Zehnter Auftritt

[29] Rocco. Leonore.


Rezitativ


LEONORE.

Nun sprecht, wie ging's?

ROCCO.

Recht gut, recht gut!

Zusammen rafft' ich meinen Mut

Und trug ihm alles vor;

Und sollst du's glauben,

Was er zur Antwort mir gab?

Die Heirat und daß du mir hilfst, will er erlauben;

Noch heute führ ich in die Kerker dich hinab.


Duett


LEONORE ausbrechend.

Noch heute, noch heute!

O welch ein Glück! O welche Wonne!

ROCCO.

Ich sehe deine Freude;

Nur noch ein Augenblick,

Dann gehen wir schon beide –

LEONORE.

Wohin?

ROCCO.

Zu jenem Mann hinab,

Dem ich seit vielen Wochen

Stets weniger zu essen gab.

LEONORE.

Ha! – Wird er losgesprochen?

ROCCO.

O nein!

LEONORE.

So sprich!

ROCCO.

O nein, o nein!


Geheimnisvoll.


Wir müssen ihn, doch wie? befrein!

Er muß in einer Stunde –

Den Finger auf dem Munde –

Von uns begraben sein!

LEONORE.

So ist er tot?

ROCCO.

Noch nicht, noch nicht.

LEONORE zurückfragend.

Ist ihn zu töten deine Pflicht?

ROCCO.

Nein, guter Junge, zittre nicht,

Zum Morden dingt sich Rocco nicht.

Der Gouverneur kommt selbst hinab,

Wir beide graben nur das Grab.[30]

LEONORE beiseite.

Vielleicht das Grab des Gatten graben,

O was kann fürchterlicher sein?

ROCCO.

Ich darf ihn nicht mit Speise laben,

Ihm wird im Grabe besser sein. –

Wir müssen gleich zu Werke schreiten,

Du mußt mir helfen, mich begleiten;

Hart ist des Kerkermeisters Brot.

LEONORE.

Ich folge dir, wär's in den Tod.

ROCCO.

In der zerfallenen Zisterne

Bereiten wir die Grube leicht.

Ich tu es, glaube mir, nicht gerne;

Auch dir ist schaurig, wie mich deucht?

LEONORE.

Ich bin es nur noch nicht gewohnt.

ROCCO.

Ich hätte gerne dich verschont.

Doch wird es mir allein zu schwer,

Und gar so streng ist unser Herr.

LEONORE für sich.

O welch ein Schmerz!

ROCCO für sich.

Mir scheint, er weint.


Laut.


Nein, du bleibst hier – ich geh alleine,

Ich geh allein.

LEONORE innig sich an ihn klammernd.

O nein, o nein!

Ich muß ihn sehn; den Armen sehen,

Und müßt' ich selbst zugrunde gehen.

ROCCO UND LEONORE.

So säumen wir nun länger nicht,

Wir folgen unsrer strengen Pflicht.


Quelle:
Ludwig van Beethoven: Fidelio. Stuttgart 1970, S. 29-31.
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