11. Szene.

[91] Mephistopheles. Doktor Faust.


MEPHISTOPHELES. Was wirfst du mir vor?

DOKTOR FAUST. Ungeheuer, du erscheinst noch vor mir?

MEPHISTOPHELES. Sprich, fordere Rechenschaft! Hier bin ich!

DOKTOR FAUST. O daß ich allen Jammer der Schöpfung seit deinem Fall zusammenpressen könnte in einen Laut, um, wär's möglich, dein Wesen damit zu zermalmen!

MEPHISTOPHELES. Versuch' es!

DOKTOR FAUST. O ohnmächtige Allmacht! Harmonie des Ganzen war dein großes Gesetz, und du läßt es scheitern an diesem Wesen? Vernicht' es, wenn du kannst, oder entsage deinem Plane!

MEPHISTOPHELES. Gut! Murre, fluche der Vorsicht, die Stunde der Verwandlung naht.

DOKTOR FAUST. Ein Engel würde murren, wenn Satan Rechenschaft fordert.[91]

MEPHISTOPHELES. Wes klagst du mich an?

DOKTOR FAUST. Wessen? Am Abend leuchtet mir eine furchtbare Röte. Wer tötete in mir dies wohltätige Ahnden veredelnder Unsterblichkeit, das die Welt in ihren Angeln hält?

MEPHISTOPHELES. Dein Herz!

DOKTOR FAUST. Wer schlich sich in die tiefsten Abgründe meiner Seele, zog herauf den unmerkbarsten Keim der Schwachheit, begoß ihn mit der Gelegenheit, der Schmeichelei schwellendem Gifte, und zog ihn groß zum Laster? Wer hauchte jeden Funken von Tugend zur Flamme des Lasters? Ach! Meine Tugenden selbst wurden Laster unter deiner vergiftenden Hand. – Und ich war tugendhaft! Rein meine Seele von Druck und Raub. Hoch pochte mein Herz für Menschenglück und Menschenrechte. Und doch dein!

MEPHISTOPHELES. Mein! Mensch! Habe alle Tugenden und eine Leidenschaft, so bist du mein!

DOKTOR FAUST. Ha! So wäre dieses Dasein nur eine Mausfalle! Aufgestellt dich zu belustigen? Wer ist ohne Leidenschaft? Wer entrönne ihr?

MEPHISTOPHELES. Der sie alle beherrscht! – Faust, sei gerecht, denn auch Satan ist es. Als die ganze Schöpfung dir nicht genügte, riefst du nicht: Satan?

DOKTOR FAUST. O wahr, leider, wahr!

MEPHISTOPHELES. Und du forderst, er sei ein Engel? Sterbliche! Ihn ruft ihr rastlos zu Gericht, wenn der anklagende Engel dort eure Schuld niederschreibt. Toren! Denkt ihr damit einen Pardonbrief zu erschleichen für euer Herz? – Genuß hatte deine Sinne gestumpft. Da erwachte dein Geist und ward ein Schwelger wie sie, schwamm umher in der Wissenschaft grundlosem Meere, ohne Steuermann; flog in ihm fremde Regionen mit Fittichen von Goldpapier; strebte, rastlos getrieben von verworrener Ahndungen Stachel, vorwärts, aufwärts – und fiel! Und darüber klagst du mich an?

DOKTOR FAUST. Ha, Elender! Ich kehrte zurück an den Busen der Natur, und du verfolgtest mich!

MEPHISTOPHELES. Wahr! Ausgespannt ist mein Netz über die ganze Menschheit; denn seine Fäden spinnt Leidenschaft.[92] Nahe dich ihm, dringe vorwärts, rückwärts, seitwärts; ihre Schlingen verweben sich dichter! – Horch! Die Uhr schlägt. Die Glocke schlägt!

DOKTOR FAUST. Verräter! Ich hatte nur eine Leidenschaft und sie war nicht aus deinem Reiche; sie war: zu beglücken!

MEPHISTOPHELES. Wahr! Aber Tugend ist nur: Glückliche zu wissen. Faust, bedenk's! Du wünschtest dir Macht, und Macht ist der geborne Mörder der Tugend. Du hast erlangt, was du wünschtest. Ich hielt dir Wort. Halte das deinige!

DOKTOR FAUST. Du täuschtest mich! Du versprachst mir Glück.

MEPHISTOPHELES. Ich gab, was ich hatte, was du fordertest. Horch! Die Uhr schlägt. Die Glocke schlägt! Eins, zwei, drei – ein Vierteil einer Stunde noch, und du bist mein! Fasse dich!

DOKTOR FAUST. O weh mir! – Nein! Nein! Meine Seele ist nicht dein, sie ist frei – so lang sie ist in der unermeßlichen Reihe der Wesen! Und wäre sie ein Atom, so steht sie unter der Allmacht Obhut! Ich trotze deinem Grimme.

MEPHISTOPHELES. Elender! Ist der Mensch nicht ein freies Wesen? Sein Wille fessellos wie ein Gott? Beschwurst du nicht freiwillig den Bund?

DOKTOR FAUST. Ueber fremdes Eigentum! – Zittre! Ich kann niederfallen im Staub und anbeten und versinken in den Schoß des Allerbarmers, vor dessen Stimme die Hölle erbebt!

MEPHISTOPHELES. Wag es und bete! Verschwindet.

DOKTOR FAUST niederfallend, dann aufstehend; mit Verzweiflung ringend. O weh mir! Ich vermag's nicht! Ich bin verloren! Hohngelächter. Ha, was ist das? Der Hohn der Hölle? – O weint, Engel des Himmels! Zerfließt in Tränen! Heule, Unschuld und Tugend, die Hölle lacht! – Wo bist du, Vergangenheit? Daß ich noch einmal, zum letztenmal dich im täuschenden Wahnsinn an meinen Busen drücke! – Hinweg, Kamäleon der Zukunft! Hinweg! Hinweg! Ich hasse[93] dich, ich entsage dir! Vernichtung, umschlinge mich mit deinem zermalmen den Arme! Fest! Fest! – Noch fester! Pause.

Oh! Oh! Wie ist mir? Glut in allen meinen Adern! Hab ich euch erwürgt, blutige Gespenster? – Ha, der Hölle Angst rast in meinem Gebein! – Luft! Luft! – Pause.

Grundlos ist der Barmherzigkeit Tiefe. Ich wag's! Zur Erde, halsstarrige Knie! – Umsonst! Umsonst! Furchtbarer Richter! Erbarmung! Schleudre mich hinaus mit deinem rächenden Blitze aus der Reihe der geschaffnen Wesen! Pause.

Ich will mich fassen! In des Jammers voller Schale ist auch Trost! – O mein Vater, mein Vater! – Was ist das? – Auch Erinnerung ist Satan? Meine Mutter! Mein Sohn! Auf ewig seid ihr für mich dahin! – Reißt, reißt, des Herzens zarteste Adern! – Oh! Oh! Flucht meinem Andenken nicht! Zerstäub' es, Schwinge der Zeit! Ich lasse ja keine Stätte zurück, eure Tränen aufzunehmen. – Fausts Vater, Fausts Mutter, Liese, Gürgel im Hintergrund erscheinend, in der Haltung der Verzweiflung, ihre Arme gegen Faust ausstreckend. Vater! Mutter! Weib! Sohn! In furchtbarer Verzweiflung; die Erscheinung verschwindet.

Ha! Auch dies noch, Satan! Du kennst den Dolch des Bewußtseins! Du hast ihn geschmiedet!

O Elemente, bedeckt mich! Verschlinge mich, Abgrund! Pein der Verdammten, ich lache dein! Kühlende Flammen der Hölle, schlagt zusammen über das von der Natur gebrandmarkte Wesen! Ergreife mich, Satan, oder ich erwürge dich selbst! Oh! Oh! – – Die Glocke schlägt zwölf; Flammen fahren auf, Geister umringen ihn und entführen ihn in der Luft.

Fußnoten

1 Im Original: Mephistophiles.


2 So läßt Lessing in der bekannten einzig noch vorhandenen Szene seines Fausts den Geist antworten. Verdient meine Idee neben der seinigen zu stehen? Das entscheide der Menschenkenner.
[94]

Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 91-95.
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