Dreizehntes Kapitel.

[313] Ich nehme den angeklagten ungehorsamen Mann hier aus den Rechten, aus dem Frieden, aus den Freiheiten, die Kaiser Carolus gesetzet, Papst Leo confirmiret hat, und von allen Fürsten, Herrn, Rittern, Knechten, Freien und Freischöppen beschworen und geleistet worden, in dem Lande zu Sachsen, und werfe ihn nieder vom höchsten Grade, und thue ihn mit all' seinen Freiheiten, Frieden und Rechten in des Königs Bann, und strafe ihn mit höchstem Unfrieden und Ungnade, und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, redelos und unfähig zu allen Rechten und Verfahren, und setze ihn aus nach den Satzungen der heimlichen Acht, und verfalle seinen Hals dem Strange, seinen Leichnam den Vögeln des Himmels und den Thieren der Luft zur Atzung, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Macht und Gewalt, und erkläre seine Lehen und Gut für heimgefallen ihrem Herrn von dem sie zu Lehen rühren, oder der heiligen Kirche, sein Weib eine Wittib, seine Kinder Waisen!

Der heimlichen Acht Bannfluch auf Haut und Haar.


Der arme Heinrich erlebte eine üble Nacht auf dem Spreusack, den die Hand des mitleidigen Vetters ihm zugeworfen hatte, um sich bequemer auf den feuchten Boden des Kellers zu betten. Der Vorfall[314] des Abends schien dem geschreckten Knaben nur ein Fieberbild, wie uns der unruhige Schlummer zuweilen vorführt, allein zu bald nur erinnerte er sich an die Wirklichkeit des Gräuelauftritts, indem er in der Stille der Nacht sich nach und nach aller Reden wieder erinnerte, welche von den bösen Gesellen geführt worden waren, und die er von Anbeginn alle vernommen, ob er gleich in der Todesangst es geläugnet; denn er war kurz nach dem Eintritt der furchtbaren Männer erwacht, und hatte sich, von einer dem Knabenalter sehr gewöhnlichen Scheu ergriffen, nicht getraut, seine Anwesenheit kund zu geben, und mit Herzklopfen den Augenblick erwartet, in welchem die Schrecklichen gehen würden, bis ihm das Entsetzliche ihres unverholen ausgesprochenen Vorhabens einen tiefen schmerzlichen Seufzer ausgepreßt. Und betrübter noch seufzte er jetzt in seines Kerkers Einöde, weil er Klugheit und Gefühl genug besaß, um das Verderben, das über die Stadt verhängt worden, zu würdigen, und das jammervolle Schicksal der zum Tod bestimmten Bürger voll inniger Wehmuth beklagte. Und der gräßliche Eid vollends, den er geschworen, den ihm der Vetter selbst noch dringend an's Herz gelegt; den er seinem Glauben und Gewissen zufolge, nicht einmal dem Priester im Beichtstuhle entdecken durfte, um nicht hienieden elend zu sterben, und jenseits auf ewig zur höllischen Flamme verdammt zu seyn! Der Knabe litt unaussprechlich, und zu diesen Seelenleiden noch körperliche Angst. Wenn ein Luftzug durch das hoch gelegne Luftloch hereinstrich, glaubte er das[315] mordgierige Schnauben Zodicks zu vernehmen; wenn eine Ratte an den Riegeln und Angeln der Thüre emporkletterte, fürchtete er die Annäherung seiner grausamen Feinde zu hören. Seines Vetters Gestalt sogar, die sich früh und Mittags zeigte, um den kleinen Gefangenen Atzung hinzustellen, beruhigte seine aufgeregten Sinne nicht. Er wußte ja leider, daß sein Verwandter selbst zu der abscheulichen Rotter gehörte; er durfte argwöhnen, daß vielleicht in der nächsten Stunde der entartete Mann selbst die Hand zu seines unschuldigen Vetters Tode bieten möchte. Und näher und immer näher schlich schon wieder der Abend, und näher und näher kam die Zeit des Verderbens, und er, der um Alles wußte, mußte schweigen, an Schwur und Kerker gefesselt! – Da wurden hastige Schritte in dem Vorgewölbe hörbar: geschäftige Hände riegelten auf und drehten den Schlüssel der Thüre behende, und Brändling, blaß und verstört rannte in den Keller. Der erschrockene Knabe, nur seinen Tod ahnend, floh in die Ecke des Gewölbes, aber Brändling beruhigte ihn durch Wort und Geberde, indem er zu ihm sprach: »Guter Vetter, lieber Heinrich! Du warst von jeher ein wackrer Knabe und Verwandter, und nicht meine Schuld ist's – du weißt es wohl, – daß Du hier sitzest, gleichwie in der Löwengrube. Zürne mir darum nicht, und thu' mir das zu Liebe.« – Der Knabe war bereitwillig, und Brändling fuhr fort: »Ein schlechter Mensch von meinen Zechgästen hat den Weinstecher Veit verrathen, daß ich dann und wann, stummen Wein ausschenke. Du lieber Gott! in der[316] Zerstreuung geht wohl manchmal dergleichen vor, und ich habe nicht 'mal recht gewußt, daß ich ein unklar Faß im Keller habe. Veit war aber da, er hat's gefunden und ist hinweg gegangen, mit der Drohung, noch heut' den Stöckerknecht zu schicken, daß er das Faß abhole und vor dem Römer auslaufen lassen. Bedenke Henrich, – welche Schande, ... welcher Anlaß zu andern Entdeckungen! Wenn Du nicht hilfst, so kann mich's heute an den Galgen bringen. Veit ist mir nicht hold, aber Dir, mein Neffe und Söhnlein, den er aus der Taufe hob, um desto mehr. – Deine selige Mutter war ihm lieb und werth, und – nun – es wird schon alles gut werden, wenn Du stracks zu ihm laufen, und für mich eine Fürbitte einlegen wolltest. Nur den Stöcker lasse er zu Hause, und zahlen will ich, was er will, – Morgen schon bezahlen, – und den Wein vertilgen im Geheim. Willst Du, mein Söhnlein?« – Heinrich bejahte gütmüthig. – »'s ist jetzt die beste Zeit,« sprach Brändling weiter: »die Wütheriche sind nicht daheim, bis auf einen., der oben in der Giebelkammer faullenzt. Es sieht dich Niemand fortgehen, und zurück bist Du, ehe und ohne daß dich eine Seele bemerkt. Aber, – Heinrich, – gutes Kind, denke an Deinen Eid, und an Deine ewige Seligkeit, und plaudre an keinem Menschen aus was Du Unglückseliger vielleicht gehört!« – Heinrich gelobte es noch einmal in des falschen Mannes Hand, und entrannte, wie ein flüchtiges Reh, dem unbequemen Kerker. – Die Sonne neigte sich zum Untergange, und des Pathen Haus war, obgleich fern, – doch bald erreicht.[317] Der treuherzigen Fürbitte des Knaben konnte der biederherzige Veit nicht lange widerstehen, und ließ ihn endlich mit guter Botschaft, aber auch mit der strengen Warnung für den Ohm ziehen. Heinrich flog wieder heimwärts; allein, da es um die Zeit war, da alle Handwerksgesellen durch die Straßen jubelten, von der Arbeit kommend, – die reichern Kaufleute ihre Laden schlossen, und die Vornehmem der Stadt behaglich lustwandelten durch die Straßen in der abendlichen Kühle, – da wurde dem Knaben das Herz schwer, seine Tritte wurden langsamer, da er der Gräul gedachte, die in diesen froh lebendigen Straßen bald wüthen sollten. Hausväter und ihre Frauen, ihre Kinder und Enkel saßen vor den Thüren, durch welche der Mord eingehen sollte, – buntgekleidete Musikanten, Lustigmacher und dergleichen Volk durchstreiften die Gassen, und wenn man sie fragte: »wohin die Reise?« so antworteten alle: »Zu des Altburgers Froschen Haus; 'sist Hochzeit dort, und die Stoßpfeifer dürfen zum Tanz nicht fehlen!« – Diese Worte zerrissen Heinrichs Brust, und ohne Bewußtseyn und Willen fast, flüchtete er sich in die uralte Kirche der Weißen-Frauen, die noch offen stand für Reuige und Leidende. Ein innrer Trieb zwang den Knaben, sich vor den Stufen des vergitterten Chors nieder zu werfen auf seine Kniee, und inbrünstig zu Gott zu beten, um Erleichterung, um Trost, um Hülfe und um Eingebung von Oben. Nachdem er sein Gebet verrichtet, sah er sich um in der Kirche und sie war leer; er blickte, mit Anstrengung auf den Zehen sich erhebend, durch das[318] Chorgitter, und gewahrte eine von den weißen Frauen, die auf einen Betschemel kniete, und zu beten schien; sonst niemand. Da fuhr dem aufgeregten Knaben ein abentheuerlicher Gedanke durch den Kopf, und er schritt auf der Stelle zur Ausführung, – dem Zufall es überlassend, ob seine Saat auf guten Boden falle, oder auf Stein. Die Nonne dort konnte ja schlafen, – sie konnte taub seyn oder ungläubig; aber – Gott wird ja Alles zum Besten lenken, dachte der Knabe, ... und Deinen Schwur hast Du nicht gebrochen. – Er wendete sich daher frischen Muths knieend mit ausgespannten Armen zu dem Magdalenenbild, das, verwittert und. bemooßt am Eingange des Chors trauerte, und sprach mit vernehmlicher Zunge: »O Du, mein heiliges Steinbild, laß Dir vertrauen, was ich geschworen habe, keiner lebenden Seele zu verrathen, und wann der Herrgott nicht ein Wunder thun will, und Dir den steinernen Mund öffnet, daß Du redest, – so behalte in Deinem tauben Ohre meine Rede. Wisse, daß die Stadt in großer Gefahr ist, daß böse Gesellen sich verschworen haben, mit der zehnten Stunde Glockenschlag noch heute den Hochzeitschmauß in der Froschen Hause in ein Blutbad zu verwandeln, und zu erwürgen Alles, was sich dort zusammenfindet, vom Bräutigam bis zur Magd. Wisse, daß auf diesen Mord die Stadt angestossen werden soll mit Feuer, und geplündert der Reiche, und ermordet Arm und Reich. Wisse, daß die Ägypter herübergerufen werden sollen, um Stein von Stein zu reißen, während die Mörder den Main hinunterschwimmen wollen auf abgekappten[319] Schiffen, von Blut und Beute schwer. Wisse dieß All', du heiliges Steinbild, denn mein Herz kann's nicht bewahren, und die Zunge soll's doch verschweigen. Wahr ist's; dazu helfe mir Gott, und von dem Tode all' den armen Leuten, die morgen nicht mehr leben sollen. Amen!« – Der Knabe hatte dieses Bekenntniß kaum abgelegt, als er mit der Eile eines flüchtigen Wildes die Kirche verließ, um heimzulaufen. Seine Worte waren nicht ungehört verhallt. Die weiße Frau hatte sich horchend erhoben, und keine Sylbe verloren; aber nicht minder hatte eine dienende Schwester, die von einem vorspringenden Grabmal verdeckt, dem Blick des Knaben entgangen war, alles gehört mit zagender entsetzter Seele. Der kleine Redner war auch kaum ausser der Kirche, als die Schwester zu der Nonne trat, und dringend fragte: »Habt Ihr gehört, hochwürdige Frau!« – Die Nonne nickte stolz mit dem Kopfe. – »Um aller Heiligen willen!« fuhr die Andere fort: »war das ein wahnsinniger Bube, oder ein gesunder Herold der Wahrheit?« Die Nonne zuckte die Achseln. – Die Schwester sprach ängstlicher, und die Hände ringend weiter: »Wie mögt Ihr doch so kalt und gleichgültig seyn, würdigste Frau, da doch die Schreckenskunde euer eigen Haus betrifft? Die Stimme des Herrn ist die eines Löwen, daß Zion sie vernehme!« – »Was wollt Ihr denn thun, Schwester Judith?« fragte die weiße Frau langsam und bedächtig. – »Reden, reden will ich;« antwortete Judith heftig: »des Herrn Gnade verkünden. Du sollst Dein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die[320] Oberin, der Beichtvater, der Rath soll wissen und erfahren, du Himmelskönigin und Jesu Christe! es ist keine Zeit zu verlieren.«

Die Nonne blickte starr und schweigend vor sich hin. Judith machte sich indessen fertig, dem Chor zu melden, plötzlich jedoch besann sie sich, und sagte zu sich selbst: »Die Pflicht geht vor. Thue zuerst, was Du mußt, und dann erst, was Du sollst. Bald hätte ich den Geißelstrick der Oberin aus dem Gewölbe mitzunehmen vergessen.« »Gleich«, setzte sie zu der Nonne gewendet hinzu: »gleich, hochwürdige Frau, bin ich zurück, und dann laßt uns den Mund aufthun, um zu reden mit der Stimme der Gewitter, wie der Herr gethan hat, auf den Höhen Horeb; denn zornig ist der Herr, und doch allmächtig in dem Schwachen.« – Bei diesen Worten schob sie den schweren Riegel vor der Fallthüre des Geißelgewölbes, und bemühte sich, die ungeheuern Eichenbohlen aufzuheben; mit aller Anstrengung gelang es ihr nicht, und sie wollte schon das Werk verlassen, als die Nonne sich selbst herabließ, ihre Hülfe anzubieten, und zu leisten. Der vereinten Kraft der Weiber fügte sich die schwere Last, und ließ sich in ihren Angeln herumlegen. Judith, den scheidenden Abendstrahl, der durch die Fenster schimmerte, als einzige Leuchte mit sich nehmend, eilte die Treppe hinab, nachdem sie noch gesehen, wie die Nonne durch die Seitenthür in den Kreuzgang verschwunden war. Kaum aber war der Klang ihrer Schritte schwächer geworden, und sie im Gewölbe selbst angekommen, als schnell die Nonne zurückkehrte, auf die Gruft zueilte, die[321] eiserne Stützstange der Fallthüre wegriß, und die Pforte donnernd und dröhnend in ihre Fugen fallen ließ. Der Schlag hallte schrecklich im ganzen Gebäude wieder, und vor ihrer eignen Handlung erschreckend, floh die Boshafte nach ihrer Zelle. Dort athmete sie ruhiger. – »Muth, Wallrade!« sagte sie zu sich: »geht heut die Rache nicht in Erfüllung, so verzichte ich auf sie in Ewigkeit«. Die schwatzhafte Judith schmachte, bis die Stunde vorüber. Ihr ohnmächtiges Poltern an der Grabespforte wird die furchtsame Beschließerin zum Gespensterspuck rechnen, und mit scheuem Kreuzschlage ihres Weges ziehen. Ein Zufall entschuldigt wohl später der Laienschwester unwillkommne Haft. Ich aber will spielen mit dem Schicksal, das jetzt in meiner Hand liegt. Die zehnte Stunde muß erst geschlagen haben, ehe ich durch meine Worte die Stadt rette. Ich will sehen, wie in meinem Hause daß Unglück schreitet; ob ich allein dazu verdammt bin, oder Andre mit. Falscher Dagobert! so schnell konntest Du Deine Liebe vergessen, und treulos in die Arme einer andern sinken? So war es nicht gemeint. Ich raubte Dir der Zelle Trost, damit Du der Entsagung und der Täuschung Foltern schmeckest dein Lebelang; damit Du Unkraut säest im Vaterhause, wie bisher. Glücklich wollt ich Dich nicht sehen, und heute – welche Freude – heute trittst Du an Deines Glückes Gränze. Die Pforte dazu ist auch schon sein Markstein. Fahre hin; und Du, einfältige Braut, und Du, scheinheilige Stiefmutter, welche einen Sieg über mich errungen zu haben wähnt; fahrt hin, ihr Lästerzungen[322] alle, die ihr meinen Leumund zerfleischt habt, und an meiner Feinde Hochzeitstisch zu prassen denkt. Schon rüstet sich der Pfaff zu Eurer Todtenmesse! – Sie schauderte selbst vor dem entsetzlichen Gedanken zurück, und ein Bild mit greisen Zügen und weißen Haaren, ein Bild voll Liebe und Gram stellte sich langsam in der Dämmerung vor ihre Augen. – »Mein Vater!« seufzte sie unter menschlicher Regung: »Mein Vater! Er ist der Einzige in jenem Hause, der nicht fallen sollte wie die Andern? Er ist aber auch der tugendhafteste, setzte sie, in grausamem Wahn sich selbst belügend, hinzu: und Gott thut Wunder an dem Gerechten. Wenn Gott nicht will, so erlahmt der Arm des Mörders, sein Stahl zerbricht, und frei aus geht der Gute unter'm fürchterlichsten Wirrsal. Fasse Muth, Wallrade, rede nicht matt und feige. Gott wird unter den Sündern die Seinen finden und behüten.« – Also ihr böses Trachten mit ihrem nagenden Gewissen trotzig, und schlau vereinbarend, ließ die tückische Wallrade die Stunde hinschleichen, und schwelgte im Voraus in den Schreckensauftritten, die im Vaterhause vorfallen sollten. Ihres Vaters gedachte sie zwar häufig, – weniger, ihres armen Sohnes, aber die Glut wilder Leidenschaft und eine gewisse freche Lust, das Schicksal in die Schranken zu fordern, erstickte den Funken von Kindesliebe in ihrer Brust. Mutterliebe hatte sie nie gekannt, und das Andenken an den so gehaßten Vater des kleinen Johannes war allein schon hinreichend, um sie zu bewegen, den Knaben einem dräuenden Unheil sonder Mitleid zu überlassen. Während[323] nun die Schreckliche also still und einsam in der dunkeln Zelle brütete, und die arme Judith im ganzen Kloster wie verschwunden schien, dämmerte tiefer und tiefer der Abend nieder; die Straßen wurden leerer, die Trinkstuben voller, und auch im Knippling ging es lustig und geräuschvoll her. In der vordern Stube johlten Waidträger, Löher und Schiffknechte, in dem hintersten Gemache saßen die Verbündeten mit mehreren ihrer Helfershelfer beim schäumenden Trunke. Die neunte Stunde hatte schon längst geschlagen, und mit Ungeduld harrten die Raublustigen, auf die zehnte. Um sich die Langeweile und Unruhe zu vertreiben, trank der Hornberger Zug für Zug einen Becher leer, und der Reiffenberger, wie auch Veit von Leuenberg thaten herzhaft Bescheid. Zodick hingegen hielt sich nüchtern, und ermahnte die Führer der, bereits auf ihren Sammelplätzen versteckten Knechte, die sich ebenfalls zum Abendtrunk hier eingefunden hatten, klar und hell im Kopfe zu bleiben, um den Dienst nicht zu versäumen. – »Wie der Jude schwatzt!« rief der Reiffenberger unwirsch: »Ein rüstiger Mann und ein wackrer Fußknecht müssen trinken wie Teufel, um, gleich Teufeln, losschlagen zu können .. Im offenen Streit ist ein kleiner Weinnebel an seiner Statt; man sieht nicht lange, wo man hinschlägt. Um eine Kehle abzuschneiden, bedarf man freilich klarerer Augen.« – »Mein! mein!« versetzte Zodick giftig: »wir wollen sehen, wer lacht von uns am letzten: ich mit meinen hellen Scheinlingen, oder Ihr mit Euern trüben. Ich und meine Gesellen, und diese guten Freunde, wir werden[324] noch immer thun müssen das Beste.« – »Pest und rother Hahn!« polterte Leuenberg dazwischen: »fröhlich gelebt und fröhlich gestorben ..... wie heißt das Sprüchlein, Bruder Hornberg?« –

»Laß mich doch ungeschoren mit Deinem Possenschwank!« antwortete ihm der Hornberger, eine Kanne leerend, und damit auf den Tisch klopfend: »Ich weiß ein beßres Liedlein: ›Firnewein vor der Schlacht, hat viele, zu Helden gemacht!‹ und so wollen wir's heute halten. Donner, Strahls Hagel und Gewitter! keine halbe Stunde mehr, und der Tanz geht los. Bis hieher haben uns alle Heilige bewahrt und geschirmt. Von all den Stadtschurken, die uns vorgekommen sind, hat uns kein einziger gekannt, – nicht mich, der ich mit der Stadt meine Späne haben, – nicht den Reiffenberg, der hier so viel schuldig ist, daß er von dem Gelde sein verfallnes Dach mit Goldgulden decken, und seinem Hof damit pflastern könnte; – nicht den Leuenberg, der im Stadtbann liegt, er weiß wohl, warum ...?« – »Nicht einmal den verfluchten Judenchristen hier haben sie erwittert;« fiel der Leuenberg ein, – »ob er gleich von Stadt, Kaiser und Reich verfehmt und geächtet ist.« – Zodick lachte pfiffig. – »Wißt ihr, ihr Herren,« sprach er: »woher das kommt? weil ich mir nie getrunken habe einen Rausch, weder im Wein, noch im Früßelhannes. Nüchtern seyn, ist klug. Für den Groschen, den hinauswirft der trunkne Mann, gewinnt der nüchterne ein Pfund.« – »Pah!« rief der von Leuenberg: »wie könnte, auch ein Jude fröhlich seyn, wie ein christlicher Rittersmann. Gebt[325] dem Gelichter 'ne Zwiebel, schimmlich Brod und faul Wasser; glücklich ist's dabei, wenn es nur Münze zusammenscharren mag.« – »Daß Ihr doch lahm würdet, verfluchte Gojim!« murmelte Zodick in den Bart, während er, es zu verbergen, sich unter den Tisch bückte, als wollte er ein Messer aufheben. – »Laßt doch den Friedrich;« brummte der Hornberger: »der ist ein Christ, so gut wie einer, und wer ihn schimpft, hat's mit mir zu thun. Aber, Donner und Teufel! wo steckt der Wirth? Vergebens klopfe ich seit einer ewigen Frist nach einer frischen Kanne, und doch ist zu Frankfurt mehr des Weins in den Kellern, als Wasser in den Brunnen! Heda! eingeschenkt!« –

Vergebens mahnte der vorsichtigere Zodick ab; Hornberg polterte aus allen Kräften mit den Kannen auf den Eichentisch, bis endlich Brändling erschrocken zur Thüre hereinsprach. Der Mann hatte zwar in der Freude über Heinrichs willkommne Botschaft, so wie in der heimlichen Seelenangst vor der kommenden Nacht, ebenfalls viele Schlucke über den Durst gethan, und wankte unsicher auf seinen Beinen umher, aber die Sorge für die Sicherheit seines Hauses und seiner Gäste verließ ihn selbst in diesem Zustande nicht. »Um der ewigen Barmherzigkeit willen!« rief er: »Ihr Herren macht doch nicht des Lärmens so viel. Die Trinker in der Stube werden aufmerksam werden, und wissen wollen, wer dahinten also rumort. Und denkt 'mal; wer Euch also sähe, bewahrt und bewaffnet, wie Ihr seyd ....« – »Halt's Maul, Hund!« fuhr ihn der Hornberger an: »Schenk ein: wir sind die Herren, Du der Knecht, und nicht[326] lange währt's, so haben wir ganz Frankfurt unter unsrer Sohle. Schaff Wein herbei, und sey nicht lässig im Dienst, sonst schneide ich Dir, – Gott verdamme meine arme Seele,– für jede Kanne einen Kerbstrich in Dein Hundeantlitz, daß Du aussehen sollst, wie ein bemalter Turnierpfahl. Wein, Schurke! Wein! Wasser unter'n Wein! Wasser darunter!« flüsterte Zodick dem erschrocknen Brändling zu, welcher verblüfft seinen Abtritt nahm, und bald neuen, sehr getauften Weinvorrath brachte. Mit ihm trat ein Knecht des Reiffenberg in die Stube, auf welchen alle neugierig losgingen und taumelten. »Sieh da, Eckart!« fragte sein Herr: »Wie ist's? wie steht's? was bringst Du?« – »Alles ruhig, ihr Herren;« meldete der Knecht: »die Leute alle auf ihrer Stelle im Hinterhalt. Ich gab noch den Befehl, daß keiner von ihnen sich unterstehen solle, etwas zu beginnen, bevor Ihr nicht mit Euern Freunden an ihrer Spitze seyd. Sie erwarten das Zeichen ungeduldig.« – »Wahrlich nicht mit größrer Ungeduld als wir;« antwortete der Hornberger: »Gewitter und Strahl! will denn die Zeit stehen bleiben? Sag an, Bursche: welche Stunde ist's?« – »'s muß im Augenblicke Zehne schlagen;« antwortete der Knecht: »in Sachsenhausen drüben riefen die Wächter schon die Stunde ab, doch pflegen sie's stets früher zu thun, als hier herüben die Glocke schlägt.« – »Ei, so laßt uns die Krüge leeren!« sprach der Hornberger: »Gott sey gelobt; wir stehen am Ziele.« – »Krüge, aus, Waffen an!« lallte der Leuenberg: »Bruder Reiffenberg, schnalle mir den Gurt fester; meine Hand ist[327] schwer und ungeschickt geworden.« – »Du wirst doch nicht zu viel im Kopfe haben?« fragte der Hornberger spöttisch: »Ich fühle Bärenmark in meinen Knochen, und wollte einen Eichbaum spalten.« – Um den Beweis zu führen, hob er die schwere Klinge mit Macht, und wollte einen Hieb gegen den Ofen thun, allein die niedre Stubendecke wehrte dem Streich, und die Waffe fiel klirrend aus des Zechers Hand. – »Weh geschrieen! weh geschrrieen!« begann Zodick, der unruhig wurde: »Was soll daraus werden. Hab' ich doch gezählt auf einen Simson, und es wird nicht da seyn ein Davidchen! Ihr Leute, ihr Waffenknechte: haltet Euch besser als eure Herren, und folgt dem, was ich werde befehlen; denn ich werde gehen sicher, und zustoßen ohne Fehl, und wenn herabkäme vom Himmel der Melach der Könige!«

»Bist Du gewesen an der Frosche Haus?« fragte er sodann den Eckart leise. Dieser bejahte, und berichtete, Alles gehe dort hell auf, von Kerzenschimmer funkle Fenster und Thor, die Pauke wirble, der Bombard schnurre und die Pfeifer bliesen lustig zum Tanz. – Zodick rieb sich, teuflisch lachend, die Hände, während die Edelleute in Braus und Verwirrung ihre Waffen und Wehr ordneten, zusammensuchten, schalten und lästerten, und die Knechte alle Hände voll zu thun hatten, ihre Gebieter zum Strauß zu rüsten; und sprach vor sich hin: »Ich danke Dir, hochgelobter Gott, daß Du mich lässest Rache nehmen an meinen Feinden. Ich war flüchtig wie Kain, aber bald werden sie vor mir fliehen; ich war getreten in den Staub, aber bald werd' ich sie stoßen[328] in's Elend! Warum kann ich nicht mit diesem blanken und haarscharfen Messer trennen vom Rumpfe der Menschheit alle Hälse meiner Feinde? Warum ist Ben David gegangen in die Welt? Jochai geflohen von wannen man nicht kehrt heim, und Esther gewandert mit ihrem Bruder in's Weite, wohin mein Dolch nicht trifft? Aber euch verfolge mein Fluch; euch sey die Hölle und das Feuer der Geheime, Amen!« – Indem blies vom nahem Stiftsthurme der Wächter, und die Glocken schlugen die zehnte Stunde an. »Halloh! halloch!« rief der Hornberger: »rüstig, ihr Genossen! der Teufel ist: los!« – »Hand in Hand noch einmal laßt uns stehen!« sprach der Reiffenberg, »und schwören, ehrlich an einander zu halten, und unsre Pflicht zu thun.« – »Wir schwören's,« riefen Edle und Knechte. – »Du, Jude, thue Deine Schuldigkeit.« – »Gott soll mir helfen, daß ich sie thue;« erwiederte Zodick, sich die Mütze fest bindend. – »Geschwinde!« rief Eckart in die Thüre: »Stunde schlug, Thür' ist offen, der Wirth harrt unser, leis an der Stube vorbei, hinaus auf die Gasse!« – »Baschol! baschol!« trieb nun Zodick selbst eilfertig und heimlich: »wir haben gewonnen, so wir behalten den Kopf frei und die Hand. Wenn ich nicht vollführe, was ich versprochen, so will ich den Talles haben im Augenblick ohne Gebet und Barmherzigkeit. Fort! fort!« Der Schwarm von Menschen drängte sich zur Thür, als diese rasch aufging, und Brändling's geisterbleiches Angesicht hereinsah. – »Halt! halt!« stammelte er entsetzt: »wir sind verloren ...!« – »Verloren?« donnerte ihm der Hornberger[329] zu, und hob das gewichtige Schwert; aber, wenn gleich des Schenkwirths Stimme versagte, so ergab sich doch alsobald der Bescheid auf des Hornbergers Frage. »Im Namen der kaiserlich freien beschlossenen Acht!« schallten mehrere Stimmen draußen, begleitet von Schlägen an Wand und Thüre. – »Die heimliche Vehm!« riefen die Söldner verwirrt, und aus ihren Händen fiel die Wehr, einige verkrochen sich unter Tische und Ofen, wohin auch Brändling sich geflüchtet hatte, andere schmiegten sich auf die Bänke an Wand und Ecke. Selbst den Leuenberg und den von Reiffenberg hatte dieser Schreckensname dergestalt erschüttert, daß sie auf ihre Stühle zurücksanken, und der Hornberger senkte das dräuende Schwert, hinter der Thüre lauschend, durch welche einige vermummte Gestalten rasch und keck hereintraten, und wie Falken nach allen Seiten die Augen drehten. »Keiner rühre sich!« schrie der Erste von ihnen mit rauher Stimme, »und wer ein frommer Mann ist, sitze still!« – Da ergriff den Zodick eine entsetzliche Angst. Wild sprang er auf, schlug die Lampe um, und wollte durch die Geheimen durch in's Freie brechen; allein der Schimmer eines Windlichts, das durch die Öffnung der Thüre blitzte, blendete ihn, und der Verhüllte riß ihm indessen Kappe, Haarhaube und Pflaster, vom Kopf und Gesicht. – »Der ist's!« rief er, den Schaudernden gegen seine Begleiter stoßend, und diese antworteten in tiefem Tone: »Bei unserm Eid! der ist's!« – »Jehova! Sammael! Christus! rette mich!« schrie der verzweiflungsvolle Jude, da ihn nun eine fürchterliche Ahnung[330] durch's Herz zuckte: »Weh mir! helft ihr Freunde!« – Aber die Freunde blieben scheu und unthätig, weder Himmel noch Hölle that zu des Frevlers Gunsten ein Wunder, und der heftige Dolchstoß, den seine erprobte Faust mit aller Gewalt auf die Brust des Anführers der Verhüllten führte, brach sich an dem Panzer, den dieser trug. Ein heftiger Schlag schleuderte ihm die Waffe aus den Fingern, und eine feste Schlinge flog um seinen Hals, und riß ihn, seine Kehle zuschnürend, zu Boden. – »Genade Dir Gott, Missethäter!« riefen die Trabanten der heimlichen Acht, und schleppten den ohnmächtig widerstrebenden vor die Thüre. Vor ihrem Anblick flohen die übrigen Gäste, –bisher neugierige Zuschauer, zur Pforte und Gasse hinaus. – »Macht geschwinde!« herrschte der Schöffe seinen Frohnen zu: »Henkt ihn auf.« – »Wohin, Herr?« fragten diese. – »Knüpft ihn an den Kettenhaken neben der Thür!« befahl der Schöppe kalt; und dies Todesurtheil brachte den halb bewußtlosen Mörder zu sich selbst. – »Gott! hochgelobter Gott!« stöhnte er, außer sich: »Ich bin doch unschuldig! Ihr Männer! ich bin unschuldig.« – »Du bist verfehmt,« erwiederte der Schöppe: »und all ist zu spät. Gott genade Dich.« – Schon ward der Strick um den Haken geschlungen. – In wüthiger Todesangst brüllte Zodick: »Ich gehöre nicht vor Euer Gericht. Ich bin ein Jude, des Kaisers Kammerknecht ....!« – »Wardst Du nicht getauft, abtrünniger Hund?« riefen die Frohnen: »Fahr' hin!« – Der Elende schwebte in die Höhe. All' seine Glieder strebten an gegen den hart einbrechenden[331] Tod, ... seine erstickende Kehle schnappte nach Luft, sein Mund versuchte noch den letzten Fluch, aber unter dem dumpfen: »Fahr' hin! Zeter! fahr' hin! genade Dir Gott!« stockte das verhaßte Leben und der Gräßliche war nicht mehr. Die Frohnen streckten ihn aus, der Schöppe stieß sein Messer in den Thürpfosten, und alle entfernten sich eilig durch die verödete Gasse – denn alle Gäste der Schenke hatten die schnellste Flucht ergriffen vor den Vollstreckern der gefürchteten heimlichen Acht. Die zum Mordbrand Verschwornen, sammt ihren Söldnern und Gesellen hatten sich nicht minder, von blindem Schreck gejagt, nach allen Seiten hin zerstreut. Der Unbändigste und Frechste aus ihrer Mitte war vom schnellen Tod dahingerissen worden, den seine frevelnde Zunge gerade herbeigerufen, – und Jeder der Übrigen war sich mancher schweren Schuld geheim bewußt. Die Spannung der Trunkenheit war gewichen, die Erschlaffung der Kräfte und die Pein des Gewissens war zurückgeblieben. Ohne ferner an die Verübung des gräßlichen Mordplans zu denken, irrten die Teilnehmer desselben in den Gassen der Stadt umher, und ihre Furcht wuchs mit jedem Augenblicke mehr heran, denn mit Staunen und Herzklopfen hörten sie, wie plötzlich, rasch hintereinander alle Glocken auf den Kirchthürmen wach und lebendig wurden, wie die Wächterhörner von den Zinnen bliesen, laut und dringend, wie das Gämperlein1 läutete, die Schnurre durch die Straßen lief, wie die[332] Trommel vor dem und Quartier der Söldner wirbelte und die Trompete die Reisigen zu dem Sammelplatze rief. Lichter und Laternen wurden allenthalben ausgesteckt, in allen Häusern wurde es hell und lebhaft. Die Zünfte, Rotten und Fähnlein der Bürger und Söldner strömten zusammen auf ihren Lärmplätzen. Die Bürgermeister mit den Bannern, den laufenden Gesellen und den Zünften der Altstadt hielten auf dem Samstagsberge und vor dem Falkenstein; in der Neustadt riefen die Hauptleute vor St. Marthen und Katharina die ihrigen auf. Der Schultheiß jagte zu Pferde, wie ein Wüthender zu seinen Reitern auf dem Liebfrauenberge; und nach Sachsenhausen hinüber der Oberstrichter, um dort den Befehl zu übernehmen, und die verdächtigen, daselbst gelagerten Ägypter zu bewachen und zu beobachten. Um die Verbindung mit der Stadt zu unterhalten, blieben die Brückenthore offen, wiewohl mit Wachen und freiwillig herbeieilenden Bürgern besetzt; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, die Stadt sollte mörderisch angestoßen werden mit Feuer und Schwert, und jeder zitterte für seine Habe, und jeder entbrannte in Begierde, für das gemeine Wesen sein Schwert zu ziehen. Die vielen Fremden, aus dem Schhlummer aufgeschreckt durch das Getöse und die Besorgniß ihrer Wirthe, hatten sich, in Landsmannschaften getheilt, und bewaffnet, um ihre Niederlage versammelt; streifende Rotten von Spiesknechten durchflogen die Straßen, aufgreifend Alles, was verdächtig schien, und vor dem Römer glimmten die Lunten der Hakenschützen, kampf- und streitfertig. Noch suchte jedoch das Auge[333] der Gewarnten und Gerüsteten vergebens den bewehrten Feind. Er hatte die Waffen weggeworfen und. irrte vermummt und verzweifelnd über Plätze und Gassen, das Dunkel suchend, und einen rettenden Ausweg. Dieser letztere war aber nicht zu finden, und so mußten die Verschwornen sich begnügen, einen Schlupfwinkel für den gefährlichsten Augenblick zu erspähen. Am Schlimmsten war daran der von Leuenberg, in dessen Gehirne noch der Taumel des Weins tobte, während seine Füße Blei waren, und der Hornberger, der mitleidig bei ihm aushielt, alle Mühe hatte, ihn mit Gewalt von der Stelle zu schleppen. Zodick's Hinrichtung hatte den fürchterlichsten Eindruck auf ihn gemacht, und er sah sich selbst schon unterm Schwert des Nachrichters. So prahlend seine Zunge sonst gewesen, so feige war sie jetzt, und er hätte sich zum Mönch scheeren lassen um den Preiß seiner Rettung. Aber diese Rettung war ihm nicht beschieden. Die schwarze Stunde trat auf seine Ferse. Am Ausgang eines Gäßleins warf sich den Flüchtigen ein Trupp von Fußknechten in den Weg, und trennte sie. Während auf der einen Seite der Hornberger angehalten wurde, und seine Kunst, so frech zu lügen, daß man's glauben mußte, in Anwendung brachte, verbarg sich Leuenberg unter die Bank eines Eckhauses, und kroch schwerfällig hervor, da die Söldner weiter gezogen waren. Mit aller Schwere seines Körpers und seines eiligen Laufs fiel er einem unfern gehenden Manne, den er für Hornberg hielt, um den Hals und in die Arme. »Pest und rother[334] Hahn!« rief er, obwohl leise genug: »Du hast Dich meisterlich durchgelogen, Veit; und nun laß' uns weiter gehen.« – Der Mann brummte einige unverständliche Worte, und suchte sich los zu machen. Um so fester klammerte sich der Leuenberg an ihn, und raunte ihm hastig und bebend in's Ohr: »Hornberger! Du wirst mich doch jetzt nicht verlassen wollen? Nur jetzt nicht Bruder, denn beim Teufel, ich bin schwach wie ein Kind, und in meinem Herzen spür' ich 'ne Angst, wie ich sie nicht verspürt, da ich dem Dürning den Rest gab, ob's gleich mein erstes Stücklein war.« – Da stieß der Mann, Veits böser Engel – einen gellenden Schrei der Überraschung aus, und eine derbe Faust packte den Raubjunker wild bei der Brust. »Hund!« rief eine fremdartige Stimme: »Du bist's also? Du der Schelm, der meinen Herrn ermordet hat? Nieder mit Dir, Mordbube!« – Beim auflodernden Schein eines Pechkranzes sah Veit mit sträubendem Haar in ein wüstes, grausam verzerrtes Gesicht, und dieser Blick war sein letzter, denn Ammon's Jagdmesser übte die langgenährte Blutrache fürchterlich und schnell, daß kein Laut dem Darniedersinkenden mehr über die erbleichenden Lippen ging. Ammon stand eine Weile mit wilder Zufriedenheit bei dem Entseelten, steckte den rächenden Stahl in die Scheide, und murmelte: »Wenn das nur Zufall war, so bin ich ein Schurke, und will schlechter seyn, als der gemeinste Heide. Nach so langer Frist mußte ich hieher gerathen, um dem Todtschläger des Herrn seinen Lohn zu geben? Und er ging heim, ohne zu wissen, wer ihn heimschickte?[335] und ich erschlug ihn, ohne mehr von ihm zu kennen, als sein selbstgeständiges Verbrechen? Lieber Herr dort oben, bitt' für mich, wenn's eine Sünde war, die ich gethan!« – Er wendete sich nun schnell von dieser Stelle, und wollte von dannen, als unfern von dem Platze eine Flamme aufging, und das ganze Gewühl der in den Straßen strömenden Volksmenge zu der Rettung eines brennenden Hauses aufforderte. Ammon, – nicht gelaunt, dem Gewühle zu folgen, hielt sich gegen den Strom fest an der Ecke des Nebenhauses. Fußgänger und Berittene gingen über den Leuenberger weg, ohne im allgemeinen Drange der gefürchteten Gefahr sonderlich auf den in dunkler Gasse Erschlagenen zu achten, und da der Menschensturm etwas nachließ, drängte sich ein Mann, mit einem Kinde an der Hand, quer durch, und wendete sich mit Heftigkeit an den harrenden Ammon. – »Der Lärm und das Getöse hat mich verwirrt gemacht;« sagte er mit unruhiger Hast: »Wollt mir berichten, wo man zum Liebfrauenberg am schnellsten gelangt.« – »Ich gehe dahin;« erwiederte Ammon, den Zerlumpten mißtrauisch betrachtend:. »Habt Ihr ein gut Gewissen, mögt Ihr folgen; wo nicht, so bleibt zurück; der Schultheiß befehligt dort.« – »Auf meinem Wege fürcht' ich ihn nicht;« antwortete der Andere ruhig, und folgte mit seinem kleinen Begleiter getrost dem schnell vorangehenden Ammon.

Fußnoten

1 Sturmglocke; eigentlich viel später erst aufgehängt.


Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 3, Stuttgart 1827, S. 336.
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