Achtes Bild


[226] Mattenkapitel: Die minderen Brüder erfüllen die Ebene. Nur ärmliche Hütten aus Strohmatten unterbrechen die dichtgedrängte Menge der Mönche, die sich weit ringsum dehnt, ein Feld der Geringen. Ihr Vater Franziskus steht mitten unter ihnen auf einer kleinen Anhöhe predigend.


DER HEILIGE VATER.

Ihr fünfmaltausend Brüder! Süße Herde!

Der Herr gibt Sieg! Der Herr gibt Sieg! Seht, zahlreich

Wie Meeressand, fruchtbar unüberwunden

Ist eure Menge, die Er durch den Ärmsten

Und Mindersten der Mindren

Zeugte, der Allerbarmer! Meine Brüder

Fünftausend! Ihr habt euch der Welt enteignet

Und greift das Himmlische mit beiden Händen,

Ihr selig Reichen,

Sofern ihr Gott erfüllt, was ihr versprochen.

Bringt weiter Frucht! Bringt weiter Frucht! Blüht, Brüder!

Ihr tragt der Welt die Ewigkeit entgegen,

Tragt ihr mit vollen Händen süßes Heil

Und ewigen Bestand, ewige Wonnen

Vom Heiland zu, der Sich für uns enterbte

Der angestammten Herrlichkeit. O Brüder,

Bringt weiter Frucht! Die Welt beseligend!

Krankheiten heilend, die Aussätzigen

Reinend; wo immer Jammer ist und Fehde

Und wankendes Bestehn,[226]

Tragt ihr das Saatkorn zu, das den Gott-Vater,

Den Süßen birgt zu heiler Süße, zu

Süß blühendem Gedeihn. Dies Saatkorn ist

Des Sohnes Wort, des Heiligen Geistes Hauch.

O reiche Ritter, überreiche Ritter!

Heersturm des Herrn, verbrüdert mit den Scharen

Stürmender Engel, die den Satan bannen

Ins unterste Bereich! – Habt kurz die Summe,

Geliebte Brüder, Summe der Liebe, hört:

Armut: Herr Jesus Christ ist arm geboren,

Arm kam Er her vom Stern

Des Jenseits aus dem Schöße Seines Vaters.

Hat arm gelebt, Armut gelehrt, ist arm

Dahin. O Armut, edle Liebe Christi,

Wahrhaft erwählte Braut! Sie blieb am Kreuz

Nackt ausgespannten Arms

Ihm treu; Maria selber mußte drunten

Verbleiben. Liebt deshalb die heilige Armut! –

Keuschheit: Wie innig Jesus Keuschheit liebte,

Sieht das beschauende Aug

In der jungfräulichen Geburt des Herrn.

Er hüllte Sich in reinster Jungfrau Fleisch,

Sich, die wandelnde Liebe. Welch ein Mensch!

Drum, Lämmlein, trügt euch um den Zarten nicht,

Ihr habt Ihn sichrer unbeweibt. Er riet

Die reine Jungfrauschaft, und Er bewahrte

Dies unberührte Gut, und Er schied hin

Erblassend zwischen Jungfraun. Reiner Christus! –

Zuletzt Gehorsam: Er hielt Gott Gehorsam

Rein von der Krippe bis zum Kreuz. Schaut auf Ihn!

Gehorsame der heiligen Kirche seien

Die Minderen, nicht selbstisch, keine Ketzer!

Die heilige Kirche ist die nährende Mutter,

Ihr liegt an ihrer Brust. Ja, Brüder Schäfchen!

Drum irrt nicht in die Dornen! Vieler Abfall,

So sah ich im Gesicht,

Wird kommen in den Zeiten, schreckliche

Verwirrung, die sich für die Wahrheit ausgibt.

Nacht wird Tag heißen, Morgenröte nennen[227]

Die Sänger die Lohe ihres Untergangs.

Ich sah das alles, Brüder! – Zeiten nahen,

Da ist die Liebe lau, und Menschen werden

Gebrandmarkt, die nicht leere Worte reichen,

Und die die Hände tragen voller Flammen

Der Himmelsleidenschaft. O Brüder, Streite

Gibt es noch viel! – Ihr aber habt die Liebe,

Die sich gekreuziget um unseretwillen,

Im Herzen rein in steter Anbetung!

Bewahrt das Band! Seid demütig im Glück!

Im Unglück frohe, in der Trübsal Milch

Und süße Labsal immer noch! Habt Frieden

Mit Gott, mit euch, mit allen Friedenskindern!

Brecht Segen euren Feinden! – Nun laßt beten

Uns zu der unerschaffnen, benedeiten,

Himmlischen Liebe! Kniet!


Der Heilige kniet, und die Fünftausend neigen sich wie Weizen vor dem Wind.


DER HEILIGE hebt an.

O Vater unser ...!

Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 226-228.
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