urteilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daß der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint bloß für Mönche pragmatisch. Die Festung zu sehen muß man Erlaubnis haben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sah, daß man mit zweitausend braven Grenadieren ohne Erlaubnis hineingehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Orte, wo ich in Sizilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts und vorzüglich in Agrigent und Syrakus war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist auch hier und in Palermo die einzige Promenade und für den Menschen, der Menschen studieren will, gewiß eine der wichtigsten, so bunt und kraus sind die Gestalten vieler Nationen durcheinander gruppiert! Schon in der Stadt selbst wohnt eine große Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schönsten Augenblicke[431] hatte ich gerstern abend, bei dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freudentränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem Mittelländischen Meer die Meerenge herab. Ich weiß nicht, ob es durch Sturm oder irgendeinen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und tat Notschüsse. Du hättest sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast übermenschliche Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeitete, um die Leidenden zu retten. Italiener, Franzosen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe; sie waren glücklich und brachten alles ohne Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich fast, daß ich nicht reich war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben; aber ein zweiter Augenblick gab mir Besinnung, das Fest war so schöner. Das brave bunte Gewimmel war mehr belohnt durch die Tat, und ich war sehr glücklich, daß ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, wurde ich an einer Heiligennische per la santa vergine um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann forschend an, und er fuhr fort: »Date nella vostra idea, date pure! sara bene impiegato.« Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn auch betrügen sollte; ich gab.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 426-432.
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