16. Der geschundene Geißbock.
(Oberpfalz: Amberg.)

[25] A mal is a Schneida gewesen. Der hat an Geißbock ghabt und weil er gar bös geworden, hat ern abg'stochen. Da wollt er ihm die Haut abziehen. Als er die Haut halbet herunt hatte, wurde der Bock auf einmal wieder lebendig und lief davon, in Wald hinein und versteckte sich in einer Felsenhöhle. Da es Nacht wurde, kam ein Hase und wollte darin nächtigen. Da sagte der Bock: »Halbet gschunden, halbet gschobn, wennst ma hergehst, stich ich dich durchaus mit mein krumpen Horn.« Da getraute sich der Hase nicht hinein, er setzte sich außen hin und weinte. Da kam ein Fuchs und sagte: »Brüderl, warum weinst du?« Da sagte der Hase: »Ich wollte da nächtigen, getrau mich aber nimmer, weil etwas Schrecklichs drin is, das sagte: Halbet gschunden,[25] halbet gschoben, wennst ma hergehst, stich ich dich durchaus mit mein krumpen Horn.« Da sagte der Fuchs: »Laß nur mich hinein!« Es ging ihm aber wie dem Hasen und er setzte sich hin und weinte. Da kam ein Rabe und wollte auch nächtigen und er fragte: »Brüderl, warum weint ihr?« Und beide erzählten das Schreckliche. Der Rabe meinte: »Laßt nur mich hinein!« Aber es ging ihm wie den beiden andern. Auch er setzte sich hin und weinte. Da kam eine Hummel gesummt und fragte: »Brüderl, warum weinet ihr?« Und sie erzählten ihren Jammer. Da sagte die Hummel: »Laßt nur mich hinein!« Und die Hummel summte hinein und stach den Bock auf den Hintern; der fing das Laufen an und wenn er nicht aufgehört hat, so lauft er heute noch.


Aufgeschrieben durch Frau Anna Bauer, Kassierswitwe in Amberg, 1900. (Urschrift; teilweise mundartlich, teilweise hochdeutsch stilisiert.)

Quelle:
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Würzburg 1914, S. 25-26.
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