1. Szene.

[20] Mephistopheles, Ithuriel von verschiedenen Seiten.


MEPHISTOPHELES. Wie? Du hier, Ithuriel?

ITHURIEL. Du kennst mich noch? Doch Erinnerung ist ja ein Teil eurer Pein.

MEPHISTOPHELES. Ich kenne dich. Aber hier? In der Tat, deine Gegenwart überrascht mich.

ITHURIEL. Überraschen? Sage, sie erschüttert dich, sie erschreckt dich.

MEPHISTOPHELES. Sie ist nur unerwartet, unangenehm sogar, wenn du willst; denn ich begegne dir nicht gerne.

ITHURIEL. Wirklich?

MEPHISTOPHELES. Ringe ungerne mit dir.

ITHURIEL. In der Tat?[20]

MEPHISTOPHELES. Möchte dir lieber brüderlich die Hand bieten.

ITHURIEL. Genug! Ist's möglich, so sei nur auf einen Moment weniger Satan und bekenn' es: du hassest mich.

MEPHISTOPHELES. Du tust mir unrecht.

ITHURIEL. O, wie käm' auch Wahrheit in ein gefallenes Wesen!

MEPHISTOPHELES. In ein gefallenes? Wer nach Freiheit ringt, fällt nicht. Unabhängigkeit ist Würde.

ITHURIEL. Unabhängigkeit? Sklave! Soll ich mein Wesen enthüllen, soll ein Strahl seiner Glorie deinen zerfleischten Busen öffnen und all die Nattern aufschrecken, die mit ewigen Flammenbissen an deiner Seele nagen? Soll ich das Grab der Verwesung deines Herzens erleuchten, das du mit den bunten Lappen der Hölle behängst?

MEPHISTOPHELES. Keine Bitterkeiten, Lieber! Da der Zufall uns zusammenführt, so laß uns nur ringen auf dem Kampfplatze.

ITHURIEL. Wohl, aber verleugne nicht die einzige unvertilgbare Eigenschaft des Geists und stelle dich, als könntest du einen Unsterblichen täuschen.

MEPHISTOPHELES. Gut! Aber laß uns ruhig aufklären! Was führt den Unsterblichen auf einen Planeten, der seiner Gegenwart unwert ist?

ITHURIEL. Pflicht!

MEPHISTOPHELES. Wie? Diese kleinlichen Geschäfte der armseligen Menschheit wären Wirkungskreis für einen erhabenen Genius?

ITHURIEL. Tugend, Glück ist sein Wirkungskreis. Er ist unermeßlich und umfaßt alles.

MEPHISTOPHELES. Aber diese jämmerlichen Sterblichen, Maulwürfe, rastlos grabend, ohne Zweck; Grillen, ewig zirpend ohne Musik?

ITHURIEL. Sind unsterblich, bestimmt zu unsern Genossen. Heuchler! Daß Ihr das wißt, ist ja euer Wirkungskreis.[21]

MEPHISTOPHELES. Keine Ungeduld, lieber Genius! Vergib meiner Neugierde! Hier? Was suchst du, was kannst du hier suchen?

ITHURIEL auf Faust zeigend. Diesen Unglücklichen.

MEPHISTOPHELES. Faust? In der Tat, ich erstaune.

ITHURIEL. Worüber? Das Schicksal bestimmte mich ihm zum Schutzgeist. Ich gehorche seinem Rufe.

MEPHISTOPHELES. Ich bedaure dich.

ITHURIEL. Du bist ein trefflicher Schauspieler.

MEPHISTOPHELES. Er ist ein armseliger Wicht, ganz deines Schutzes unwert.

ITHURIEL. Nein! Seine Seele floß aus dem Strome der Gottheit wie die meinige und er ist kein gewöhnliches Wesen. Sein Geist steht auf einer hohen Stufe und sein Herz hat Kraft zur Anstrengung und ist großer Tugenden fähig.

MEPHISTOPHELES. Desto sicherer ist es meine Beute.

ITHURIEL. Bist du deiner Sache gewiß?

MEPHISTOPHELES. Ich bin es.

ITHURIEL. Wir wollen sehen.

MEPHISTOPHELES. Auf was baust du deine Hoffnung?

ITHURIEL. Er forscht nach Wahrheit.

MEPHISTOPHELES. Sie ist jenseits, und vergebliches rastloses Forschen gibt ihm den Dolch.

ITHURIEL. Er liebt die Wissenschaften.

MEPHISTOPHELES. Und findet rings um sich Pedanterie und Schellengetöse. Ekel stürzt ihn in Apathie.

ITHURIEL. Er sucht oft die Einsamkeit.

MEPHISTOPHELES. Dem müden Schwelger reicht sie Gift.

ITHURIEL. Er liebt.

MEPHISTOPHELES. Die Weiber, nicht deine Psycharion. Sie ist ja ein Ideal. Die Blumenketten der Weiber sind nur Schlangenfesseln; das weißt du längst. – Und doch, gutmütiger Genius, wolltest du den Kampf um diese Beute mit mir wagen?

ITHURIEL. Ich will, ich muß.[22]

MEPHISTOPHELES. Wohlan! Du wirst unterliegen.

ITHURIEL. Deine Entwürfe sind also so richtig berechnet?

MEPHISTOPHELES. Untrüglich! Er hat große Leidenschaften und sie sind der Zauberkreis der Hölle. Er hat Durst emporzustreben; der Erdball engt ihn und seine umherschweifende Seele stößt an an den Polen. Desto besser! Es wäre mir leicht sie hinzudrängen zur Verzweiflung, zum Selbstmord.

ITHURIEL. Entsetzlich!

MEPHISTOPHELES. Doch das wäre Torheit, das würde die verwegenen Schwingen nur lähmen auf eine Zeit; sie müssen in Asche verwandelt werden.

ITHURIEL. O, daß ich dein Anschauen ertrage! Und deine Pläne?

MEPHISTOPHELES. Vergib, sie sind mein einziges Eigentum. Doch, nenne mir deine Waffen! Ist Allmacht dein Schild, bist du gerüstet zu Wundern, so erspare mir aus Mitleid die Scham der Mißlingung!

ITHURIEL. Nein! Die Gottheit greift nicht gewaltsam in die Räder der Geisterwelt. Meine Waffen sind Tugend und Wahrheit.

MEPHISTOPHELES. Ein Lächeln wäre doch hier wohl verzeihlich?

ITHURIEL. Unglücklicher, erzürne den Rächer nicht! Freiheit des Geists ist dein Kampfplatz. Wirke! Ich werde meine Pflicht tun.

MEPHISTOPHELES. Deine Pläne wenigstens sind kein Geheimnis. Euer Wesen ist ja ein reiner Spiegel.

ITHURIEL. Kein Geheimnis? – Bedenk's! Er ist nicht dein bis zur letzten Stunde des Bunds und ohnmächtig sinkt dein Dolch bis zum letzten Moment der Reue. Ich werde ihn fallen lassen; denn gefallene Tugend hebt durch Reue sich eine Stufe höher. Ich werde deinen trügerischen Schleier lüften und seinen Blick fesseln auf den Abgrund von Elend und Jammer, den du ihm bereitest. Alle Furien deiner Heimat sollen vor seinen Augen vorübergehen. Ich werde hauchen jeden schlafenden Funken seines Ursprungs zur Flamme, die Wolken seines Daseins[23] teilen und ihm öffnen all die Glorie der Tugend, der Hoheit, des Adels der Gefühle, der Wonne zusammenzuschmelzen mit allem, was edel und anmutig und groß ist, einzig zu lieben und geliebt zu sein. – Du zitterst? Unglückliches Wesen, deine Schlangen heben empört ihre Häupter. Ich bedaure dich noch. Entferne dich, ich erlaube dir's! Mephistopheles verschwindet.


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 20-24.
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