Siebenunddreißigstes Kapitel.

[15] Vinicius an Lygia.


»Der Sklave Phlegon, durch den ich dir diesen Brief übersende, ist ein Christ und wird somit zu denen gehören, die aus deiner Hand, Geliebte, die Freiheit erhalten sollen. Er ist ein alter Diener unseres Hauses, und ich kann ihm daher getrost mein Schreiben anvertrauen, ohne befürchten zu müssen, daß es in andere Hände gerät als die deinigen. Ich schreibe in Laurentum, wo wir der Hitze wegen Halt gemacht haben. Otho besaß hier eine prächtige Villa, die er seinerzeit Poppaea zum Geschenk machte, und obgleich sie von ihm geschieden ist, hat sie es nicht für passend gehalten, das herrliche Besitztum zurückzugeben. Wenn ich an diese Frauen denke, in deren Umgebung ich mich jetzt befinde, und dich mit ihnen vergleiche, so kommt es mir vor, als ob aus den Steinen Deukalions Menschen ganz verschiedener Art, die sich in nichts gleichen, hervorgegangen sein müssen und daß du zu denen gehörst, die aus einem Kristall entsprungen sind. Ich bewundere und liebe dich aus ganzem Herzen, so daß ich ausschließlich von dir sprechen möchte und ich mich darauf beschränken muß, dir das von der Reise zu berichten, was mich sowie die Vorgänge am Hofe betrifft. Der Caesar war Poppaeas Gast, die ihm im geheimen einen prächtigen Empfang bereitet hatte.[15] Übrigens hatte sie nur wenige der Augustianer eingeladen, aber Petronius und ich waren darunter. Nach dem Mahle segelten wir auf vergoldeten Barken ins Meer hinaus, das so still dalag, als schliefe es, und so wunderbar blau war, wie deine Augen, du meine Göttin! Wir ruderten selbst, denn es schmeichelte offenbar der Augusta, von Konsularen oder deren Söhnen gerudert zu werden. Der Caesar stand in einer Purpurtoga am Steuer und sang eine Hymne zu Ehren des Meeres, die er die Nacht zuvor gedichtet und mit Diodoros' Hilfe komponiert hatte. Auf anderen Barken fuhren indische Sklaven, die auf Meermuscheln zu spielen verstehen; von allen Seiten schwammen Delphine herbei, als seien sie tatsächlich durch die Musik aus Amphitrites Höhlen hervorgelockt worden. Und weißt du, was ich tat? Ich dachte deiner und sehnte mich nach dir; ich hatte den Wunsch, dieses Meer, diese Ruhe, diese Musik für dich einzufangen und dir alles zu geben.

Möchtest du wohl einst fern von Rom am Meeresstrande mit mir leben, meine Augusta? Ich besitze auf Sizilien ein Gut mit einem Mandelwalde, der im Frühjahr rosenrot blüht und sich so nahe am Gestade hinzieht, daß die Spitzen der Zweige beinahe ins Wasser tauchen. Dort werde ich dich lieben und der Religion nachleben, in der mich Paulus unterweist, denn jetzt weiß ich, daß sie der Liebe und dem Glücke nicht feindselig entgegentritt. Möchtest du das? ... Bevor ich aber die Antwort aus deinem geliebten Munde vernehme, will ich dir weiterberichten, was in der Barke vorging. Als die Küste schon weit hinter uns lag, bemerkten wir in der Ferne ein Segel, und bald entstand ein Streit darüber, ob es einem Fischerkahne oder einem Lastschiffe aus Ostia angehörte. Ich entdeckte es zuerst, und die Augusta bemerkte darauf, meinen Augen bleibe offenbar nichts verborgen; plötzlich ließ sie den Schleier fallen und fragte mich, ob ich sie so erkennen würde. Petronius antwortete sofort, es sei unmöglich, selbst die Sonne hinter einer Wolke[16] zu entdecken; sie aber sagte, scheinbar im Scherz, nur die Liebe vermöge einen so scharfen Blick wie den meinen zu verdunkeln, zählte verschiedene Augustianerinnen auf und fragte oder suchte zu erraten, welche ich liebe. Ich antwortete ruhig, aber endlich nannte sie auch deinen Namen. Als sie von dir sprach, schlug sie den Schleier wieder zurück und schaute mich bösen und forschenden Blickes an. Ich bin Petronius wirklich dankbar, der in diesem Augenblicke den Kahn wandte, wodurch die allgemeine Aufmerksamkeit von mir abgelenkt wurde. Denn hätte ich über dich verächtliche oder höhnische Worte vernommen, so hätte ich mich vor Wut nicht halten können, und der Wunsch wäre in mir aufgestiegen, diesem verruchten, verworfenen Weibe mit dem Ruder das Haupt zu zerschmettern .... Erinnerst du dich daran, was ich dir am Abend vor meiner Abreise in Linus' Hause über den Vorfall am Teiche des Agrippa erzählte? Petronius fürchtet daher Gefahr für mich und hat mich noch heut gebeten, die Eitelkeit der Augusta ja nicht zu verletzen. Allein Petronius versteht mich nicht und weiß nicht, daß es außer dir für mich weder Genuß noch Schönheit noch Liebe gibt und daß ich für Poppaea nur Ekel und Verachtung empfinde. Du hast meine Seele schon völlig umgewandelt, so daß ich nicht imstande wäre, zu meiner früheren Lebensweise zurückzukehren. Doch fürchte nicht, daß mir hier ein Unglück zustoßen könne. Poppaea liebt mich nicht, denn sie ist überhaupt unfähig zu lieben, und ihr Verhalten entspringt nur dem Grolle über den Caesar, der noch immer unter ihrem Einflusse steht und der sie möglicherweise sogar noch liebt, trotzdem er keine Rücksicht auf sie mehr nimmt und sich nicht mehr die Mühe gibt, seine Schamlosigkeiten und Ausschweifungen vor ihr zu verbergen. Zum Schluß will ich dir noch etwas mitteilen, was dich beruhigen wird. Petrus sagte mir beim Abschied, ich brauchte den Caesar nicht zu fürchten, denn es werde kein Haar von meinem Haupte fallen, und ich glaube ihm. Eine innere Stimme sagt mir, daß jedes[17] seiner Worte in Erfüllung gehen muß, daß er unsere Liebe gesegnet hat und daher weder der Caesar noch alle Götter der Unterwelt noch die Schicksalsmächte selbst imstande sind, mich von dir zu trennen, meine Lygia! Wenn ich daran denke, bin ich glücklich, als wäre ich im Himmel, der allein Seligkeit und Ruhe bietet. Aber vielleicht verletzen dich als Christin meine Äußerungen über den Himmel und die Schicksalsmächte? In diesem Falle verzeihe mir, denn ich sündige unbewußt. Christus hat meine Seele noch nicht geläutert, mein Herz gleicht einem leeren Becher, den mir Paulus von Tarsos mit eurer süßen Lehre anfüllt, die für mich um so süßer ist, weil sie auch die deine ist. Du, meine Göttin, mußt wenigstens das mir zum Verdienste anrechnen, daß ich den Trank, der früher in dem Becher war, weggegossen habe und diesen nicht zurückziehe, sondern verlangend ausstrecke wie ein Durstender, der an einem klaren Quell steht. Laß mich Gnade in deinen Augen finden. In Antium soll Paulus Tag und Nacht um mich sein und mir predigen. Schon am ersten Reisetage hat er auf meine Leute solchen Einfluß gewonnen, daß sie ihn unaufhörlich umringen und in ihm nicht nur einen Wundertäter, sondern beinahe ein überirdisches Wesen erblicken. Gestern sah ich sein Antlitz vor Freude strahlen, und als ich ihn fragte, was er tue, antwortete er: Ich säe. Petronius weiß, daß er sich unter meinen Leuten befindet und wünscht ihn zu sehen, ebenso Seneca, der von ihm durch Gallo gehört hat. Aber schon sind die Sterne erblaßt, und nur der Lucifer1 strahlt immer heller. In kurzem wird Aurora das Meer rosenrot färben – alles um mich her schlummert, nur ich denke deiner und liebe dich. Sei mir gegrüßt zugleich mit der Morgenröte, sponsa mea!«

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Der Morgenstern.

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 2, S. 15-18.
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