Siebentes Kapitel.

[147] In Treuen fest

Wär' wohl das Best',

Doch hältst Du es nicht fast in Ehren:

Du Minnedieb,

Der Du zum Lieb

Nur, was Dir nicht ziemt, willt begehren!

Fastnachtspiel.


Seit mehreren Tagen hatte sich Dagobert nicht im Hause seines Oheims blicken lassen, und wurde doch von dem Letztern, wie von dessen Freundin Fiorilla sehnlichst erwartet, wenn gleich aus verschiednen Beweggründen. Sein endliches Erscheinen nach dem sonntäglichen Hochamte befriedigte die seiner harrenden Seelen. Zum großen Befremden des Jünglings schien weder der geistliche Zuschnitt seines Rockes, noch die ernste gesammelte Miene, mit der er eintrat, einen besonders günstigen Eindruck auf den Prälaten zu machen. Im Gegentheile: Er bewillkommte den Neffen finster und kalt; Fiorillens bedeutende Geberden und scheues Fortschleichen wiesen auf Sturm. »Ist es also,« – begann Monsignore, nach langer ungewisser Pause, – »ist's also, daß man sich vorbereitet zu dem heiligen Stande, den man zu ergreifen gedenkt, nach Gottes und des Oheims Willen? Schäme Dich dessen, was ich von Dir vernehmen mußte!«

Dagobert fragte schüchtern nach der Sünde, die er begangen haben sollte.[148]

»Du willst nicht wissen, Dich nicht entsinnen?« rief der Prälat: »verstockter, unbußfertiger deutscher Tollkopf! Ich will Dir erklären, was ich meine: Ein Jüngling von altbürgerlichem Geschlecht, zum Dienst der alleinseligmachenden Kirche bestimmt, in ihr Friedenskleid gehüllt, wird auf offener Straße ein faustfertiger Klopffechter, des Pöbels Widerpart! Um einen Ketzer zu vertheidigen, schlägt er einen Christen zu Boden! Das kann nur ein Deutscher thun, der ein gewaltig zahmes Herz lügt, und, dieß seinem Gegner zu beweisen, demselben kaltblütig eine Handvoll Haare, ein halbes Dutzend Zähne oder ein Auge ausreißt. Schäme Dich, bereue, und bitte sogedachte Frevel dem Herrn der Heerscharen ab. Noch einmal ein Wort für den Ketzer verloren, – noch einmal zu seinen Gunsten die Faust gezückt, und ich ziehe meine Hand von Dir ab. – Keine Einwendung! Ich weiß wohl, daß Ihr in Deutschland selbst im Chorrock das grobe bäurische Wesen nicht ablegt, das Ihr adelich Thun nennt; daß Eure Bischöfe und Stiftsherren sogar zu Gaule steigen, und Eure Thurneien und Ringelrennen mitmachen, als wüßten sie nichts anders zu treiben, als solche sündliche Lustbarkeiten. An Dir jedoch will ich dieß Unheil nicht erleben. Bereue dem nach, und begib Dich in Demuth hinweg, um Dich vorzubereiten auf den Besuch, denn Du Morgen bei Sr. Eminenz dem Erzbischof von Ravenna ablegen wirst. Ich tafle heute bei dem hochwürdigsten Herrn, und will den gerechten Zorn, den er gegen Dich empfindet, welchen ich bereits seiner Gunst empfohlen, in die gewohnte Milde umzustimmen[149] suchen. Doch thue ich dieses nur dieß Erste- und Einzigemal; wohl zu merken. Entferne Dich! –«

Dagobert nahm die Predigt stillschweigend hin, verließ ebenso das Gemach, und wurde von Fiorillen, die seiner auf dem Vorplatze wartete, unter Bedeutung der völligsten Heimlichkeit in ihre Stube gewiesen. – »Monsignore hält seinen Imbiß heute auswärts;« flüsterte ihm die Schlaue zu: »bleibt bei mir zu Gaste, und rührt Euch nicht, bis der Ohm von dannen ging.« – Dagobert ließ das Mädchen lächelnd gewähren, und verschmähte die leckre Kost an dessen Seite nicht. Nach einer langweiligen Stunde verließ der Oheim das Haus, und Fiorilla rüstete die Tafel mit ausgesuchter Zierlichkeit. Die Speisen wurden durch sie selbst heraufgeschafft, der umherlauernde Diener mit einem Trinkgeld vergnügt, und in's Weinhaus gesandt; die Thüre verschlossen, und Base und Vetter setzten sich in friedlicher Einsamkeit zu dem Mahle, geschmückt von den Kränzen der Ceres und des Bacchus. Fiorilla hätte nicht ungerne den kleinen heidnischen Gott, der gewöhnlich die Dreizahl voll macht, mit in die Gesellschaft gezogen. Aber umsonst. So freundlich ihre Worte und Geberden den kleinen Schalk einluden, so blieb er doch aus; er scheute sich vor Dagobert's Unempfindlichkeit, die, im Anbeginn unter der gleißenden Larve des unbefangensten Frohsinns verborgen, gegen Ende der Mahlzeit in ein nachdenkliches Schweigen überging. – Fiorilla's Spott rüttelte ihn aus demselben. »Da plaudre ich nun, und plaudre mir die[150] Zunge lahm,« rief sie schäckernd: »und Ihr sitzt da, wie aus Holz geschnitzt. Bekennt, was Euch so fühllos gegen die Rede einer jungen muntern Dirne macht, die Euch für ihr Leben gern gefallen möchte. Was ist's, das Eure Lustigkeit dergestalt herabstimmen konnte?« Ist's die Bußpredigt Eures Ohms, so schlagt sie Euch kühn aus dem Sinn. Er ist auch kein Heiliger. Ist's die Erinnerung an ein verlassenes Liebchen, so vertraut Euren Kummer meiner uneigennützigen Freundschaft. Oder wäre es vielleicht die Bewerbung um meines Herzens Gunst, die Euch auf der Zunge sitzt, und muthlos, nicht sich auszusprechen wagt ...? nur keck heraus damit. Wer weiß, sagte ich: »Nein« darauf.

Dagobert, ohne einen Augenblick in Verlegenheit zu gerathen, sprach nach kurzem Besinnen: »Lieb Bäschen! des Oheims Donnerworte sind mir schon nicht mehr im Gedächtniß«, bekümmern mich folglich keineswegs. Ich hörte, so zu sagen, eigentlich gar nicht auf sie. Eben so wenig denke ich um Eure Gunst zu freien. Soviel ich deren bedarf, um in Euch die uneigennützige Freundin zu schätzen, habt Ihr mir bereits zugewendet. Ein Mehreres verbietet mir mein Stand und die Liebe für den Ohm zu begehren. Auch denkt Ihr nicht daran. Daher darf ich Euch frank und frei vertrauen, daß Euer Scharfsinn den rechten Zweck getroffen, indem Ihr von einem verlassenen Lieb spracht, und von dem Gedächtniß an dasselbe. »Wenn Ihr's erlaubt, und nicht dem Oheim, mindesten nicht mit ärgerlichen Zusätzen, das Gesagte wieder sagen wollt, so möchte ich wohl[151] meinem Herzen Luft machen durch ein frei Bekenntniß, auf die Gefahr hin, von Euch gescholten oder ausgelacht zu werden, denn die Historie meiner Liebe ist nicht die gewöhnlichste.« – So schnell, auch die ersten Worte Dagoberts Fiorillens Antlitz mit Unmuth beschattet hatten, so schnell erheiterte dasselbe des Mädchens natürliche Herzensgüte, und die dem Geschlechte eigene Neugier und Theilnahme an Sachen der Minne. »Sprecht!« versetzte sie: »Freundschaft gelobe ich Euch, und Bewahrung Euers Vertrauens. Nicht dem Schilf am See, nicht dem verschwiegenen Ofen will ich gestehen, was ich von Euch erfahren soll, sey es eine Wahrheit oder gefällige Lüge!« –

»Keine Lüge, Mühmlein von Cesena;« versicherte Dagobert, »die lautere Wahrheit hingegen. Hört aufmerksam zu. Es mögen ungefähr zwei Jahre verflossen seyn – nein; zu nächsten Frühling werden es zwei Jahre; da gab der Rath unserer Stadt ein großes Kampfspiel auf dem Römerberg, zu dem alle gute und ebenbürtige Leute aus Stadt und Gegend geladen waren, und auf dem die altbürgerlichen Geschlechter mitstritten zu Pferd und zu Fuß.« Es wäre mein Tod gewesen, hätte ich mich von solchem stattlichen Rennen ausschließen sollen. Ich stach daher auch mit, in Stahlhaube und Panzer, und ritt meines Vaters tollstes Pferd, Trotzteufel genannt, das seines Gleichen sucht in Stärke und Unbändigkeit. Ziemlich eitel von Geburt, suchte ich meinen Stolz darin, den Gaul zu reizen mit Sporn und Zügelriß, daß er stieg, wieherte, sich herumwarf im Kreise,[152] und endlich, hinten und vorne ausschlagen, zu bocken begann, daß allen Zuschauern Hören und Sehen verging, und Sand und Kies hinaufsprühte zum Altan, wo die Stechgrafen saßen und die Frauen. Da ich mein Müthchen gekühlt hatte, und mich wendete, um gegen meinen Mitkämpfer anzusprengen, so hörte ich unfern von mir, von den Schranken herunter, ein boshaftes Gelächter schallen, und ersah einen häßlichen Kerl, der, in seiner ritterliche Tracht auf dem Geplänke sitzend, wie toll aufwieherte über meine Reiterkünste, während alle übrigen Zuschauer sie bewunderten. Ich drohte zürnend dem geputzten Wicht mit der Faust, und dachte er würde Ruhe geben. Statt dessen zieht mir der Bube eine boshafte Fratze. Darüber entrüstet, winkte ich schnell den Trompetern zu schweigen, meinen Gegner nicht anzusprengen; reite darauf gestreckten Zuges an die Planken hin, und schlage dem rothhaarigen Tölpel, – der das Turniergesetz verletzte, das jede Beleidigung und Störung der Kämpfenden verpönt, – mit der Glane dergestalt über die Affennase, daß er von seinem Sitze herab in den Straßenkoth purzelt. Da er ohne einen Laut von sich zu geben, noch irgend eine Urkunde seines Lebens dahinstürzte und liegen bleibt, gewinnt das Mitleid schnell bei mir die Oberhand. Ich schwinge mich, des Panzers ungeachtet, schnell vom Pferde und über die Schranken, und springe dem Elenden bei, der von neugierigen Zuschauer aufgehoben worden war. So wie ich aber dem Burschen das Wamms lüfte, schlägt er die Augen, auf, und stößt mich mit der geballten Faust zurück, wie ein Wahnsinniger[153] schreiend: »Fort! rühr mich nicht an, verfluchter Goi!« Durch diesen Ausruf verrieth er sich als einen Juden, und weckte auf's Neue meinen Zorn und den aller Umstehenden. »Ein Jude!« brüllte der Haufen, und hundert Fäuste erhoben sich drohend, denn es ist jedem aus dem Volke Abrahams streng bei uns verboten, einem feierlichen Spiele zuzusehen, weil der mißgünstige Blick des Zuschauers schon zum Schaden wirken kann, geschweige erst die tückische Zauberformel, deren sich oft die Juden bedienen sollen, um den Christen jede Lust in Leid zu verkehren.

»Das ist wohl ein Aberglaube!« meinte Fiorilla, und fuhr etwas verlegen mit dem feinen Tüchlein über die erröthende Stirne.

»Möglich!« versetzte Dagobert, gleichmüthig: »Ich sage nur, was uns von Kindheit an Amme, Eltern und Schulmeister einprägen. Genug; dem Rothkopf bekam seine Neugierde übel. Ich konnte mich vor Wuth, von einem Juden mißhandelt worden zu seyn, nicht fassen«. Rechts und links schmetterte ich mit dem Blechfäustling dem Buben in das häßliche Angesicht, und das Volk riß indessen die prächtigen Kleider in die er sich verkappt hatte, in Stücken. So hatten wir ihm eine gute Strecke von dem Schrankewerk hinweg das Geleite gegeben, als plötzlich einige alte Juden aus ihrer Gasse herbeieilten, sich darein mischten, den Bestraften ihren Freund und Verwandten nannten, und uns bei allen Verdiensten der Erzväter beschworen, inne zu halten. Ich wäre wenig geneigt gewesen, dem Geschrei und Gejammer der Langbärte nachzugeben, hätte nicht mit einem Male eine[154] seidenweiche Hand meine drohende Faust aufgehalten, und eine zarte Stimme zu mir emporgefleht. Verwundert blickte ich hernieder, und sah ein jüdisches Mägdlein vor mir stehen, in reizlose Tracht gekleidet, so wie dieß Volk gewöhnlich auf der Straße gesehen wird. Verächtlich stieß ich sie von mir, und wollte dem Haufen nach, der sich mit dem Mißhandelten und seinen Fürsprechern einige Schritte von meiner Seite gewirbelt hatte, da hielt mich das Mägdlein zum zweiten Male auf, und wenig hätte gefehlt, so wäre sie zu meinen Füßen gesunken. Mit einem derben Fluche wollte ich die Zudringliche noch einmal von dannen weisen, aber da mein Auge zürnend auf ihr Antlitz blitzte, da war im Nu mein Zorn vorbei, und nicht um die Welt hätte ich ferner ein hartes Wort zu der Dirne gesprochen, die mit den Blicken eines bittenden Engels aus dem groben Schleier sah, und mit der Zunge der Alles gewinnenden Demuth die Worte zu mir sagte: ›O schlagt nicht mehr, lieber Herr! schlagt nicht mehr! Zodick ist ja kein Hund; er ist unser Knecht, und wird sicher nimmer thun, was Euern Zorn gereizt!‹ –

Dagobert lehnte sich hier in den Stuhl zurück, drückte beide Augen, zu, als' suche er das gegebene Bild noch einmal aus der Vergangenheit zurückzuzwingen in die Gegenwart, und fuhr dann mit sanfter Stimme fort: Erwartet, liebe Fiorilla, keine Schilderung der Schönheit dieses Mädchens; selbst die Eure müßte ihr weichen. Erwartet eben so wenig einen Bericht, wie sich plötzlich mein Herz gewandelt. Genug, es war so. Der Leue war zum[155] Lamm geworden. Mein Grimm hatte den hämischen Buben der Rache überliefert, mein Fürwort entriß ihn den Klauen seiner Feinde. Als ihn nun seine Glaubensbrüder hinwegführten, fühlte ich einen heißen Kuß auf meiner Hand, und siedwarme Thränen. – Die Dirne war es, die mir also ihren Dank bezeugte. Die Hand zog ich zurück, doch nicht das Auge, das eingewurzelt schien in die Fülle von Liebreiz., die des Mädchens Antlitz darbot. Sie war aber umsichtiger als ich; ›Lebt wohl, guter Junkherr!‹ flüsterte sie, ›ich möchte Euch zwar gerne sagen, wie hoch ich Euch verehre, aber es ist Euch eine Schande, eine elende Jüdin auf offener Straße anzuhören, darum vergönnt mir nur dieß Andenken von Euch mir zuzueignen.‹ Sie bückte sich schnell nach einer schlechten Feder die meinem Helmbusche entfallen war, drückte sie heftig an die Lippen, verbarg sie im Busen, und entfernte sich rasch. Wie ein Träumender gieng ich zu dem Rennen zurück, aber mir war die Kampflust vergangen, ich mied den Kreis meiner Gesellen, die mit roher Schadenfreude das Abenteuer mit dem Juden ausposaunten; Küraß und Haube warf ich von mir, griff zur Laute, und verklimperte den Tag und den Abend im einsamen Stüblein. Je mehr ich aber klimperte, je näher trat mir das Bild des Mägdleins; trotz dem Abscheu, den ich von Kindheit auf gegen das ganze Volk der Hebräer hegte, wurde mir dieses Bild immer lieber, immer traulicher, so oft ich die Saiten rührte, die jetzt nur der Minne klangen, wie früher dem lustigen Scherz, – so trat die liebliche Gestalt in meine Zelle, neigte sich, und[156] schien mit dem Lächeln der Sehnsucht meinen Tönen zu lauschen. Wie selig war ich dann! Zwar sagte ich nur oft: du wirst noch den Veitstanz gewinnen, wenn das Gebreste so fort geht. Sey nicht aberwitzig und kein Dummbart, der sein Quentlein Verstand an das glühende Gesicht einer Dirne verliert, die nicht einmal an den Heiland glaubt. Mein Lehrmeister, der Predigermönch Johannes, ersah wohl meinen Trübsinn, meine wehmüthige Freundlichkeit, errieth deren Ursprung. »›Die Minne quält Dich und schafft Dir Herzeleid,‹ sagte er warnend, ›hüte Dich, mein Sohn, Du bist bestimmt der Jungfrau jungfräulich zu dienen, und darfst dem Geluste der Sinne nicht nachhängen. Bete, mache das heil. Kreuzeszeichen so oft der Versucher zu Dir tritt, und genese!‹ – Ich folgte seiner Lehre, ich betete, schlug das Kreuz, und genas doch nicht. Im Gegentheil: ich lernte immer mehr das verführerische Siechthum lieben, in das ich verfallen war.«

»Ihr Glücklicher!« rief Fiorilla, ausbrechend in wehmüthige Theilnahme: »Euch haben die Rosen des Lebens geblüht; nicht jeder sieht diese Blüthen mit unentweihtem Sinn!«

»Mein Sinn war rein, und ist es noch jetzt;« betheuerte Dagobert, »aber im selben Grade ist kräftig meine Brust, und gesund mein Herz. Die Minne und ihre Sehnsucht wischten nicht das Roth von meiner Wange. Der Trübsinn, eine fremde Erscheinung in meinem Leben ward nach einiger Dauer von der Fröhlichkeit niedergekämpft. Ich nahm wieder Theil an den Festlichkeiten der Stadt und der Geschlechter,[157] an den Gelagen meiner Jugendgesellen und Gefährten, ich stieg wieder zu Pferd, und besuchte Forst, Hain und Flur. Endlich glaubte ich es ohne Nachtheil wagen zu dürfen, meine Thorheit, wie ich's' nannte, herauszufordern. Ich ritt durch die Judengasse, und hoffte diejenige zu sehen, die mir's angethan, hoffte dem unbegreiflichen Zauber Hohn zu sprechen mit gestähltem Herzen. Aber ... seltsam ... schon beim Eintritt in die schmutzige Straße, winkte der Bann auf's Neue. Ich, der sonst nur Muthwille halber hier meinen Weg durchnahm, die Buben und Mägdleins der Ebräer durch das wüthende Dahersprengen meines Rosses erschreckend und in die Flucht treibend; .. ich, der zuerst unter dem Jubelruf der Freunde es unternommen hatte, in eine jener alterthümlichen Judenhütten einzureiten, zu Pferd meinem Besuch in der Stube zu machen, wo der Hausvater mit den Seinen zu Tische saß, und beinahe den Tod hatte vor Schrecken ob des höhnenden Gastes, der die Runde um die Tafel machte, das Estrich aufwühlte, und mit Spottgelächter über die in Staub krachende Schwelle seinen Abzug nahm; ich ließ jetzt das Pferd langsam gehen, und spähte sorgsam nach beiden Seiten zu den erblindenden Fenstern auf, ob ich nicht die Holde gewahren möchte, welche mich berückt. Und siehe ... wie verabredet erschien ihr Antlitz, ihre Gestalt unter der Thüre eines Hauses, des ansehnlichsten der Gasse. Mit gespannter, überraschter Aufmerksamkeit schaute sie zu mir empor, und ein neuer Reiz schmückte ihr heute von Locken und zierlichen Zöpfen bekränztes Haupt, die Rosenglut[158] der Scham, der feurige Wiederschein erfüllter Sehnsucht. Ich zwang meine hochklopfende Brust zur Ruhe, meine von schmerzlich süßem Leid gespannten Züge zu kalter Gleichgültigkeit und trabte vorüber. Die Dirne grüßte nicht ...... obgleich sie mich nur allzuwohl erkannte; die Vorsichtige schonte mein Gefühl. Sie blickte mir aber nach, so weit die krumme Gasse es verstattete, und da ich an der Ecke zurückschaute, winkten mir noch ihre Augen, wie freundliche Sterne. Seitdem sah ich sie oft, denn der neugestärkte Zauber trieb mich Tag für Tag zur selben Stunde durch den von Pferden und Reitern selten besuchten Stadttheil. Und wie an der eingestürzten Pforte der Straße meines Rosses erster Hufschlag erklang, so klang auch das Fensterlein jenes Hauses, und das Zauberkind umgarnte mich mit neuen, allzulieben Schlingen. Ihr lächelt wohl, lieb Mümchen, wenn ich Euch sage, daß über ein Jahr diese seltsame Minne bestand, ohne ein dollmetschendes Wort zu finden; kaum einen dollmetschenden Blick, da ich immerfort, wenn gerade nicht Kälte, doch eine Ruhe heuchelte, die mir, – sah ich die Schöne, – so fremd war, wie der Galle die Süßigkeit des Honigs.«

»O ihr Deutsche!« lächelte Fiorilla, »zögernd legt ihr selbst die Riegel vor das Paradies.«

»Mit Recht!« erwiederte Dagobert: »Steht die Pforte offen, so ist's das Paradies nicht mehr. Hinter den Bergen die unsere Fluren bekränzen, denken wir uns schönere Auen, blühendere Matten, und finden, – haben wir die Höhen überklettert, – nur die gewohnten Büsche und Felder wieder. Begehren[159] ist Lust; im Genusse wird sie stumpf. – Ich ritt also fort und fort meiner schönen Jüdin zu Hofe, und gefiel mir in der Sonderbarkeit meiner Neigung. Da geschah es, daß an einem Abend des verwichenen Sommers, – die Wächter hatten die zehnte Stunde abgerufen, – Feuer entstand in der Nähe der Judengasse. Ein Reiterknecht war mit brennendem Spann in den Stall seines Gauls gegangen, und ein Funke hatte den Brand geweckt. Die Feuerglocke heulte vom Thurme, und auch in meine Klosterstille drang das Getümmel der zum Brand fluthenden Menschenmenge. Schnell war ich entschlossen meine thätige Hülfe nicht zu versagen, schnell hatte ich mich in die Kleider geworfen, und kam athemlos auf dem Platze an, wo längst dem Mainstrom eine Reihe von Ställen, Heuschobern und Werkhütten in vollen Flammen stand. Unser Volk ist brav und rüstig, wo es zu retten gilt. Wasser wurde herbeigeschleppt von allen Orten und Enden; schon einigemal hatte ich auf meinen Rücken den vollen Bottich herzugetragen, und noch einmal ihn zu füllen, lief ich weg aus dem Getöse, da fiel mir eine weibliche Gestalt in die Augen, die, da wo man eingeht in die Judengasse, unter dem Vorsprung eines Hauses auf eine Bank niedergesunken schien. Entfernt von dem Gewühle der Menschen, forderte der Anblick der hüflos Verlassenen, vielleicht Ohnmächtigen, mein Mitleid auf. Ich trat zu ihr; erstaunt, ein köstlich geschmücktes Mädchen zu finden, dem nur der Schrecken die Kraft versagt hatte, weiter zu gehen; .... entzückt zugleich in der festlich Geputzten die zu erkennen, die schon[160] so lang in meiner Seele lebte. Wir waren beide nur allzusehr betroffen, und kaum konnte ich die Worte stammeln: ›Mein schönes Kind, wie kommst Du hierher, in diesen Gewändern? hier ist doch Deine Stelle nicht!‹ – ›O Herr,‹ versetzte sie hierauf schüchtern und demüthig: ›Zürnt mir nicht. Das Entsetzen mag mich entschuldigen, wenn ich Unziemliches gethan. Wir feierten den Sabbath, der gerade heute eingegangen, geschmückt mit unserm Köstlichsten, als die Feuerglut entstand. Mein Vater und Großvater wurden aus dem Hause gerissen, und mit Schlägen zum Löschen angetrieben. Die Angst vermochte mich, ihnen zu folgen, doch verlor ich sie aus den Augen, und sank hier halb ohnmächtig zur Erde.‹ – Während dieser erläuternden Rede hatte ich mich nicht abwenden können, von der hohen Schönheit, die hier, in abenteuerlichen Prachtgewändern, wie sie wohl nur das Morgenland erfunden, vom fernen Glutshain zauberisch beleuchtet, der Reize höchste dem Bewunderer verrieth. Die funkelnden Ketten und Armbänder, das Geschmeide im Haare, der Perlengürtel konnten die Herrliche nicht schöner machen. Aber zu einer jener Feenköniginen verklären, von denen die Minnedichter singen, und die schon oft das Glück eines Sterblichen begründet haben sollen. ›Wie hold bist Du!‹ flüsterte ich der Lieblichen in's Ohr, und stürmisch klopfte mein Herz, da sie züchtig und leise antwortete: ›Niemand begehre ich zu gefallen, denn Euch, mein Herr.‹ – Herr? fragte ich mit leisem Vorwurf; Herr? warum nicht Freund? Ich schmiegte sie in meinen bebenden Arm, sie entzog sich aber demselben[161] und küßte meine Hand. ›Nicht so,‹ sprach sie, ›Freund dürft Ihr mir nicht seyn, wohl darf ich Euch jedoch meinen Herrn nennen, dem ich zu eigen seyn muß für und für.‹ ›Du mußt,‹ versetzte ich lächelnd; ›warum? der Grund?‹ – Nun drückte sie meine Hand an ihren Busen, an ihre Stirne, dann von neuem an den Mund, und ich meinte, sie würde meine Finger versengen mit dem glühenden Hauche ihrer Lippen. Befremdet ob solch leidenschaftlichem Thun, richtete ich das Mädchen ernst auf, und sagte zu ihr im selben Tone: ›nicht wolle es sich länger ziemen, mit ihr auf freier Straße zu kosen; ich sey bereit sie nach Hause zu geleiten.‹ Sie wollte das nicht zugeben, und wir hatten den Streit nicht beigelegt, als eine lange grobe Gestalt um die Ecke tölpelte, mein Mädchen plötzlich stille schwieg, ihren Finger auf meinen Mund legte, und sich in den tiefsten Schatten des Vorsprungs zurückzog. ›Esther! Esther! wo steckst Du denn?‹ rief der ungebetene Gast mit rauher widerlicher Stimme, in der ich gleich die des Buben erkannte, der mich auf dem Turniere beleidigt hatte. Nun juckte es in der Faust, aber ich bezwang mich, und gestattete es, daß die Gerufene sich völlig hinter mir verbarg. Der rothköpfige Knecht starrte mich einen Augenblick an, wich aber auf mein rauhes: ›Wer geht da?‹ scheu zurück, und näherte sich dem Gewühle der Löschenden, immer den Namen des Mädchens rufend. Wir schlüpften alsdann in die menschenleere Straße, und gelangten unter freundlichem Kosen an Esther's Haus. Die Schatten des Hausganges nahmen uns auf. Hier fragte mich[162] Esther, ob sie mich wiedersehen werde. Bald zum Letztenmale, antwortete ich, und vertraute ihr, ohne meinen Namen genannt zu haben, wie ich zum Dienste des Altars bestimmt sey. – Sie seufzte tief, faßte sich jedoch bald, ›Als Priester dürft Ihr Euch nicht verehelichen, nicht wahr?‹ fragte sie lebhaft. Kopfschüttelnd schwieg ich. ›O dann ist's recht!‹ sprach sie: ›Dann bleibt Ihr mein Gebieter, und ich Eure Magd, wenn uns auch weite Länder trennen. Dann werde ich nicht sterben vor Gram, Euch an der Seite einer geliebten Hausfrau zu wissen‹. – ›Wie kannst Du meiner ferner gedenken,‹ fragte ich: ›meiner? des Priesters eines Glaubens, den Du hassest?‹« – »›Denket das nicht,‹ antwortete sie: ›Ich hasse nicht Eure Lehre, nicht Euren Messiah.‹ – ›Wenn auch das wäre,‹ fuhr ich fort: ›so wird es, fürchte ich, Sünde seyn, wenn ich Dein Bild bewahre, das der Verläugenden?‹ – ›Ist das eine Sünde,‹ erwiederte sie schnell, ›so kommt zurück, wenn Ihr Priester seyd, und tauft mich. An Eurer Hand gehe ich gern in Euer Himmelreich, ohne das ewige Jerusalem zu schauen‹. ›Aber freilich,‹ setzte sie stockend hinzu: ›freilich müßte das erst geschehen, wenn der Vater todt seyn wird, und der Altvater Jochai. Denn es würde ihnen das Herz brechen, und ich möchte sie gerne in Frieden dahinscheiden sehen.‹ – Dieser ungeheuchelte Beweis einer reinen Seele zog meine Lippen an die Ihrigen. Der erste und der letzte Kuß ward zwischen uns gewechselt. Herannahendes Geräusch scheuchte mich aus dem Hause, und nimmer habe ich seitdem die Reizende gesehen. Ost trabte[163] ich durch die Gasse, nimmer ließ ihr holdes Bild sich mehr schauen, und mein Schicksal riß mich von dannen, ohne mir das Glück des Lebewohls zu gönnen.«

Fiorilla trocknete eine Thräne, und neigte sich dankend zu dem Erzähler. – »Wie soll ich Euch das Vertrauen vergelten, dessen Ihr mich gewürdigt? Ihr habt mir das Geheimniß Eures Lebens geschenkt, ... ich kann Euch kein Ähnliches vertrauen.«

»Vertraut mir nichts, Fiorilla!« unterbrach sie Dagobert ernst: »Ich bin Euch zu hold, als daß ich Euch vor mir erröthen sehen möchte. – Bedauert hingegen mein Mißgeschick,« fuhr er, muntrer werdend fort; »das mich beinahe zwingt, das Andenken, das ich treu bewahrte, aufzugeben für ein Andres. Ich hätte meinem Herzen nicht so viel Wankelmuth zugetraut; der Flattersinn muß im Blute stecken. Ein ander Frauenbild hat mich schier bethört; Esther und dieses holde Weib streiten in meiner Brust, und dennoch ist Keine auf Erden mir bestimmt und erlaubt.«

»Verwahrt darum Euer Herz;« entgegnete Fiorilla schelmisch: »Wer ist aber die, die ihr zu lieben besorgt? Erleichtert Eure Brust. Ich wage nichts bei Eurem Bekenntniß, da Ihr mir schon versichert habt, ich sey nicht im Stande, Euere Empfindung in Aufruhr zu bringen. Ihr wagt noch viel weniger, denn das Wichtigere habt Ihr mir schon entdeckt.« –

Dagobert erklärte sich auch scherzend bereit, und erzählte das Nachspiel zu dem Abenteuer auf der[164] breiten Straße, wo er den gefangnen Huß gegen die Roheit seines Beleidigers vertheidigt hatte. Und da er nun die Gestalt seiner neuen Huldin, wie das Haus beschrieben hatte, in das sie gegangen, so warf sich Fiorilla lachend in den Polstersessel zurück, und vermochte im Anbeginn, auf alle Fragen Dagobert's nichts anders zu erwiedern, als eben das schallendste Gelächter. Der junge Mann stand endlich verletzt auf, und wollte sich mit finsterm Gesichte entfernen. Fiorilla hielt ihn jedoch zurück. »Grollt, mir nicht;« stammelte sie, nach Luft athmend: »Das Zusammentreffen ist zu seltsam und zu lustig. Man rede noch einmal von der Stimme des Bluts, von angebornem Haß und Vorurtheil, der auch mit verbundnem Auge seinen Feind erkenne. Diejenige, die Ihr meint, ist niemand anders als Eure Schwester Wallrade, die sich gewiß nicht träumen ließ, daß es ihr gelingen würde, den abgeneigten Bruder in einen sehnsüchtigen Minneknaben zu verwandeln ......«

»Wallrade!« fragte Dagobert staunend: »Wallrade, das Fräulein von Baldergrün? Der Name des Besitztums, das ihr Monsignore zum Geschenk machte;« erklärte Fiorilla. »Sie verabscheut ihren Geschlechtsnamen, da Eure Stiefmutter ihn führt.«

»Thörin! eitle, selbstsüchtige Thörin!« rief Dagobert: »Wahrlich, lieb Bäschen, Ihr hättet mir keine wirksamere Arznei geben können, als mir der Name Wallrade wurde. Wo hatte ich meine Augen, daß ich, wenn gleich nach so langer Zeit, Diejenige nicht erkannte, die mir des Leid's viel, und Nichts zu Liebe gethan. Toller, toller Zufall! Mich ergötzt[165] es, daß auch sie blind gewesen und mich nicht erkannt. Wie gut ist's, daß sich noch nicht die Gelegenheit dargeboten, ihr den Hof zu machen. Wie würde der Hageprunk über meine Kurzsichtigkeit gespöttelt haben! Habt Dank, gute Fiorilla. Empfangt meinen herzlichen Händedruck für Eure Wohlthat. Ich bin nun gesund, und kann über meine Narrheit lachen. – Er überließ sich auch dem ungebundensten Frohsinn.«

»O des leichten, wandelbaren Bluts!« scherzte Fiorilla: »Ihr könntet mein Landsmann seyn.«

»Arme Esther! Bei solchem Flattersinn wird Dein Gedächtniß schwinden, früh oder spät, wenn ich's gleich heute vor aller Gefahr zu schützen so glücklich war.«

»Ihr bereut den Dienst doch nicht, den Ihr dem Judenmägdlein erwiesen?« fragte lächelnd Fiorilla:

»Ihr, die Nichte ... die Freundin eines rechtgläubigen Prälaten? Wahrhaftig, ich muß Eure Duldung bewundern, die Kirche, Gesetz und des Pöbels Eigensinn verdammen.«

»Leider!« erwiederte Fiorilla seufzend: »Ihr möchtet leichtlich staunen, eine Wälsche, welche die Madame verehrt, also sprechen zu hören. Vielleicht wird Euch jedoch meine Hinneigung zu der liebenswürdigen Esther erklärlicher, wenn ich Euch sage, daß ich keineswegs aus Cesena, sondern aus dem Ghelto zu Rom stamme, meine Eltern früh verlor, und durch die Milde Eures Ohms in eine Bekehrte verwandelt wurde.«[166]

Dieses überraschende Geständniß kitzelte Dagobert's Zwergfell auf's Neue und Heftigste. »Hoho!« rief er, lachend wie ein Verrückter: »kann denn auf dem Brocken in der Walpurgisnacht einem Hexlein etwas Tolleres begegnen, als mir? Es gränzt an's Mährchenhafte. Ich liebe eine Jüdin und meine Schwester, und meine Vertraute ist eine Neugetaufte! Nein, ich muß mich lossagen von solchen Banden, damit mir's nicht ergehe, wie den böhmischen Ketzern, und darum guten Abend, holdes Heidenkind!« –

Schnell hatte er einen Kuß auf Fiorillens Wange gepreßt, und polterte lachend die Treppe hinunter. Unter der Pforte rannte er an seinem heimkehrenden Oheim, der ihn, Dank sey es der Dämmerung, nicht erkannte, aber durch ein halb ängstliches: »Wer da! wer seyd Ihr?« festzuhalten dachte. »Ein Rabbiner, der von Euch bekehrt seyn möchte!« brummte der Spottvogel im tiefsten Register, schob den Staunenden bei Seite, und entsprang.

Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 1, Stuttgart 1827, S. 147-167.
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