Erste Szene

[838] London. Eine Straße.


Trompeten. Der Prinz von Wales, Gloster, Buckingham, Kardinal Bourchier und andre.


BUCKINGHAM.

Willkommen, bester Prinz, in London, Eurer Kammer!

GLOSTER.

Willkommen, Vetter, meines Sinnes Fürst! –

Der Reis' Ermüdung macht' Euch melancholisch.

PRINZ.

Nein, Oheim; der Verdruß nur unterwegs

Hat sie mir schwer gemacht, langweilig, widrig.

Ich misse hier noch Onkel zum Empfang.

GLOSTER.

Mein Prinz, die reine Tugend Eurer Jahre

Ergründete noch nicht der Welt Betrug.

Ihr unterscheidet nichts an einem Mann

Als seinen äußern Schein; und der, weiß Gott,

Stimmt selten oder niemals mit dem Herzen.

Gefährlich sind die Onkel, die Ihr mißt:

Eu'r Hoheit lauschte ihren Honigworten

Und merkte nicht auf ihrer Herzen Gift.

Bewahr' Euch Gott vor solchen falschen Freunden!

PRINZ.

Vor falschen Freunden: ja! Sie waren keine.

GLOSTER.

Mein Fürst, der Schulz von London kommt zum Willkomm


Der Lord Mayor und sein Zug treten auf.


MAYOR.

Gott segn' Eu'r Hoheit mit beglückten Tagen!

PRINZ.

Ich dank' Euch, bester Lord, – und dank' euch allen.


Der Lord Mayor mit seinem Zuge ab.


Viel früher, dacht' ich, würde meine Mutter

Und Bruder York uns unterweges treffen. –[838]

Pfui, welche Schneck' ist Hastings! daß er uns

Nicht meldet, ob sie kommen oder nicht.


Hastings tritt auf.


BUCKINGHAM.

Soeben recht kommt der erhitzte Lord.

PRINZ.

Willkommen, Mylord! Nun, kommt unsre Mutter?

HASTINGS.

Auf welchen Anlaß, das weiß Gott, nicht ich,

Nahm Eure Mutter und Eu'r Bruder York

Zuflucht im Heiligtum. Der zarte Prinz

Hätt' Eure Hoheit gern mit mir begrüßt,

Doch seine Mutter hielt ihn mit Gewalt.

BUCKINGHAM.

Pfui! Welch verkehrtes, eigensinn'ges Tun

Ist dies von ihr? – Wollt Ihr, Lord Kardinal,

Die Königin bereden, seinem Bruder,

Dem Prinzen, gleich den Herzog York zu senden?

Verweigert sie's, – Lord Hastings, geht Ihr mit,

Entreißt ihn ihrem eifersücht'gen Arm!

KARDINAL.

Mylord, wenn meine schwache Redekunst

Der Mutter kann den Herzog abgewinnen,

Erwartet gleich ihn hier. Allein, ist sie verhärtet

Für milde Bitten, so verhüte Gott,

Daß wir das teure Vorrecht kränken sollten

Der heil'gen Zuflucht! Nicht um all dies Land

Wollt' ich so schwerer Sünde schuldig sein.

BUCKINGHAM.

Ihr seid zu sinnlos eigenwillig, Mylord,

Zu altherkömmlich und zu feierlich.

Erwägt es nach der Gröblichkeit der Welt:

Ihn greifen bricht die heil'ge Zuflucht nicht.

Derselben Gunst wird dem stets zugestanden;

Der durch sein Tun verdienet solchen Platz

Und Witz hat, zu begehren solchen Platz.

Der Prinz hat ihn begehrt nicht, noch verdient

Und kann so, wie mich dünket, ihn nicht haben.

Wenn Ihr von da ihn wegführt, der nicht da ist,

Brecht Ihr kein Vorrecht, keinen Freiheitsbrief.

Oft hört' ich schon von kirchenflücht'gen Männern;

Von kirchenflücht'gen Kindern nie bis jetzt.[839]

KARDINAL.

Mylord, Ihr sollt mich diesmal überstimmen. –

Wohlan, Lord Hastings, wollt Ihr mit mir gehn?

HASTINGS.

Ich gehe, Mylord.

PRINZ.

Betreibt dies, liebe Herrn, in aller Eil'


Der Kardinal und Hastings ab.


Sagt, Oheim Gloster, wenn mein Bruder kommt,

Wo sollen wir verbleiben bis zur Krönung?

GLOSTER.

Wo's gut dünkt Eurer fürstlichen Person.

Wenn ich Euch raten darf, belieb' Eu'r Hoheit,

Sich ein paar Tage auszuruhn im Turm;

Dann, wo Ihr wollt und es am besten scheint

Für Euer Wohlsein und Gemütsergötzung.

PRINZ.

Der Turm mißfällt mir wie kein Ort auf Erden. –

Hat Julius Cäsar ihn gebaut, Mylord?

GLOSTER.

Er hat, mein gnäd'ger Fürst, den Ort gestiftet,

Den dann die Folgezeiten neu erbaut.

PRINZ.

Hat man es schriftlich oder überliefert

Von Zeit auf Zeiten nur, daß er ihn baute?

BUCKINGHAM.

Schriftlich, mein gnäd'ger Fürst.

PRINZ.

Doch setzt, Mylord, es wär' nicht aufgezeichnet:

Mich dünkt, die Wahrheit sollte immer leben,

Als wär' sie aller Nachwelt ausgeteilt,

Bis auf den letzten Tag der Welt.

GLOSTER beiseit.

Klug allzubald, sagt man, wird nimmer alt.

PRINZ.

Was sagt Ihr, Oheim?

GLOSTER.

Ich sage, Ruhm wird ohne Schriften alt. –


Beiseit.


So, wie im Fastnachtspiel die Sündlichkeit,

Deut' ich zwei Meinungen aus einem Wort.

PRINZ.

Der Julius Cäsar war ein großer Mann:

Womit sein Mut begabte seinen Witz,

Das schrieb sein Witz, dem Mute Leben schaffend.

Der Tod besiegte diesen Sieger nicht,

Er lebt im Ruhm noch, obwohl nicht im Leben. –

Wollt Ihr was wissen, Vetter Buckingham?

BUCKINGHAM.

Was, mein gnäd'ger Fürst?

PRINZ.

Werd' ich ein Mann je, so gewinn' ich wieder[840]

In Frankreich unser altes Recht; wo nicht,

Sterb' ich als Krieger, wie ich lebt' als König.

GLOSTER beiseit.

Auf zeit'gen Frühling währt der Sommer wenig.


York, Hastings und der Kardinal treten auf.


BUCKINGHAM.

Da kommt zu rechter Zeit der Herzog York.

PRINZ.

Richard von York! – Wie lebt mein lieber Bruder?

YORK.

Gut, strenger Herr; so muß ich nun Euch nennen.

PRINZ.

Ja, Bruder, mir zum Grame, so wie Euch:

Er starb ja kaum, der diesen Titel führte,

Des Tod ihm viel an Majestät benahm.

GLOSTER.

Wie geht es unserm edlen Vetter York?

YORK.

Ich dank' Euch, lieber Oheim. Ha, Mylord,

Ihr sagtet, unnütz Kraut, das wachse schnell:

Der Prinz, mein Bruder, wuchs mir übern Kopf.

GLOSTER.

Jawohl, Mylord.

YORK.

Und ist er darum unnütz?

GLOSTER.

O bester Vetter, das möcht' ich nicht sagen.

YORK.

Dann ist er Euch ja mehr als ich verpflichtet.

GLOSTER.

Er hat mir zu befehlen als mein Fürst,

Doch Ihr habt Recht an mir als ein Verwandter.

YORK. Ich bitt' Euch, Oheim, gebt mir diesen Dolch.

GLOSTER.

Den Dolch, mein kleiner Vetter? Herzlich gern.

PRINZ.

Ein Bettler, Bruder?

YORK.

Beim guten Oheim, der gewiß mir gibt,

Und um 'ne Kleinigkeit, die man ohn' Arges gibt.

GLOSTER.

Wohl Größres will ich meinem Vetter geben.

YORK.

Wohl Größres? Oh, das ist das Schwert dazu.

GLOSTER.

Ja, lieber Vetter, wär's nur leicht genug.

YORK.

Dann seh' ich wohl, Ihr schenkt nur leichte Gaben;

Bei Dingen von Gewicht, sagt Ihr dem Bettler: Nein!

GLOSTER.

Es hat zu viel Gewicht für Euch zu tragen.

YORK.

Für mich hat's kein Gewicht, und wär's noch schwerer.

GLOSTER.

Wie? Wollt Ihr meine Waffen, kleiner Lord?

YORK.

Ja, und mein Dank soll sein, wie Ihr mich nennt.

GLOSTER.

Wie?

YORK.

Klein.[841]

PRINZ.

Mylord von York ist stets in Reden keck:

Oheim, Eu'r Gnaden weiß ihn zu ertragen.

YORK.

Ihr meint, zu tragen, nicht mich zu ertragen. –

Oheim, mein Bruder spottet mein und Euer;

Er denkt, weil ich nur klein bin wie ein Aff',

Ihr solltet mich auf Euren Schultern tragen.

BUCKINGHAM.

Mit welchem scharf versehnen Witz er redet!

Den Spott zu mildern wider seinen Oheim,

Verhöhnt er selbst sich artig und geschickt.

So schlau und noch so jung ist wunderbar.

GLOSTER.

Mein gnäd'ger Fürst, beliebt es Euch zu gehn?

Ich und mein guter Vetter Buckingham,

Wir woll'n zu Eurer Mutter und sie bitten,

Daß sie im Turm Euch trifft und Euch bewillkommt.

YORK.

Wie? Denkt Ihr in den Turm zu gehn, Mylord?

PRINZ.

Mylord Protektor will es so durchaus.

YORK.

Ich schlafe sicher nicht mit Ruh' im Turm.

GLOSTER.

Warum? Was könnt Ihr fürchten?

YORK.

Ei, meines Oheims Clarence zorn'gen Geist;

Großmutter sagt, er wurde da ermordet.

PRINZ.

Ich fürchte keinen toten Oheim.

GLOSTER.

Auch keine, hoff' ich, die am Leben sind.

PRINZ.

Sind sie's, so hab' ich nichts zu fürchten, hoff' ich.

Doch kommt, Mylord, und mit beklommnem Herzen,

Ihrer gedenkend, geh' ich in den Turm.


Der Prinz, York, Hastings, Kardinal und Gefolge ab.


BUCKINGHAM.

Glaubt Ihr, Mylord, den kleinen Schwätzer York

Nicht aufgereizt von seiner schlauen Mutter,

So schimpflich Euch zu necken und verspotten?

GLOSTER.

Gewiß, gewiß: oh, 's ist ein schlimmer Bursch!

Keck, rasch, verständig, altklug und geschickt;

Die Mutter ganz vom Wirbel bis zur Zeh'.

BUCKINGHAM.

Gut, laßt das sein. – Komm hieher, Catesby! Du schwurst,

So gründlich auszurichten unsre Zwecke,

Als heimlich zu bewahren unsre Winke;[842]

Du hörtest unsre Gründe unterwegs:

Was meinst du? Sollt' es nicht ein leichtes sein,

William Lord Hastings unsers Sinns zu machen

Für die Erhebung dieses edlen Herzogs

Auf dieser weltberühmten Insel Thron?

CATESBY.

Er liebt den Prinzen so des Vaters halb,

Er läßt zu nichts sich wider ihn gewinnen.

BUCKINGHAM.

Was denkst du denn vom Stanley? Läßt nicht der?

CATESBY.

Der wird in allem ganz wie Hastings tun.

BUCKINGHAM.

Nun wohl, nichts mehr als dies: geh, lieber Catesby,

Und wie von fern erforsche du Lord Hastings,

Wie er gesinnt ist gegen unsre Absicht;

Und lad' ihn ein auf morgen in den Turm,

Der Krönung wegen mit zu Rat zu sitzen.

Wenn du für uns geschmeidig ihn verspürst,

So munt'r ihn auf und sag' ihm unsre Gründe.

Doch ist er bleiern, frostig, kalt, unwillig,

So sei du's auch: brich das Gespräch so ab

Und gib uns Nachricht über seine Neigung.

Denn morgen halten wir besondern Rat,

Worin wir höchlich dich gebrauchen wollen.

GLOSTER.

Empfiehl mich dem Lord William: sag ihm, Catesby,

Daß seiner Todfeind alte Rotte morgen

In Pomfret-Schloß zur Ader wird gelassen;

Heiß' meinen Freund, für diese Neuigkeit

Frau Shore ein Küßchen mehr aus Freuden geben.

BUCKINGHAM.

Geh, guter Catesby, richt' es tüchtig aus!

CATESBY.

Ja, werte Lords, mit aller Achtsamkeit.

GLOSTER.

Wird man von Euch vor Schlafengehn noch hören?

CATESBY.

Gewiß, Mylord.

GLOSTER.

In Crosby-Hof, da findet Ihr uns beide.


Catesby ab.


BUCKINGHAM.

Nun, Mylord, was soll'n wir tun, wenn wir verspüren,

Daß Hastings unsern Planen sich nicht fügt?[843]

GLOSTER.

Den Kopf ihm abhaun, Freund: – was muß geschehn.

Und wenn ich König bin, dann fodre du

Die Grafschaft Hereford und alles fahrende Gut,

Was sonst der König, unser Bruder, hatte.

BUCKINGHAM.

Ich will mich auf Eu'r Hoheit Wort berufen.

GLOSTER.

Es soll dir freundlichst zugestanden werden.

Komm, speisen wir zu Abend, um hernach

In unsern Anschlag 'ne Gestalt zu bringen.


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 838-844.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard III.
Korol' richard 3 / Die Tragödie von König Richard III. / The Tragedy of King Richard the Third (in Russischer Sprache / Russisch / Russian / Buch / book / kniga)
König Richard III.
King Richard III / König Richard III. [Zweisprachig]
König Richard III.: Zweisprachige Ausgabe
Richard III / König Lear

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon