Dritte Szene

[346] Ein andres Zimmer im Schlosse.


Der König tritt auf, mit Gefolge.


KÖNIG.

Ich lass' ihn holen, und den Leichnam suchen.

O wie gefährlich ist's, daß dieser Mensch

So frank umhergeht! Dennoch dürfen wir

Nicht nach dem strengen Recht mit ihm verfahren:

Er ist beliebt bei der verworrnen Menge,

Die mit dem Aug', nicht mit dem Urteil wählt,

Und wo das ist, wägt man des Schuld'gen Plage,

Doch nie die Schuld. Um alles auszugleichen,

Muß diese schnelle Wegsendung ein Schritt

Der Überlegung scheinen: wenn die Krankheit

Verzweifelt ist, kann ein verzweifelt Mittel

Nur helfen, oder keins.


Rosenkranz kommt.


Was ist geschehn?

ROSENKRANZ.

Wo er die Leiche hingeschafft, mein Fürst,

Vermögen wir von ihm nicht zu erfahren.

KÖNIG.

Wo ist er selber?

ROSENKRANZ.

Draußen, gnäd'ger Herr;

Bewacht, um Eu'r Belieben abzuwarten.

KÖNIG.

So bringt ihn vor uns!

ROSENKRANZ.

He, Güldenstern! bringt den gnädigen Herrn herein!


Hamlet und Güldenstern kommen.


KÖNIG.

Nun, Hamlet, wo ist Polonius?

HAMLET.

Beim Nachtmahl.

KÖNIG.

Beim Nachtmahl?

HAMLET. Nicht wo er speist, sondern wo er gespeist wird. Eine gewisse Reichsversammlung von politischen Würmern hat sich eben an ihn gemacht. So 'n Wurm ist Euch der einzige Kaiser, was die Tafel betrifft. Wir mästen alle andere Kreaturen, um uns zu mästen; und uns selbst mästen wir für Maden. Der fette König und der magre Bettler sind[346] nur verschiedne Gerichte; zwei Schüsseln, aber für eine Tafel: das ist das Ende vom Liede.

KÖNIG. Ach Gott! ach Gott!

HAMLET. Jemand könnte mit dem Wurm fischen, der von einem König gegessen hat, und von dem Fisch essen, der den Wurm verzehrte.

KÖNIG. Was meinst du damit?

HAMLET. Nichts als Euch zu zeigen, wie ein König seinen Weg durch die Gedärme eines Bettlers nehmen kann.

KÖNIG. Wo ist Polonius?

HAMLET. Im Himmel. Schickt hin, um zuzusehn: Wenn Euer Bote ihn da nicht findet, so sucht ihn selbst an dem andern Orte! Aber wahrhaftig, wo Ihr ihn nicht binnen dieses Monats findet, so werdet Ihr ihn wittern, wann Ihr die Treppe zur Galerie hinaufgeht!

KÖNIG zu einigen aus dem Gefolge. Geht, sucht ihn dort!

HAMLET. Er wird warten, bis ihr kommt.


Einige aus dem Gefolge ab.


KÖNIG.

Hamlet, für deine eigne Sicherheit,

Die uns so wert ist, wie uns innig kränkt,

Was du begangen hast, muß diese Tat

In feur'ger Eile dich von hinnen senden.

Drum rüste dich: das Schiff liegt schon bereit,

Der Wind ist günstig, die Gefährten warten,

Und alles treibt nach England auf und fort.

HAMLET.

Nach England?

KÖNIG.

Ja, Hamlet.

HAMLET.

Gut.

KÖNIG.

So ist es, wenn du unsre Absicht wüßtest.

HAMLET. Ich sehe einen Cherub, der sie sieht. – Aber kommt! nach England! – Lebt wohl, liebe Mutter!

KÖNIG. Dein liebevoller Vater, Hamlet!

HAMLET. Meine Mutter: Vater und Mutter sind Mann und Weib; Mann und Weib sind ein Fleisch: also meine Mutter. Kommt, nach England! Ab.

KÖNIG.

Folgt auf dem Fuß ihm, lockt ihn schnell an Bord;

Verzögert nicht: er muß zu Nacht von hinnen.[347]

Fort! Alles ist versiegelt und geschehn,

Was sonst die Sache heischt. Ich bitt' euch, eilt!


Rosenkranz und Güldenstern ab.


Und, England! gilt dir meine Liebe was

(Wie meine Macht sie dich kann schätzen lehren,

Denn noch ist deine Narbe wund und rot

Vom Dänenschwert, und deine Ehrfurcht leistet

Uns willig Lehenspflicht), so darfst du nicht

Das oberherrliche Geheiß versäumen,

Das durch ein Schreiben solchen Inhalts dringt

Auf Hamlets schnellen Tod. O tu' es, England!

Denn wie die Hektik rast er mir im Blut:

Du mußt mich heilen! Mag mir alles glücken,

Bis dies geschehn ist, kann mich nichts erquicken.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 346-348.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hamlet. Prinz von Dänemark
Universal-Bibliothek, Nr. 31: Hamlet: Prinz von Dänemark - Tragödie
Die tragische Geschichte von Hamlet, Prinz von Dänemark
Hamlet: Prinz von Dänemark (insel taschenbuch)
Hamlet: Prinz von Dänemark (insel taschenbuch)
Hamlet, Prinz von Dänemark

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon