1. Szene.

[55] Mephistopheles. Doktor Faust.


MEPHISTOPHELES. Da sind wir! Die Zeit des Genusses verstreicht unter rastlosen Wanderungen.

DOKTOR FAUST. Laß sie verstreichen! Sehen wir doch Länder – und das ist auch das Beste am ganzen Erdball. O, das Feld ist ein so traulicher, bescheidner, verschwiegener Freund! Such dir solch einen unter den Menschen!

MEPHISTOPHELES. Was willst du denn aber in der Residenz des Fürsten, lieber Faust?

DOKTOR FAUST. Seit wann diese Vertraulichkeit?

MEPHISTOPHELES. O, wir rücken näher zum Ziele. Denk' an Brenner! Die Zeit der Kameradschaft ist nicht fern.

DOKTOR FAUST. Skorpion, verhülle deinen Basiliskenblick! – Wahrlich, du bist ein armseliger Komödiant.

MEPHISTOPHELES. Machen wir auch hier Glückliche?

DOKTOR FAUST. Höhne nicht! Schweig und gehorche, oder beim allmächtigen Siegel der Magie, ich klemme deine Seele ein zwischen Bewußtsein und Reue und presse so alles Mark deiner Sünden aus deinem faulenden Wesen!

MEPHISTOPHELES. Zürne nicht, Gebieter, ich gehorche und schweige.

DOKTOR FAUST. Gut![55]

MEPHISTOPHELES. Was soll ich?

DOKTOR FAUST. Mir ekelt meiner Macht. Satan, du sahst Ihn ja einst von Antlitz zu Antlitz?

MEPHISTOPHELES. Erbarmung, Gebieter, du zermalmest mich.

DOKTOR FAUST. Hast du Sinn für eine einsame Gottheit? Meine Seele muß sich ausdehnen auf verwandte Wesen, oder in Dünste zerfließen. Wozu nützt mir dein Gold, als den Erdkreis zu verpesten? Weisheit ist die Mutter des Glücks. Ich will Weisheit sammeln und sie segnend über den Erdball gießen und ihn schmücken mit ewig jugendlicher Glorie.

MEPHISTOPHELES. Großer Magus! Liebling Salomonis –

DOKTOR FAUST. Schweig! Diese Angel ist nur für die leichten Truppen deiner Hölle. Vergebens preß ich an dieser toten, verbrannten Gegenwart; statt Tau gibt sie mir Tränen und Ekel. Ich will denn zurück; ich will saugen an der großen Vergangenheit; ich will noch einmal Wonne atmen aus dem Anschauen ihrer hohen Bürger und Weisheit aus ihren Lippen. Zurück in den majestätischen Schoß der grauen Vorzeit. Rufe mir ihre unsterblichen Männer!

MEPHISTOPHELES. Wen verlangst du?

DOKTOR FAUST. Meine Freunde, Sokrates, Cato und Solon.


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 55-56.
Lizenz:
Kategorien: