Dritte Szene

[239] Im Zelte des Brutus.

Lucius und Titinius in einiger Entfernung davon.

Brutus und Cassius treten auf.


CASSIUS.

Eu'r Unrecht gegen mich erhellet hieraus:

Ihr habt den Lucius Pella hart verdammt,

Weil er bestochen worden von den Sardern.

Mein Brief, worin ich mich für ihn verwandt,

Weil ich ihn kenne, ward für nichts geachtet.[239]

BRUTUS.

Ihr tatet Euch zu nah, in solchem Fall zu schreiben.

CASSIUS.

In solcher Zeit wie diese ziemt es nicht,

Daß jeder kleine Fehl bekrittelt werde.

BRUTUS.

Laßt mich Euch sagen, Cassius, daß Ihr selbst

Verschrien seid, weil Ihr hohle Hände macht,

Weil Ihr an Unverdiente Eure Ämter

Verkauft und feilschet.

CASSIUS.

Mach' ich hohle Hände?

Ihr wißt wohl, Ihr seid Brutus, der dies sagt:

Sonst, bei den Göttern! wär' dies Wort Eu'r letztes.

BRUTUS.

Des Cassius Name adelt die Bestechung,

Darum verbirgt die Züchtigung ihr Haupt.

CASSIUS.

Die Züchtigung!

BRUTUS.

Denkt an den März! Denkt an des Märzen Idus!

Hat um das Recht der große Julius nicht

Geblutet? Welcher Bube legt' an ihn

Die Hand wohl, schwang den Stahl, und nicht ums Recht?

Wie? soll nun einer derer, die den ersten

Von allen Männern dieser Welt erschlugen,

Bloß weil er Räuber schützte: sollen wir

Mit schnöden Gaben unsre Hand besudeln?

Und unsrer Würden weiten Kreis verkaufen

Für so viel Plunders, als man etwa greift?

Ein Hund sein lieber und den Mond anbellen,

Als solch ein Römer!

CASSIUS.

Brutus, reizt mich nicht:

Ich will's nicht dulden. Ihr vergeßt Euch selbst,

Wenn Ihr mich so umzäunt: ich bin ein Krieger,

Erfahrner, älter, fähiger als Ihr,

Bedingungen zu machen.

BRUTUS.

Redet nur,

Ihr seid es doch nicht, Cassius.

CASSIUS.

Ich bin's.

BRUTUS.

Ich sag', Ihr seid es nicht.

CASSIUS.

Drängt mich nicht mehr, ich werde mich vergessen;

Gedenkt an Euer Heil, reizt mich nicht länger!

BRUTUS.

Geht, leichtgesinnter Mann!

CASSIUS.

Ist's möglich?[240]

BRUTUS.

Hört mich an, denn ich will reden.

Muß ich mich Eurer jähen Hitze fügen?

Muß ich erschrecken, wenn ein Toller auffährt?

CASSIUS.

Ihr Götter! Götter! Muß ich all dies dulden?

BRUTUS.

All dies? Noch mehr! Ergrimmt, bis es Euch birst,

Das stolze Herz; geht, zeiget Euren Sklaven,

Wie rasch zum Zorn Ihr seid, und macht sie zittern!

Muß ich beiseit mich drücken, muß den Hof

Euch machen? Muß ich dastehn und mich krümmen

Vor Eurer krausen Laune? Bei den Göttern!

Ihr sollt hinunterwürgen Euren Gift,

Und wenn Ihr börstet: denn von heute an

Dient Ihr zum Scherz, ja zum Gelächter mir,

Wenn Ihr Euch so gebärdet.

CASSIUS.

Dahin kam's?

BRUTUS.

Ihr sagt, daß Ihr ein beßrer Krieger seid:

Beweist es denn, macht Euer Prahlen wahr!

Es soll mir lieb sein, denn, was mich betrifft,

Ich werde gern von edlen Männern lernen.

CASSIUS.

Ihr tut zu nah, durchaus zu nah mir, Brutus.

Ich sagt', ein ältrer Krieger, nicht ein beßrer.

Sagt' ich, ein beßrer?

BRUTUS.

Und hättet Ihr's gesagt, mir gilt es gleich.

CASSIUS.

Mir hätte Cäsar das nicht bieten dürfen.

BRUTUS.

O schweigt! Ihr durftet ihn auch so nicht reizen.

CASSIUS.

Ich durfte nicht?

BRUTUS.

Nein.

CASSIUS.

Wie? durft' ihn nicht reizen?

BRUTUS.

Ihr durftet es für Euer Leben nicht.

CASSIUS.

Wagt nicht zu viel auf meine Liebe hin:

Ich möchte tun, was mich nachher gereute.

BRUTUS.

Ihr habt getan, was Euch gereuen sollte.

Eu'r Drohn hat keine Schrecken, Cassius,

Denn ich bin so bewehrt durch Redlichkeit,

Daß es vorbeizieht wie der leere Wind,

Der nichts mir gilt. Ich sandte hin zu Euch

Um eine Summe Golds, die Ihr mir abschlugt.

Ich kann kein Geld durch schnöde Mittel heben,[241]

Beim Himmel! lieber prägt' ich ja mein Herz,

Und tröpfelte mein Blut für Drachmen aus,

Als daß ich aus der Bauern harten Händen

Die jämmerliche Habe winden sollte

Durch irgendeinen Schlich. – Ich sandt' um Gold zu Euch

Um meine Legionen zu bezahlen:

Ihr schlugt mir's ab: war das, wie Cassius sollte?

Hätt' ich dem Cajus Cassius so erwidert?

Wenn Marcus Brutus je so geizig wird,

Daß er so lump'ge Pfennige den Freunden

Verschließt, dann rüstet Eure Donnerkeile,

Zerschmettert ihn, ihr Götter!

CASSIUS.

Ich schlug es Euch nicht ab.

BRUTUS.

Ihr tatet es.

CASSIUS.

Ich tat's nicht: Der Euch meine Antwort brachte,

War nur ein Tor. – Brutus zerreißt mein Herz:

Es sollt' ein Freund des Freundes Schwächen tragen,

Brutus macht meine größer, als sie sind.

BRUTUS.

Das tu' ich nicht, bis Ihr damit mich quält.

CASSIUS.

Ihr liebt mich nicht.

BRUTUS.

Nicht Eure Fehler lieb' ich.

CASSIUS.

Nie könnt' ein Freundesaug' dergleichen sehn.

BRUTUS.

Des Schmeichlers Auge säh' sie nicht, erschienen

Sie auch so riesenhaft wie der Olymp.

CASSIUS.

Komm, Mark Anton, und komm, Octavius, nur!

Nehmt eure Rach' allein am Cassius,

Denn Cassius ist des Lebens überdrüssig:

Gehaßt von einem, den er liebt; getrotzt

Von seinem Bruder; wie ein Kind gescholten.

Man späht nach allen meinen Fehlern, zeichnet

Sie in ein Denkbuch, lernt sie aus dem Kopf,

Wirft sie mir in die Zähne. – Oh, ich könnte

Aus meinen Augen meine Seele weinen!

Da ist mein Dolch, hier meine nackte Brust;

Ein Herz drin, reicher als des Plutus Schacht,

Mehr wert als Gold: wo du ein Römer bist,

So nimm's heraus! Ich, der dir Gold versagt,

Ich biete dir mein Herz. Stoß' zu, wie einst[242]

Auf Cäsar! Denn ich weiß, als du am ärgsten

Ihn haßtest, liebtest du ihn mehr, als je

Du Cassius geliebt.

BRUTUS.

Steckt Euren Dolch ein!

Seid zornig, wenn Ihr wollt: es steh' Euch frei!

Tut, was Ihr wollt: Schmach soll für Laune gelten.

O Cassius! einem Lamm seid Ihr gesellt,

Das so nur Zorn hegt, wie der Kiesel Feuer,

Der, viel geschlagen, flücht'ge Funken zeigt

Und gleich drauf wieder kalt ist.

CASSIUS.

Lebt' ich dazu,

Ein Scherz nur und Gelächter meinem Brutus

Zu sein, wenn Gram und böses Blut mich plagt?

BRUTUS.

Als ich das sprach, hatt' ich auch böses Blut.

CASSIUS.

Gesteht Ihr so viel ein? Gebt mir die Hand!

BRUTUS.

Und auch mein Herz!

CASSIUS.

O Brutus!

BRUTUS.

Was verlangt Ihr?

CASSIUS.

Liebt Ihr mich nicht genug, Geduld zu haben,

Wenn jene rasche Laune, von der Mutter

Mir angeerbt, macht, daß ich mich vergesse?

BRUTUS.

Ja, Cassius; künftig, wenn Ihr allzu streng

Mit Eurem Brutus seid, so denket er,

Die Mutter schmäl' aus Euch, und läßt Euch gehn.


Lärm hinter der Szene.


EIN POET hinter der Szene.

Laßt mich hinein, ich muß die Feldherrn sehn.

Ein Zank ist zwischen ihnen: 's ist nicht gut,

Daß sie allein sind.

LUCILIUS hinter der Szene.

Ihr sollt nicht hinein!

POET hinter der Szene

Der Tod nur hält mich ab.


Der Poet tritt herein.


CASSIUS.

Ei nun, was gibt's?

POET.

Schämt ihr euch nicht, ihr Feldherrn? Was beginnt ihr?

Liebt euch, wie sich's für solche Männer schickt:

Fürwahr, ich hab' mehr Jahr' als ihr erblickt.

CASSIUS.

Ha ha! wie toll der Zyniker nicht reimt![243]

BRUTUS.

Ihr Schlingel, packt Euch! Fort, verwegner Bursch!

CASSIUS.

Ertragt ihn, Brutus! Seine Weis' ist so.

BRUTUS.

Kennt er die Zeit, so kenn' ich seine Laune.

Was soll der Krieg mit solchen Schellennarren?

Geh fort, Gesell!

CASSIUS.

Fort! fort! geh deines Wegs!


Der Poet ab.


Lucilius und Titinius kommen.


BRUTUS.

Lucilius und Titinius, heißt die Obersten

Auf Nachtquartier für ihre Scharen denken!

CASSIUS.

Kommt selber dann und bringt mit euch Messala

Sogleich zu uns herein!

Lucilius und Titinius ab.


BRUTUS.

Lucius, eine Schale Weins!

CASSIUS.

Ich dachte nicht, daß Ihr so zürne'n könntet.

BRUTUS.

O Cassius, ich bin krank an manchem Gram.

CASSIUS.

Ihr wendet die Philosophie nicht an,

Die Ihr bekennt, gebt Ihr zufäll'gen Übeln Raum.

BRUTUS.

Kein Mensch trägt Leiden besser. – Portia starb.

CASSIUS.

Ha! Portia!

BRUTUS.

Sie ist tot.

CASSIUS.

Lag das im Sinn Euch, wie entkam ich lebend?

O bittrer, unerträglicher Verlust!

An welcher Krankheit?

BRUTUS.

Die Trennung nicht erduldend;

Und Gram, daß mit Octavius Mark Anton

So mächtig worden – denn mit ihrem Tod

Kam der Bericht –, das brachte sie von Sinnen,

Und wie sie sich allein sah, schlang sie Feuer.

CASSIUS.

Und starb so?

BRUTUS.

Starb so.

CASSIUS.

O ihr ew'gen Götter!


Lucius kommt mit Wein und Kerzen.


BRUTUS.

Sprecht nicht mehr von ihr. – Gebt eine Schale Weins!

Hierin begrab' ich allen Unglimpf, Cassius.


Trinkt.[244]


CASSIUS.

Mein Herz ist durstig nach dem edlen Pfand.

Füllt, Lucius, bis der Wein den Becher kränzt;

Von Brutus' Liebe trink' ich nie zu viel.


Trinkt.


Titinius und Messala kommen.


BRUTUS.

Herein, Titinius! Seid gegrüßt, Messala!

Nun laßt uns dicht um diese Kerze sitzen

Und, was uns frommt, in Überlegung ziehn!

CASSIUS.

O Portia, bist du hin!

BRUTUS.

Nicht mehr, ich bitt' Euch!

Messala, seht, ich habe Brief' empfangen,

Daß Mark Anton, mit ihm Octavius,

Heranziehn gegen uns mit starker Macht

Und ihren Heerzug nach Philippi lenken.

MESSALA.

Ich habe Briefe von demselben Inhalt.

BRUTUS.

Mit welchem Zusatz?

MESSALA.

Daß durch Proskription und Achtserklärung

Octavius, Mark Anton und Lepidus

Auf hundert Senatoren umgebracht.

BRUTUS.

Darüber weichen unsre Briefe ab.

Der meine spricht von siebzig Senatoren,

Die durch die Ächtung fielen; Cicero

Sei einer aus der Zahl.

CASSIUS.

Auch Cicero?

MESSALA.

Ja, er ist tot, und durch den Achtsbefehl.

Kam Euer Brief von Eurer Gattin, Herr?

BRUTUS.

Nein, Messala.

MESSALA.

Und meldet Euer Brief von ihr Euch nichts?

BRUTUS.

Gar nichts, Messala.

MESSALA.

Das bedünkt mich seltsam.

BRUTUS.

Warum? Wißt Ihr aus Eurem Brief von ihr?

MESSALA.

Nein, Herr.

BRUTUS.

Wenn Ihr ein Römer seid, sagt mir die Wahrheit!

MESSALA.

Tragt denn die Wahrheit, die ich sag', als Römer!

Sie starb, und zwar auf wunderbare Weise.

BRUTUS.

Leb wohl denn, Portia! – Wir müssen sterben,

Messala; dadurch, daß ich oft bedacht,[245]

Sie müss' einst sterben, hab' ich die Geduld,

Es jetzt zu tragen.

MESSALA.

So trägt ein großer Mann ein großes Unglück.

CASSIUS.

Durch Kunst hab' ich so viel hievon als Ihr,

Doch die Natur ertrüg's in mir nicht so.

BRUTUS.

Wohlan, zu unserm lebenden Geschäft!

Was denkt Ihr? Ziehn wir nach Philippi gleich?

CASSIUS.

Mir scheint's nicht ratsam.

BRUTUS.

Euer Grund?

CASSIUS.

Hier ist er:

Weit besser ist es, wenn der Feind uns sucht:

So wird er, sich zum Schaden, seine Mittel

Erschöpfen, seine Krieger müde machen.

Wir liegen still indes, bewahren uns

In Ruh', wehrhaftem Stand und Munterkeit.

BRUTUS.

Den bessern Gründen müssen gute weichen

Das Land von hier bis nach Philippi hin

Beweist uns nur aus Zwang Ergebenheit,

Denn murrend hat es Lasten uns gezahlt.

Der Feind, indem er durch dasselbe zieht,

Wird seine Zahl daraus ergänzen können

Und uns erfrischt, vermehrt, ermutigt nahn.

Von diesem Vorteil schneiden wir ihn ab,

Wenn zu Philippi wir die Stirn ihm bieten,

Dies Volk im Rücken.

CASSIUS.

Hört mich, lieber Bruder!

BRUTUS.

Erlaubt mir gütig! – Ferner müßt Ihr merken,

Daß wir von Freunden alles aufgeboten,

Daß unsre Legionen übervoll,

Und unsre Sache reif. Der Feind nimmt täglich zu:

Wir, auf dem Gipfel, stehn schon an der Neige.

Der Strom der menschlichen Geschäfte wechselt:

Nimmt man die Flut wahr, führet sie zum Glück;

Versäumt man sie, so muß die ganze Reise

Des Lebens sich durch Not und Klippen winden.

Wir sind nun flott auf solcher hohen See

Und müssen, wenn der Strom uns hebt, ihn nutzen;

Wo nicht, verlieren wir des Zufalls Gunst.[246]

CASSIUS.

So zieht denn, wie Ihr wollt; wir rücken selbst,

Dem Feind entgegen, nach Philippi vor.

BRUTUS.

Die tiefe Nacht hat das Gespräch beschlichen,

Und die Natur muß frönen dem Bedürfnis,

Das mit ein wenig Ruh' wir täuschen wollen.

Ist mehr zu sagen noch?

CASSIUS.

Nein. Gute Nacht!

Früh stehn wir also morgen auf, und fort!

BRUTUS.

Lucius, mein Schlafgewand!


Lucius ab.


Lebt wohl, Messala!

Gute Nacht, Titinius! Edler, edler Cassius,

Gute Nacht und sanfte Ruh'!

CASSIUS.

O teurer Bruder!

Das war ein schlimmer Anfang dieser Nacht.

Nie trenne solcher Zwiespalt unsre Herzen,

Nie wieder, Brutus!

BRUTUS.

Alles steht ja wohl.

CASSIUS.

Nun gute Nacht!

BRUTUS.

Gute Nacht, mein guter Bruder!

TITINIUS UND MESSALA.

Mein Feldherr, gute Nacht!

BRUTUS.

Lebt alle wohl!


Cassius, Titinius und Messala ab.


Lucius kommt zurück mit dem Nachtkleide.


BRUTUS.

Gib das Gewand. Wo hast du deine Laute?

LUCIUS.

Im Zelte hier.

BRUTUS.

Wie? schläfrig? Armer Schelm,

Ich tadle drum dich nicht: du hast dich überwacht.

Ruf Claudius her und andre meiner Leute,

Sie sollen hier im Zelt auf Kissen schlafen.

LUCIUS.

Varro und Claudius!


Varro und Claudius kommen.


VARRO.

Ruft mein Gebieter?

BRUTUS.

Ich bitt' euch, liegt in meinem Zelt und schlaft;

Bald weck' ich euch vielleicht, um irgend was

Bei meinem Bruder Cassius zu bestellen.

VARRO.

Wenn's Euch geliebt, wir wollen stehn und warten.[247]

BRUTUS.

Das nicht! Nein, legt euch nieder, meine Freunde! –


Die beiden Diener legen sich nieder.


Vielleicht verändert noch sich mein Entschluß. –

Sieh, Lucius, hier das Buch, das ich so suchte:

Ich steckt' es in die Tasche des Gewandes.

LUCIUS.

Ich wußte wohl, daß mein Gebieter mir

Es nicht gegeben.

BRUTUS.

Hab' Geduld mit mir,

Mein guter Junge: ich bin sehr vergeßlich.

Hältst du noch wohl die müden Augen auf

Und spielst mir ein paar Weisen auf der Laute?

LUCIUS.

Ja, Herr, wenn's Euch geliebt.

BRUTUS.

Das tut's, mein Junge.

Ich plage dich zu viel, doch du bist willig.

LUCIUS.

Es ist ja meine Pflicht.

BRUTUS.

Ich sollte dich

Zur Pflicht nicht über dein Vermögen treiben;

Ich weiß, daß junges Blut auf Schlafen hält.

LUCIUS.

Ich habe schon geschlafen, mein Gebieter.

BRUTUS.

Nun wohl denn, und du sollst auch wieder schlafen.

Ich will nicht lang' dich halten: wenn ich lebe,

Will ich dir Gutes tun.


Musik und ein Lied.


Die Weis' ist schläfrig. – Mörderischer Schlummer,

Legst du die blei'rne Keul' auf meinen Knaben,

Der dir Musik macht? – Lieber Schelm, schlaf' wohl,

Ich tu' dir's nicht zu Leid, daß ich dich wecke.

Nickst du, so brichst du deine Laut' entzwei;

Ich nehm' sie weg, und schlaf nun, guter Knabe! –

Laßt sehn! Ist, wo ich aufgehört zu lesen,

Das Blatt nicht eingelegt? Hier, denk' ich, ist's.


Er setzt sich.


Der Geist Cäsars erscheint.


Wie dunkel brennt die Kerze! – Ha, wer kommt?

Ich glaub', es ist die Schwäche meiner Augen,

Die diese schreckliche Erscheinung schafft.[248]

Sie kommt mir näher. – Bist du irgend was?

Bist du ein Gott, ein Engel oder Teufel,

Der starren macht mein Blut, das Haar mir sträubt?

Gib Rede, was du bist!

GEIST.

Dein böser Engel, Brutus.

BRUTUS.

Weswegen kommst du?

GEIST.

Um dir zu sagen, daß du zu Philippi

Mich sehn sollst.

BRUTUS.

Gut, ich soll dich wiedersehn?

GEIST.

Ja, zu Philippi.


Verschwindet.


BRUTUS.

Nun, zu Philippi will ich denn dich sehn.

Nun ich ein Herz gefaßt, verschwindest du;

Gern spräch' ich mehr mit dir noch, böser Geist. –

Bursch! Lucius! – Varro! Claudius! Wacht auf!

Claudius!

LUCIUS.

Die Saiten sind verstimmt.

BRUTUS.

Er glaubt, er sei bei seiner Laute noch.

Erwache, Lucius!

LUCIUS.

Herr?

BRUTUS.

Hast du geträumt, daß du so schriest, Lucius?

LUCIUS.

Ich weiß nicht, mein Gebieter, daß ich schrie.

BRUTUS.

Ja doch, das tatst du: sahst du irgend was?

LUCIUS.

Nichts auf der Welt.

BRUTUS.

Schlaf wieder, Lucius! – Heda, Claudius!

Du, Bursch, wach' auf!

VARRO.

Herr?

CLAUDIUS.

Herr?

BRUTUS.

Weswegen schriet ihr so in eurem Schlaf?

VARRO UND CLAUDIUS.

Wir schrieen, Herr?

BRUTUS.

Ja, saht Ihr irgend was?

VARRO.

Ich habe nichts gesehn.

CLAUDIUS.

Ich gleichfalls nicht.

BRUTUS.

Geht und empfehlt mich meinem Bruder Cassius;

Er lasse früh voraufziehn seine Macht,

Wir wollen folgen.

VARRO UND CLAUDIUS.

Herr, es soll geschehn.


Alle ab.[249]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 239-250.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Julius Cäsar
Julius Caesar Wordsworth classics
Julius Caesar by Shakespeare, William ( AUTHOR ) Apr-01-2011 Paperback
Julius Cäsar
Julius Caesar [Zweisprachig]
Julius Cäsar: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon