Zweiundfünfzigstes Capitel

[539] Die Behauptung von Felix' vielgewandtem Kammerdiener betreffs der Unwiderstehlichkeit seines Herrn in Liebesaffairen war zwar als eine Beleidigung des schönen Geschlechts im Allgemeinen und des in der Küche versammelten, weiblichen Dienstpersonals im Besonderen von diesem letzteren auf's heftigste bestritten worden, der Vielgewandte indessen hatte dazu nur geheimnißvoll gelächelt, sich, nach der Weise seines Herrn, in den Stuhl zurückgelehnt, die Beine von sich gestreckt und mit einem vielsagenden Zwinkern seines rechten Auges auf die geblickt, welche in dem unerquicklichen Disput die höchste moralische Entrüstung[539] und die größte Zungenfertigkeit zeigte. Die hübsche Luise war auf diesen Blick hin sehr roth geworden und so plötzlich verstummt, daß es selbst die Aufmerksamkeit des schweigsamen Kutschers erregte und ihn zu der Wiederholung seiner früheren Bemerkung veranlaßte: es sei nicht Alles Gold, was glänze. Darauf hatte die hübsche Luise zu weinen angefangen, die alte, brave Köchin sich ihrer aber angenommen und gemeint: der Herr Kammerdiener solle sich schämen, durch gehässige »Insinuationen« und »mechante« Blicke ein armes Mädchen in schlechten Ruf zu bringen; der Vielgewandte, welcher bemerkte, daß er zu weit gegangen sei, sich sodann zu der Erwiederung genöthigt gesehen: wie es ihm nicht eingefallen sei, auf irgend eine der anwesenden Damen direct anzuspielen, und daß er mit seinem Zwinkern schlechterdings gar nichts habe sagen wollen. Diese Erklärung hatte denn schließlich den so freventlich gestörten Frieden der um den Küchenheerd versammelten Gesellschaft wieder hergestellt.

Indessen verhielt sich die Sache genau so, wie der Vielgewandte angedeutet hatte. Baron Felix war noch nicht vierundzwanzig Stunden auf dem Schlosse gewesen, als er schon Mademoiselle Marguerite und die hübsche Luise als diejenigen Personen herausgefunden hatte, welche besonders dazu geeignet sein dürften, ihm die Langeweile des Landlebens und die Unbequemlichkeit einer Brautwerbung tragen zu helfen. Er hatte Albert, den buon camerata so vieler ähnlicher Heldenthaten in der Cadettenzeit, über Mademoiselle auszuholen versucht und seinem Jean den Auftrag ertheilt, die Moralität der hübschen Luise gelegentlich auf die Probe zu stellen. Albert war einen Augenblick in Zweifel gewesen, ob er Felix' saubern Plan nicht wenigstens so weit begünstigen sollte, um einen Grund zu haben, auf den er sich stützen könnte, wenn es ihm später vielleicht einmal darauf ankäme, mit Marguerite zu brechen. Dann aber hatten die Eifersucht und der Haß, welchen er gegen seinen früheren Kameraden empfand, doch den Sieg davon getragen. Er hatte Felix erzählt, wie er ganz bestimmt – von Mademoiselle selbst – wisse, daß sie – »mit einem Candidaten der Theologie,[540] der Himmel weiß wo? ich glaube in Grünwald« – verlobt sei, daß er selbst versucht habe, sich die Gunst der schwarzäugigen Genferin zu erwerben, und also von der gänzlichen Hoffnungslosigkeit – »nach dieser Seite hin etwas auszurichten« vollkommen überzeugt sei.

Felix, obgleich er sonst nicht der Mann war, sich durch dergleichen Mittheilungen einschüchtern zu lassen, tröstete sich um so leichter über das Fehlschlagen dieses seines Planes, als ihm der Vielgewandte gesagt hatte, daß eine sofort angestellte forcirte Recognoscirung nach der andern Seite durchaus von dem günstigsten Erfolg gekrönt worden sei, und daß er seinem Herrn schon im voraus zu dieser Acquisition gratuliren zu können glaube. Don Juan Felix hatte darauf unter Beistand des Vielgewandten nach allen Regeln langgeübter Kunst das Vögelchen in das Garn zu locken versucht, und sich denn auch nicht weiter gewundert, als es schon nach wenigen Tagen in die kunstgerecht aufgestellten Netze flatterte.

Die Einrichtung des Schlosses mit seinen labyrinthischen Corridoren, seinen vielen großen und kleinen Treppen, auf denen man unversehens in Etagen gelangte, in die man gar nicht wollte, mit seinen unzähligen Thüren, von denen die eine aussah wie die andere, machte für Jemand, der die Localität nicht ganz genau kannte, die Durchführung eines galanten Abenteuers zu einer äußerst schwierigen und bedenklichen Sache. Das hatte auch Felix erfahren, indem er sich einige Mal auf seinen nächtlichen Wanderungen gründlich verirrte und nur mit der äußersten Mühe und nach stundenlangem, vorsichtigem Umhertappen sein Zimmer wieder gewann. Er zog es deshalb vor, in dem Garten, der sich mit seinen schattigen Gängen und still verschwiegenen Lauben auch ganz vortrefflich dazu eignete, und in den man sowohl aus der Leutewohnung, wie aus dem Herrenhause ohne große Mühe gelangen konnte, den angesponnenen Roman weiter zu führen.

So hatte er sich denn auch in dieser Nacht aus dem Schlosse gestohlen, und harrte, in den dichten Boskets, von denen aus man die Seitenfront des alten Schlosses und die Leutewohnung, die[541] in einer Linie daran gebaut war, beobachten konnte, seines armen Opfers. Die Schloßuhr schlug zwölf – die Stunde, welche er zum Rendezvous bestimmt hatte. Der Mond schien hell, die Thautropfen auf den Blumen und Blättern glitzerten in seinen Strahlen; Felix konnte auf seiner Uhr sehen, daß die Schloßglocke eine Viertelstunde zu spät geschlagen hatte. Die Lichter im Schloß waren erloschen; nur in zwei der Fenster des hohen Parterres schimmerte durch die rothen Vorhänge der Schein einer Lampe. Es war Helenens Zimmer. Felix sah in regelmäßigen Zwischenräumen die undeutlichen Umrisse ihrer Gestalt hinter dem Vorhang – offenbar schritt sie im Zimmer auf und ab. Dann mußte sie sich wieder an das Clavier gesetzt haben, denn einzelne Töne, den Lauten des Vogels gleich, der im hellen Mondschein träumend sein Lied zu singen versucht, irrten durch den stillen Garten; die Töne flossen zusammen zu Accorden und endlich strömte in vollen rauschenden Wogen Beethoven's herrliche Sonate pathétique, wie der Gesang eines Engels, der um Mitternacht mit ausgebreiteten Flügeln über die Erde schwebt, und alles Erdenleid und alle Erdenqual in seinem göttlichen Herzen sammelt und ausströmt in ein feierliches Lied voll unendlicher Schwermuth und himmlischer Süßigkeit.

Felix empfand in diesem Augenblick, wo er, den Arm auf eine Urnensäule gelehnt, lauschend dastand, eine Art von Gewissensbiß darüber, daß er, der Wüstling, der Unreine, die Hand auszustrecken, die Augen zu erheben wagte zu ihr, der Keuschen, Reinen. Er nahm sich in diesem Augenblicke vor, ein anderes Leben zu beginnen, die Thorheiten abzustreifen, und er glaubte alles Ernstes, daß er nur zu wollen brauche, um zu können. Er hörte mit einer gewissen Andacht der Musik zu. Er war Kenner genug, um zu fühlen, daß die Sonate nicht schöner, nicht seelenvoller gespielt werden konnte, er sagte bei einzelnen Passagen leise bravo! bravo! als ob er sich in einem Concertsaale befände. Aber Helene und Beethoven, Tugend und Musik und was noch sonst Alles in diesen Minuten durch sein Hirn gezogen sein mochte – Alles war im Nu versunken,[542] wie eine Fata Morgana, als sein Ohr jetzt den leisen Schritt eines Menschen vernahm. Der Schritt kam von einer anderen Seite, als Felix erwartete. Indessen die hübsche Luise mochte ja einen Umweg gemacht haben, um die breiteren, von dem Mondschein allzu hell beschienenen Gänge in der unmittelbaren Nähe des Schlosses zu vermeiden. Der Schritt kam näher und näher, und Felix, der auf den Einfall gerieth, sich ein wenig suchen zu lassen, drückte sich dicht in die Gebüsche. Wie groß aber war sein Erstaunen, als er statt der hübschen Luise Bruno an sich vorüberschleichen sah. Im ersten Augenblick mußte Felix über diese Enttäuschung lachen; im nächsten aber schon fiel ihm ein, daß durch diese Dazwischenkunft sein Rendezvous mehr wie bedenklich werde, und daß es unter diesen Umständen wohl das Gerathenste sein möchte, sich in das Schloß zurückzustehlen. Wer weiß, wie lange sich der Junge hier herumtreiben wird; am Ende ist er gar verliebt, oder er ist verrückt, oder beides, denn er sieht nach beidem aus; oder er ist mondsüchtig und geht so ein paar Stunden hier spazieren. Der verdammte Bengel! überall steht er im Wege; ich hätte große Lust, ihm nächstens einige fühlbare Beweise meiner freundschaftlichen Gesinnung zu geben. Auf jeden Fall will ich ihm das Feld räumen. Jetzt kann man noch als verspäteter Liebhaber eines Mondscheinabends auftreten; später geht das nicht mehr gut. Aber der Tante wollen wir doch von diesen nächtlichen Excursionen der Zöglinge des Herrn Stein erzählen.

Felix hatte den Weg nach dem Schlosse fast zurückgelegt, ohne Bruno zu sehen, und schon hoffte er, daß der Knabe sich aus dem Garten entfernt habe und sein Rendezvous doch noch zu Stande kommen könne, als er, über einen kleinen offenen Platz schreitend, der halb vom Mondschein erhellt und halb im Schatten lag, Bruno auf einer Bank sitzen sah, die Augen nach Helenens Fenster gerichtet, aus denen noch immer die Tonwellen rauschten. Der Knabe schien so in andächtiges Zuhören verloren, daß er Felix erst bemerkte, als dieser schon ganz nahe war.

Weshalb treibst Du Dich denn hier noch so spät umher?[543] sagte Felix, dessen Aerger sich mindestens in einigen unfreundlichen Worten Luft machen mußte; ich werde es der Tante sagen.

Bekümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten, sagte Bruno, der in der ersten Ueberraschung aufgesprungen war und ein paar Schritte auf den Platz gethan hatte, trotzig stehen bleibend, als er in dem Herankommenden den verhaßten Felix erkannte.

Du bist ein naseweiser Bursche, sagte Felix.

Und Du ein gemeiner Schurke, erwiederte Bruno.

Der Dich für Deine Unverschämtheit züchtigen wird, sagte Felix, dem mit untereinandergeschlagenen Armen vor ihm stehenden Knaben einen Backenstreich versetzend.

Bruno taumelte ein paar Schritte zurück; Felix sah, nicht ohne leichten Schauder zu empfinden, wie die Augen des Knaben buchstäblich glühten; dann brach ein dumpfer, röchelnder Schrei aus seiner Kehle – ein mächtiger Sprung, wie eines Leoparden, der sich auf seine Beute stürzt – und im nächsten Moment lag Felix am Boden und die starken Hände Bruno's schlossen sich wie eiserne Klammern um seine Kehle. Er rang wie ein Verzweifelter, den Knaben von sich abzuschütteln und wieder in die Höhe zu kommen, aber vergebens. So oft er sich auch mit dem Körper emporbäumte, so oft er Bruno von sich fortzudrücken versuchte, jedesmal fühlte er seine Anstrengungen von einer unwiderstehlichen Kraft paralysirt, und fester und fester schlossen sich die schlanken Finger um seinen Hals.

Laß mich los, Bruno, stöhnte er.

Befiehl Deine Seele Gott, denn Du mußt sterben, knirschte Bruno.

Felix fühlte, wie seine Kräfte ihn verließen, während die seines Gegners mit jedem Augenblick zu wachsen schienen. Todesangst ergriff ihn. Er wollte um Hülfe rufen, aber kein Laut entrang sich seinen bebenden Lippen; er fühlte ein dumpfes Sausen in den Ohren, das immer lauter und lauter wurde; vor seinen Augen wurde es Nacht, durch die Millionen kleiner Sterne schossen – wüste Gedanken jagten wie vor dem Sturmwind[544] treibende Wolken durch sein Gehirn – plötzlich, als ihn der letzte Schimmer von Bewußtsein zu verlassen drohte, fühlte er, wie die entsetzliche Last von seiner Brust verschwand – und als er endlich die Kraft fand, sich vom Boden zu erheben und um sich zu blicken, war er allein. Der Mond schien hell vom tiefblauen Himmel; das Licht in Helenens Zimmer war erloschen; die Musik war verstummt. Felix hätte glauben können, den Kampf mit Bruno geträumt zu haben, wenn nicht die heftigen Schmerzen, die er an mehr als an einer Stelle des Körpers fühlte, seine über und über mit Sand bedeckten Kleider und der rings umher aufgewühlte Boden ihm zur Genüge bewiesen hätten, daß dies Alles nur zu wirklich gewesen war.

Mit einem von Wuth erfüllten Herzen schleppte er sich in das Schloß, wie ein Wolf, der die Hürde beschleichen wollte, aber von einer edlen Dogge zerzaust und zerbissen in den Wald zurückhinkt.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig 1874, S. 539-545.
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