Dritte Szene

[899] Es treten auf Coriolanus, Aufidius und andere.


CORIOLANUS.

So ziehn wir morgen denn mit unserm Heer

Vor Rom. Ihr, mein Genoß in diesem Krieg,

Tut Euren Senatoren kund, wie redlich

Ich alles ausgeführt.

AUFIDIUS.

Nur ihren Vorteil

Habt Ihr beachtet; Euer Ohr verstopft

Roms allgemeinem Flehn; nie zugelassen

Geheimes Flüstern; nein, selbst nicht von Freunden,

Die ganz auf Euch vertraut.

CORIOLANUS.

Der alte Mann,

Den ich nach Rom gebrochnen Herzens sende,

Er liebte mehr mich als mit Vaterliebe,

Ja, machte mich zum Gott. – Die letzte Zuflucht

War, ihn zu senden; um des Greises Liebe,

Blickt' ich schon finster, tat ich noch einmal

Den ersten Antrag, den sie abgeschlagen

Und jetzt nicht nehmen können; ihn zu ehren,

Der mehr zu wirken hoffte, gab ich nach

Sehr wenig nur. Doch neuer Sendung, Bitte,

Sei's nun vom Staat, von Freunden, leih' ich nun

Mein Ohr nicht mehr. – Ha! welch ein Lärm ist das?


Geschrei hinter der Szene.


Werd' ich versucht, zu brechen meinen Schwur,

Indem ich ihn getan? Ich werd' es nicht.


Es treten auf Virgilia, Volumnia, die den jungen Marcius an der Hand führt, Valeria mit Gefolge. Alle in Trauer.


Mein Weib voran, dann die ehrwürd'ge Form,

Die meinen Leib erschuf, an ihrer Hand[899]

Der Enkel ihres Bluts. – Fort, Sympathie!

Brecht, all ihr Band' und Rechte der Natur!

Sei's tugendhaft, in Starrsinn fest zu bleiben!

Was gilt dies Beugen mir? dies Taubenauge,

Das Götter lockt zum Meineid? – Ich zerschmelze!

Und bin nicht festre Erd' als andre Menschen. –

Ha! meine Mutter beugt sich –

Als wenn Olympus sich vor kleinem Hügel

Mit Flehen neigte; und mein junger Sohn

Hat einen Blick der Bitt', aus dem allmächtig

Natur schreit: »Weigre's nicht!« – Nein, pflüge auf

Der Volsker Rom, verheer' Italien! – Nimmer

Soll, wie unflügge Brut, Instinkt mich führen;

Ich steh', als wär' der Mensch sein eigner Schöpfer

Und kennte keinen Ursprung.

VIRGILIA.

Herr und Gatte!

CORIOLANUS.

Mein Auge schaut nicht mehr wie sonst in Rom.

VIRGILIA.

Der Gram, der uns verwandelt hat, macht dich

So denken.

CORIOLANUS.

Wie ein schlechter Spieler jetzt

Vergaß ich meine Roll' und bin verwirrt,

Bis zur Verhöhnung selbst. – Blut meines Herzens!

Vergib mir meine Tyrannei; doch sage

Drum nicht: »Vergib den Römern!« – Oh! ein Kuß,

Lang wie mein Bann und süß wie meine Rache!

Nun, bei der Juno Eifersucht, den Kuß

Nahm ich, Geliebte, mit, und meine Lippe

Hat ihn seitdem jungfräulich treu bewahrt.

Ihr Götter! wie? ich huld'ge?

Und aller Mütter edelste der Welt

Blieb unbegrüßt? – Mein Knie, sink' in die Erde,

Drück' tiefer deine Pflicht dem Boden ein,

Als jeder andre Sohn!


Er kniet nieder.


VOLUMNIA.

Steh auf gesegnet!

Daß, auf nicht weicherm Kissen als der Stein,

Ich vor dir knie' und Huld'gung neuer Art

Dir weihe, die bisher ganz falsch verteilt

War zwischen Kind und Eltern.


Sie kniet.[900]


CORIOLANUS.

Was ist das?

Ihr vor mir knien? vor dem bestraften Sohn?

Dann mögen Kiesel von der sand'gen Bucht

Frech an die Sterne springen; rebell'sche Winde

Die Feuersonn' mit stolzen Zedern peitschen,

Mordend Unmöglichkeit, zum Kinderspiel

Zu machen das, was ewig nie kann sein.

VOLUMNIA.

Du bist mein Krieger,

Ich hoffe fügsam. Kennst du diese Frau?

CORIOLANUS.

Die edle Schwester des Publicola.

Die Luna Roms, keusch, wie die Zacken Eis,

Die aus dem reinsten Schnee der Frost geformt

Am Heiligtum Dianens. Seid gegrüßt, Valeria!

VOLUMNIA.

Dies ein kleiner Auszug von dir selbst,

Der durch die Auslegung erfüllter Jahre

Ganz werden kann wie du.

CORIOLANUS.

Der Gott der Krieger,

Mit Beistimmung des höchsten Zeus, erziehe

Zum, Adel deinen Sinn, daß du dich stählst,

Der Schande unverwundbar, und im Krieg

Ein groß Seezeichen stehst, die Winde höhnend,

Die rettend, die dir nachsehn!

VOLUMNIA.

Knie' nieder, Bursch!

CORIOLANUS.

Das ist mein wackrer Sohn.

VOLUMNIA.

Er und dein Weib, die Frau hier und ich selbst

Sind Flehende vor dir.

CORIOLANUS.

Ich bitt' Euch, still!

Wo nicht, bedenket dies, bevor Ihr sprecht:

Was zu gewähren ich verschwor, das nehmt nicht

Als Euch verweigert; heißt mich nicht entlassen

Mein Heer; nicht, wieder unterhandeln mit

Den Handarbeitern Roms; nicht sprecht mir vor,

Worin ich unnatürlich scheine; denkt nicht

Zu sänft'gen meine Wut und meine Rache

Mit Euren kältern Gründen!

VOLUMNIA.

Oh! nicht mehr! nicht mehr!

Du hast erklärt, du willst uns nichts gewähren;

Denn nichts zu wünschen haben wir, als das,[901]

Was du schon abschlugst; dennoch will ich wünschen,

Daß, weichst du unsern Bitten aus, der Tadel

Nur deine Härte treffen mag. Drum hör' uns!

CORIOLANUS.

Aufidius und ihr Volsker, merkt, wir hören

Nichts in geheim von Rom. Nun, Eure Bitte?

VOLUMNIA.

Wenn wir auch schwiegen, sagte doch dies Kleid

Und unser bleiches Antlitz, welch ein Leben

Seit deinem Bann wir führten. Denke selbst,

Wie wir, unsel'ger als je Frau'n auf Erden,

Dir nahn! Dein Anblick, der mit Freudentränen

Die Augen füllen soll, das Herz mit Wonne,

Netzt sie mit Leid, die Brust erbebt vor Furcht,

Da Mutter, Weib und Kind es sehen müssen,

Wie Sohn, Gemahl und Vater grausam wühlt

In seines Landes Busen. – Weh uns Armen!

Uns trifft am härt'sten deine Wut: du wehrst uns

Die Götter anzuflehn, ein Trost, den alle,

Nur wir nicht, teilen: denn wie könnten wir's?

Wie können für das Vaterland wir beten,

Was unsre Pflicht? und auch für deinen Sieg,

Was unsre Pflicht? – Ach! unsre teure Amme,

Das Vaterland, geht unter, oder du,

Du Trost im Vaterland. Wir finden immer

Ein unabwendbar Elend, wird uns auch

Ein Wunsch gewährt, – wer auch gewinnen mag:

Entweder führt man dich, Abtrünn'gen, Fremden,

In Ketten durch die Straßen; oder du

Trittst im Triumph des Vaterlandes Schutt,

Und trägst die Palme, weil du kühn vergossest

Der Frau, des Kindes Blut; denn ich, mein Sohn,

Ich will das Schicksal nicht erwarten, noch

Des Krieges Schluß. Kann ich dich nicht bewegen,

Daß lieber jedem Teil du Huld gewährst,

Als einen stürzest, – traun, du sollst nicht eher

Dein Vaterland bestürmen, bis du tratst,

(Glaub mir, du sollst nicht!) auf der Mutter Leib,

Der dich zur Welt gebar.

VIRGILIA.

Ja, auch auf meinen,[902]

Der diesen Sohn dir gab, auf daß dein Name

Der Nachwelt blüh'.

DER KLEINE MARCIUS.

Auf mich soll er nicht treten.

Fortlauf ich, bis ich größer bin, dann fecht' ich.

CORIOLANUS.

Wer nicht will Wehmut fühlen, gleich den Frauen,

Der muß nicht Frau noch Kindes Antlitz schauen.

Zu lange saß ich.


Er steht auf.


VOLUMNIA.

Nein, so geh nicht fort!

Zielt' unsre Bitte nur dahin, die Römer

Zu retten durch den Untergang der Volsker,

Die deine Herrn, so möcht'st du uns verdammen

Als Mörder deiner Ehre. – Nein, wir bitten,

Daß beide du versöhnst; dann sagen einst

Die Volsker: »Diese Gnad' erwiesen wir«, –

Die Römer: »Wir empfingen sie«; und jeder

Gibt dir den Preis und ruft: »Gesegnet sei

Für diesen Frieden!« – Großer Sohn, du weißt,

Des Krieges Glück ist ungewiß; gewiß

Ist dies, daß, wenn du Rom besiegst, der Lohn,

Den du dir erntest, solch ein Name bleibt,

Dem, wie er nun genannt wird, Flüche folgen.

Dann schreibt die Chronik einst: »Der Mann war edel,

Doch seine letzte Tat löscht' alles aus,

Verstört' sein Vaterland; drum bleibt sein Name

Ein Abscheu künft'gen Zeiten.« – Sprich zu mir!

Der Ehre zart'ste Fod'rung war dein Streben,

In ihrer Hoheit Göttern gleich zu sein:

Den Luftraum mit dem Donner zu erschüttern,

Und dann den Blitz mit einem Keil zu tauschen,

Der nur den Eichbaum spaltet. Wie? nicht sprichst du? –

Hältst du es würdig eines edlen Mannes,

Sich stets der Kränkung zu erinnern? – Tochter,

Sprich du: er achtet auf dein Weinen nicht. –

Sprich du, mein Kind: –

Vielleicht bewegt dein Kindsgeschwätz ihn mehr,

Als unsre Rede mag. – Kein Mann auf Erden

Verdankt der Mutter mehr; doch hier läßt er[903]

Mich schwatzen, wie ein Weib am Pranger. – Nie

Im ganzen Leben gabst der lieben Mutter

Du freundlich nach, wenn sie, die arme Henne,

Nicht andrer Brut erfreut, zum Krieg dich gluckte,

Und sicher heim, mit Ehren stets beladen. –

Heiß' ungerecht mein Flehn, und stoß' mich weg;

Doch ist das nicht, so bist nicht edel du,

Und strafen werden dich die Götter, daß

Du mir die Pflicht entziehst, die Müttern ziemt.

Er kehrt sich ab! –

Kniet nieder, Frau'n: beschäm' ihn unser Knien!

Dem Namen Coriolanus ziemt Verehrung,

Nicht Mitleid unserm Flehn. – Kniet, sei's das Letzte!

Nun ist es aus – wir kehren heim nach Rom,

Und sterben mit den Unsern. – Nein, sieh her!

Dies Kind, nicht kann es sagen, was es meint;

Doch kniet es, hebt die Händ' empor mit uns,

Spricht so der Bitte Recht mit größrer Kraft,

Als du zu weigern hast. – Kommt, laßt uns gehn:

Der Mensch hat eine Volskerin zur Mutter,

Sein Weib ist in Corioli, dies Kind

Gleicht ihm durch Zufall. – So sind wir entlassen!

Still bin ich, bis die Stadt in Flammen steht,

Dann sag' ich etwas noch.

CORIOLANUS.

Oh! Mutter! – Mutter!


Er faßt die beiden Hände der Mutter. Pause.


Was tust du? Sieh, die Himmel öffnen sich,

Die Götter schaun herab; den Auftritt unnatürlich

Belachen sie. – Oh! meine Mutter! Mutter! Oh!

Für Rom hast du heilsamen Sieg gewonnen;

Doch deinen Sohn – o glaub' es, glaub' es mir, –

Ihm höchst gefahrvoll hast du den bezwungen,

Wohl tödlich selbst. Doch mag es nur geschehn! –

Aufidius, kann ich Krieg nicht redlich führen,

Schließ' ich heilsamen Frieden. Sprich, Aufidius,

Wärst du an meiner Statt, hätt'st du die Mutter

Wen'ger gehört? ihr wen'ger zugestanden?[904]

AUFIDIUS.

Ich war bewegt.

CORIOLANUS.

Ich schwöre drauf, du warst es:

Und nichts Geringes ist es, wenn mein Auge

Von Mitleid träuft. Doch rate mir, mein Freund!

Was für Bedingung machst du? Denn nicht geh' ich

Nach Rom, ich kehre mit Euch um, und bitt' Euch,

Seid hierin mir gewogen! – O Mutter! Frau!

AUFIDIUS für sich.

Froh bin ich, daß dein Mitleid, deine Ehre,

Dich so entzwein; hieraus denn schaff ich mir

Mein ehemal'ges Glück.


Die Frauen wollen sich entfernen.


CORIOLANUS.

Oh! jetzt noch nicht!

Erst trinken wir, dann tragt ein beßres Zeugnis

Als bloßes Wort nach Rom, das gegenseitig

Auf billige Bedingung wir besiegeln.

Kommt, tretet mit uns ein! Ihr Frau'n verdient,

Daß man euch Tempel baut; denn alle Schwerter

Italiens und aller Bundsgenossen,

Sie hätten diesen Frieden nicht erkämpft.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 899-905.
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Coriolan / The Tragedy of Coriolanus (Gesamtausgabe, Band 31)
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

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