An einen Freund

[268] Auf! scheuche, mein Lieber, mit muthigem Sinn

Den Unmuth, die finsteren Grillen dahin;

Sie rauben Dir Ruhe und Freude und Glück,

Auf! scheuche sie fort in den Orkus zurück!


Wer so, im Gefühle von geistiger Kraft,

Die Räume berechnet und Welten erschafft,

Die Schönheit der Griechen zu forschen versteht,

Der wird von dem Hauche der Götter umweht.


Ihm blühet die Schöpfung in festlicher Pracht

Am rosigen Morgen, in mondheller Nacht:

Weit höhere Schönheit auf blumiger Flur

Enthüllet ihm gütig die Mutter Natur.


Ihm kränzen die Musen den Becher mit Wein,

Gereifet an Zyprien's schattigem Hain;

Ihm winket die Lust nach sokratischem Sinn,

Sie reisset zu Plato's Altären ihn hin.


Ihm hebt sich gefühlvoll die männliche Brust

Am Busen des Freundes zu himmlischer Lust,

Er dünkt, ohne Freundschaft, sich elend und arm,

Und glühet für höhere Liebe so warm.
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Und träf ihn auch wirklich der Edleren Loos,

So lacht er der Neider, und handelt stets gross.

Einst führt ihn sein Engel mit liebender Hand

Durch Wonnegefilde in's bessere Land!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 268-270.
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