9. Szene.

[46] Ein Eremit. Doktor Faust.


DOKTOR FAUST. Was sucht ihr, Vater?

EREMIT. Euer Ruf verkündet den Wohltäter der Armen, und ich bin sehr arm.

DOKTOR FAUST halb abwärts. Seltsam genug, daß ein Mönch mein erstes Probstück ist.[46]

EREMIT. Ich borge mein Dasein dem Mitleid ab und bitt' euch um eine Gabe.

DOKTOR FAUST. Was ist dein Handwerk?

EREMIT. Beten.

DOKTOR FAUST. Ein nützlicher Weltbürger!

EREMIT. Und schweigen.

DOKTOR FAUST. Recht so, Vater! Bist du ein Tor, so schweige; bist du ein Weiser, o so schweigst du ewig.

Was führte dich in diese Kutte?

EREMIT. Reue und Buße.

DOKTOR FAUST ihn beobachtend. Brenner, du bist's?

EREMIT. Faust! Ich dachte dich nie wieder zu sehen.

DOKTOR FAUST. Wie kommst du hieher, und in dieser Larve?

EREMIT. Mein Stundenglas lief zu Ende, vollendet der Bund, da flüchtete ich in eine einsame Zelle am Fuße der Apenninen.

DOKTOR FAUST. Wie? Einsamkeit, wähnt' ich, sei der Schutzgeist der Tugend, und du?

EREMIT. Da wich Satan.

DOKTOR FAUST. Wirklich?

EREMIT. Und zerrissen waren die diamantnen Ketten.

DOKTOR FAUST. Brenner! Und du hattest den Mut zu entsagen allen Freuden des Lebens, in diesem härenen Gewande zu dulden all seine Beschwerden und Mühseligkeiten? Wahrlich, ich ahndete diese Kraft nicht in dir.

EREMIT. Gebet gibt Kraft dem Schwachen.

DOKTOR FAUST. O armseliger Teufel, den eine Kutte entwaffnet.

EREMIT. Faust, entsag' ihm, eh' die Glocke schlägt!

DOKTOR FAUST. Und da müßt ich –?

EREMIT. Beten und Buße tun in Staub und Asche.

DOKTOR FAUST. Ha! Lösche erst die Flammen dieses Busens! Heuchler, fleuch! Daran erkenn' ich dich! – Nein,[47] nein! Wer nicht Tugend in die Zelle bringt, findet dort Satans Werkstätte. Fleuch und verbirg dich vor mir auf ewig, denn der Heuchler bewohnt die siebte der Höllen. Eremit ab.


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 46-48.
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