Zweite Szene

[108] Capulets Garten.


Romeo kommt.


ROMEO.

Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt.


Julia erscheint oben an einem Fenster.


Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?

Es ist der Ost, und Julia die Sonne! –

Geh auf, du holde Sonn'! Ertöte Lunen,

Die neidisch ist und schon vor Grame bleich,

Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.

Oh, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht!

Nur Toren gehn in ihrer blassen, kranken

Vestalentracht einher: wirf du sie ab![108]

Sie ist es, meine Göttin! meine Liebe!

O wüßte sie, daß sie es ist! –

Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?

Ihr Auge red't, ich will ihm Antwort geben. –

Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.

Ein Paar der schönsten Stern' am ganzen Himmel

Wird ausgesandt, und bittet Juliens Augen,

In ihren Kreisen unterdes zu funkeln.

Doch wären ihre Augen dort, die Sterne

In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz

Von ihren Wangen jene so beschämen,

Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' ihr Aug'

Aus luft'gen Höh'n sich nicht so hell ergießen,

Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?

Oh, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär' ich der Handschuh doch auf dieser Hand,

Und küßte diese Wange!

JULIA.

Weh mir!

ROMEO.

Horch!

Sie spricht! Oh, sprich noch einmal, holder Engel!

Denn über meinem Haupt erscheinest du

Der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote

Des Himmels dem erstaunten, über sich

Gekehrten Aug' der Menschensöhne, die

Sich rücklings werfen, um ihm nachzuschaun,

Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken

Und auf der Luft gewölbtem Busen schwebt.

JULIA.

O Romeo! warum denn Romeo?

Verleugne deinen Vater, deinen Namen!

Willst du das nicht, schwör' dich zu meinem Liebsten,

Und ich bin länger keine Capulet!

ROMEO für sich.

Hör' ich noch länger, oder soll ich reden?

JULIA.

Dein Nam' ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,

Und wärst du auch kein Montague. Was ist

Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,

Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil.

Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,

Wie es auch hieße, würde lieblich duften;[109]

So Romeo, wenn er auch anders hieße,

Er würde doch den köstlichen Gehalt

Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.

O Romeo, leg' deinen Namen ab,

Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,

Nimm meines ganz!

ROMEO indem er näher hinzutritt.

Ich nehme dich beim Wort.

Nenn' Liebster mich, so bin ich neu getauft,

Ich will hinfort nicht Romeo mehr sein.

JULIA.

Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt,

Dich drängst in meines Herzens Rat?

ROMEO.

Mit Namen

Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.

Mein eigner Name, teure Heil'ge, wird,

Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt.

Hätt' ich ihn schriftlich, so zerriss' ich ihn.

JULIA.

Mein Ohr trank keine hundert Worte noch

Von diesen Lippen, doch es kennt den Ton.

Bist du nicht Romeo, ein Montague?

ROMEO.

Nein, Holde; keines, wenn dir eins mißfällt.

JULIA.

Wie kamst du her? o sag mir, und warum?

Die Gartenmau'r ist hoch, schwer zu erklimmen;

Die Stätt' ist Tod, bedenk' nur, wer du bist,

Wenn einer meiner Vettern dich hier findet.

ROMEO.

Der Liebe leichte Schwingen trugen mich;

Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;

Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann:

Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.

JULIA.

Wenn sie dich sehn, sie werden dich ermorden.

ROMEO.

Ach, deine Augen drohn mir mehr Gefahr

Als zwanzig ihrer Schwerter; blick' du freundlich,

So bin ich gegen ihren Haß gestählt.

JULIA.

Ich wollt' um alles nicht, daß sie dich sähn.

ROMEO.

Vor ihnen hüllt mich Nacht in ihren Mantel.

Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden:

Durch ihren Haß zu sterben wär' mir besser,

Als ohne deine Liebe Lebensfrist.

JULIA.

Wer zeigte dir den Weg zu diesem Ort?[110]

ROMEO.

Die Liebe, die zuerst mich forschen hieß.

Sie lieh mir Rat, ich lieh ihr meine Augen.

Ich bin kein Steuermann; doch wärst du fern

Wie Ufer, von dem fernsten Meer bespült,

Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.

JULIA.

Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,

Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen

Um das, was du vorhin mich sagen hörtest.

Gern hielt' ich streng auf Sitte, möchte gern

Verleugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit!

Sag, liebst du mich? Ich weiß, du wirst's bejahn,

Und will dem Worte traun; doch wenn du schwörst,

So kannst du treulos werden; wie sie sagen,

Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.

O holder Romeo! wenn du mich liebst:

Sag's ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sei

Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken,

Will widerspenstig sein, und nein dir sagen,

So du dann werben willst: sonst nicht um alles!

Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich;

Du könntest denken, ich sei leichten Sinns.

Doch glaube, Mann, ich werde treuer sein

Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.

Auch ich, bekenn' ich, hätte fremd getan,

Wär' ich von dir, eh' ich's gewahrte, nicht

Belauscht in Liebesklagen. Drum vergib!

Schilt diese Hingebung nicht Flatterliebe,

Die so die stille Nacht verraten hat!

ROMEO.

Ich schwöre, Fräulein, bei dem heil'gen Mond,

Der silbern dieser Bäume Wipfel säumt ...

JULIA.

O schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren,

Der immerfort in seiner Scheibe wechselt,

Damit nicht wandelbar dein Lieben sei!

ROMEO.

Wobei denn soll ich schwören?

JULIA.

Laß es ganz!

Doch willst du, schwör' bei deinem edlen Selbst,

Dem Götterbilde meiner Anbetung!

So will ich glauben.[111]

ROMEO.

Wenn die Herzensliebe ...

JULIA.

Gut, schwöre nicht: Obwohl ich dein mich freue,

Freu' ich mich nicht des Bundes dieser Nacht.

Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich;

Gleicht allzusehr dem Blitz, der nicht mehr ist,

Noch eh' man sagen kann: »Es blitzt.« – Schlaf' süß!

Des Sommers warmer Hauch kann diese Knospe

Der Liebe wohl zur schönen Blum' entfalten,

Bis wir das nächste Mal uns wiedersehn.

Nun gute Nacht! So süße Ruh' und Frieden,

Als mir im Busen wohnt, sei dir beschieden!

ROMEO.

Ach, du verlässest mich so unbefriedigt?

JULIA.

Was für Befriedigung begehrst du noch?

ROMEO.

Gib deinen treuen Liebesschwur für meinen!

JULIA.

Ich gab ihn dir, eh' du darum gefleht:

Und doch, ich wollt', er stünde noch zu geben.

ROMEO.

Wollt'st du ihn mir entziehn? Wozu das, Liebe?

JULIA.

Um unverstellt ihn dir zurückzugeben.

Allein ich wünsche, was ich habe, nur.

So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe

So tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe,

Je mehr auch hab' ich: beides ist unendlich.

Ich hör' im Haus Geräusch; leb wohl, Geliebter!


Die Wärterin ruft hinter der Szene.


Gleich, Amme! Holder Montague, sei treu!

Wart' einen Augenblick: ich komme wieder.


Sie geht zurück.


ROMEO.

O sel'ge, sel'ge Nacht! Nur fürcht' ich, weil

Mich Nacht umgibt, dies alles sei nur Traum,

Zu schmeichelnd süß, um wirklich zu bestehn.


Julia erscheint wieder am Fenster


JULIA.

Drei Worte, Romeo; dann gute Nacht!

Wenn deine Liebe, tugendsam gesinnt,

Vermählung wünscht, so laß mich morgen wissen

Durch jemand, den ich zu dir senden will,

Wo du und wann die Trauung willst vollziehn.[112]

Dann leg' ich dir mein ganzes Glück zu Füßen,

Und folge durch die Welt dir als Gebieter. –


Die Wärterin hinter der Szene: »Fräulein!«


Ich komme; gleich! – Doch meinst du es nicht gut,

So bitt' ich dich ...


Die Wärterin hinter der Szene: »Fräulein!«

Im Augenblick: ich komme! –

... Hör' auf zu werben, laß mich meinem Gram!

Ich sende morgen früh –

ROMEO.

Beim ew'gen Heil –

JULIA.

Nun tausend gute Nacht!


Geht zurück


ROMEO.

Raubst du dein Licht ihr, wird sie bang durchwacht.

Wie Knaben aus der Schul', eilt Liebe hin zum Lieben,

Wie Knaben an ihr Buch, wird sie hinweg getrieben.


Er entfernt sich langsam. Julia erscheint wieder am Fenster.


JULIA.

St! Romeo, st! – Oh, eines Jägers Stimme,

Den edlen Falken wieder herzulocken!

Abhängigkeit ist heiser, wagt nicht laut

Zu reden, sonst zersprengt' ich Echos Kluft,

Und machte heis'rer ihre luft'ge Kehle,

Als meine, mit dem Namen Romeo.

ROMEO umkehrend.

Mein Leben ist's, das meinen Namen ruft.

Wie silbersüß tönt bei der Nacht die Stimme

Der Liebenden, gleich lieblicher Musik

Dem Ohr des Lauschers!

JULIA.

Romeo!

ROMEO.

Mein Fräulein?

JULIA.

Um welche Stunde soll ich morgen schicken?

ROMEO.

Um neun.

JULIA.

Ich will nicht säumen: zwanzig Jahre

Sind's bis dahin. Doch ich vergaß, warum

Ich dich zurückgerufen.

ROMEO.

Laß hier mich stehn, derweil du dich bedenkst.

JULIA.

Auf daß du stets hier weilst, werd' ich vergessen,

Bedenkend, wie mir deine Näh' so lieb.[113]

ROMEO.

Auf daß du stets vergessest, werd' ich weilen,

Vergessend, daß ich irgend sonst daheim.

JULIA.

Es tagt beinah', ich wollte nun, du gingst:

Doch weiter nicht, als wie ein tändelnd Mädchen

Ihr Vögelchen der Hand entschlüpfen läßt,

Gleich einem Armen in der Banden Druck,

Und dann zurück ihn zieht am seidnen Faden;

So liebevoll mißgönnt sie ihm die Freiheit.

ROMEO.

Wär' ich dein Vögelchen!

JULIA.

Ach, wärst du's, Lieber!

Doch hegt' und pflegt' ich dich gewiß zu Tod.

Nun gute Nacht! So süß ist Trennungswehe,

Ich rief' wohl gute Nacht, bis ich den Morgen sähe.


Sie geht zurück.


ROMEO.

Schlaf' wohn' auf deinem Aug', Fried' in der Brust!

O wär' ich Fried' und Schlaf, und ruht' in solcher Lust!

Ich will zur Zell' des frommen Vaters gehen,

Mein Glück ihm sagen, und um Hülf' ihn flehen.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 108-114.
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