Der vierte Aufzug

[79] Vor einem Vorhang.


DER DICHTER.

Kein Schlaf ... Die Sterne löschen ... Ganz die Nacht

Ging schon vorbei – Die Glocken schlugen Morgen ...


Stille.


Und Ruf um Ruf ... und Last um Last ...

Vielspältiges regt in mir so schwere Fragen –

Ich weiß die Antwort nicht, weil eine Menschheit

Mir keine Antwort schenkt auf alles Lied

Und keine Hand auf meine hingereckte –


Stille.


Dort unten glänzen grell und grün die Lichter[79]

Der Glasfabrik. Ein Frühlärm schwirrt hinauf

Zur Höhe hier ... Ich bin so sehr allein

Und trage Licht und finde nicht die Nacht

Für dieses Licht und breche an mir selber ...!


Er spricht das Folgende in die Zuschauer.


Ihr! ihr! Bereitet mir die Pfade!

Seht doch, ich stürme unter euch, die Fackel

Rot in geschwungener Hand. Empfangt mich doch!

Umdrängt mich doch! Ich bin des Segens voll!

Öffnet mir weit

Der Irrenhäuser Tore, daß ich zündend

Des blöden Lachens trübe Spinnennetze

Verwandle in ein glühendes Geäst!

Verworfne Leichen brechet auf vor mir –!

Ich hebe euch aus stinkender Verwesung

Blinkend den Stern, daß ihr zu Boden brecht

Vor Glanz und Glut! Donnernd gewölbte Hallen

Mit finstrem Himmel: schweren Wolken Rauch,

Gepreßt aus Leibern stöhnender Maschinen

Bestreue meiner Fackel heiliges Blut!

Tut auf! Tut auf! Ich will die Bilder recken,

Zu Göttern türmen – Ewiges Geschlecht –


Er bricht nieder. – Stille. Dann sich aufrichtend.


Nichts anders! Scheu ist hier Vermessenheit.

Aus tiefster Reinheit brennen meine Ziele:

Ich will die Welt auf meine Schultern nehmen

Und sie mit Lobgesang zur Sonne tragen.


Stille. – Auf und nieder.


Doch vorher zerren mich noch Fäuste – Fäuste –

Hart durch den Fels, den ich so lange mied.

Ich dulde nicht Feigheit. Meiner Kreise Umlauf

Darf jenseits nichts belassen, was nach Möglichkeit

Er in sich schließen könnte. Ich darf nicht weichen,

Zwingt mich der Wille auch vor einen Berg.

So ist es hier. Ich muß ein Tagwerk tun.

Qual scheint ein guter Dünger. Ich will Frucht.

Stumpft es die Glieder auch, ich leide es.

In wundem Herzen fängt sich leicht die Wurzel.


Stille.[80]


Wird's nicht bald Tag? O Qual!

Erlösung! Höher! Aus des Leibes Not

Reckt sich die Seele frei zu ihrem Werk –

Aus dumpfen Fragen spinnt sie Seile Lichtes,

Aus ihrer Sehnsucht spinnt sie sich zu Gott!


Er kniet nieder, den Rücken gegen den Schauraum, das Antlitz tief geneigt.


Ihr Eltern senkt bisweilen eure Blicke

In meinen Grund um Frage – Ich will reden.

– Mädchen, und du – –


Der Vorhang teilt sich. Die Bühne ist finster, nur links im Mittelgrund sieht man in einer Helle dieses Bild: ein frisch aufgeworfenes Grab von der Längsseite sichtbar. Links an des Grabes Kopfende aufrecht die Gestalt des Mädchens ohne Bewegung.


DIE GESTALT DES DICHTERS aufrecht hinter dem Grab. Er sät in die frische Erde, bückt sich zuweilen und greift in ein – unsichtbares, durch das Grab verdecktes – Gefäß mit Blumensamen.

Der Samen ist vermengt, die Saat wird bunt.

Frühling soll auf dem Grabe wuchern! Lieb,

Sä' aus! Sä' aus! mit beiden Händen säe!

Es ist ein Grab in dir. Schlag an den Sarg,

Ruf Auferstehung, schlage das Zeichen des Frühlings!

Sä' in dich! Säe: Veilchen, Freude-Tränen!

Sä' in mich: einen hohen Freudewunsch! ...

Oder hol Wasser, besprenge die fröhliche Aussaat!


Er sät aus vollen Händen, das Mädchen verharrt reglos.


Ruht schön, ihr Eltern, Liebe ...! Seht, ich tilgte

Euch eure große Qual in diesem Bett.

Zärtlich bettet Kinderliebe! So einst bettetet

In Brautumarmung zwischen Küsse ihr

Und Lust mich. Zärtlich bettet Elternliebe! –

Vater, als mein Werk sich aus deinem wollte,

Mußte der Mutter Leib dir ehelich werden,

Daß es erwachse. Sorglich waltet Kosmos.

Du, Zeuger, wurdest nun erlöst durch deine Zeugung.

Durch mich! Durch alle Sehnsucht deiner Zeugung. –[81]

Es schloß sich der Kreis. Frucht wich der Frucht. Blüht, Blüten!

Ein frohes Mal sei dieses Grab! Hier ward

Große Vollendung nach Gesetz und Güte.

Schön sprossen Blumen und der Segen bricht!


Kurze Stille. Dann spricht er zum Mädchen.


Finde auch du, Lieb, Stege ewiger Güte

Aus deiner Lichtmacht in das große Licht!


Die Erscheinung verschwindet. Der Dichter bleibt kniend.

Es ist unterdessen heller geworden. Man erkennt das Bühnenbild: Auf einer Höhe bei Jena. Vor freiem Himmel. Rechts ein kleines thüringisches Bauernhaus. Rings felsiger Boden, Gras in Spalten, einzelne lose Steine. Rechts im Vordergrund: eine Kiefer. Ein Weg kommt links herauf, dort ein paar Sträucher.


DER DICHTER knieend.

Meere! Neu-Meere! Nie betretene Küsten!

Menschen! Licht-Menschen! Nie geliebte Liebe!

Stern-Sterben! Tod-Rausch! Nie geschluchztes Lied!

Zu fremden Ufern biege mir die Segel,

Du meines Schweigens wundersame Macht!


Er erhebt sich. – Stille. – Frührot.

Das Mädchen tritt aus der Tür des Hauses. Sie hat einen grauen Mantel übergeworfen.


DER DICHTER. Du bist sehr früh, mein Lieb ...

DAS MÄDCHEN. Warum wachtest du?

DER DICHTER. Ich wachte um einen Entschluß. Liebe, mein Werden zwingt mich in einen neuen Kreis: ich habe mich lange bedacht, denn dieser Weg hat soviel Qual für mich, schwerste Qual. Ich werde in einen Beruf gehen. Es ist nicht Notwendigkeit, denn ich könnte auch von meinem Freunde borgen, – er hat sich mir ganz zur Verfügung gestellt – aber in mir ist es Notwendigkeit.

DAS MÄDCHEN. Ich verstehe dich ... Was willst du tun ...?

DER DICHTER. Ich weiß nicht ... Es wird von selbst ... Wir werden in die Stadt ziehen ...[82]

DAS MÄDCHEN. Es war so schön hier. So frei ... Aber tu, was dir gut ist. Alles, was du tust, ist gut.

DER DICHTER küßt ihr Haar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

DAS MÄDCHEN. Ich habe auch die Nacht gewacht ... Weißt du – das Kind ...


Stille.


DER DICHTER.

Mein Mädchen, ich ahne – Es geschah in dir

– Du bist so licht –

DAS MÄDCHEN bebend am Leibe.

Ich tu nach dir, du Lieber,

Und bleibe Mutter und mein Kind bleibt mein.


Umarmung. Die Sonne geht auf.


DER JÜNGLING.

Du hast den Weg zu dir gefunden, Liebe,

Es ging die Eitelkeit, es kam die Demut.

Du weißt nun viel – Wie glänzt die Sonne schön

Und tausendmal in deinen Tränen...

DAS MÄDCHEN.

Nie noch

Sah ich die Sonne herrlich so...

DER JÜNGLING.

Du weißt nun viel.

Und über jedem Wissen, das wir litten,

Hebt sich die Sonne strahlender nur auf,

Und wir mit ihr, mit Augen und mit Herzen!

Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 79-83.
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