Die guten Kinder.

[159] Der Geburtstag der guten Mutter nahete; da versammelten sich die größern Kinder immer in einen Haufen und flüsterten untereinander, wie sie ihr kleines Taschengeld, das sie schon lange zu diesem Vorhaben aufgespart hatten, nun anwenden wollten, der Mutter ihre Liebe und kindliche Dankbarkeit, durch manches kleine Geschenk an dem festlichen Tage zu beweisen. Die Mädchen, Adelheit und Emilie, hatten sich seidenes Zeug und Stickseite gekauft, und standen seit einiger Zeit eine Stunde früher auf, als gewöhnlich, um einen Arbeitsbeutel und Strumpfbänder der Mutter zu sticken. Die Brüder hatten blühende Rosenstöcke und andere schöne Blumen bei einem Gärtner bestellt, und Elise, welche schon recht schön strickte, verfertigte in ihrer Strickstunde, unter der Aufsicht ihrer Lehrmeisterin, ein artiges Bändchen, mit dem Namen der Mutter bezeichnet, und dem Wunsche: »guten Appetit!« um mit demselben die Serviette zu umwinden und so auszuzeichnen. Der kleinere Fritz und die noch kleinere Lotte, hatten aber noch kein Taschengeld, noch konnten sie etwas[160] durch eigne Geschicklichkeit Hervorgebrachtes überreichen; und obgleich die ältern Geschwistern nicht in ihrer Gegenwart ihre Berathschlagungen hielten, um ihre kleinen Geheimnisse nicht vor der Zeit von den geschwätzigen Kleinen ausgeplaudert zu sehen, so erhorchten doch diese mit unter ein Wörtchen und sprachen unter einander darüber. Besonders war an dem vorletzten Tage des Flüsterns und geschäftigen Hin- und Herlaufens viel, und in ihrem freudigen Eifer vergaßen die Beschäftigten oft daß sie nicht allein waren. »Höre Lotte, sprach Fritzchen, wenn wir doch auch etwas der Mutter bringen könnten!« Ich will ihr meine schöne neue Puppe geben! rief die Kleine und hüpfte vor Freuden. »Ach das geht nicht, entgegnete der Bruder, denn siehst du, die Mutter spielt ja nicht mehr mit Puppen.« Ja das ist wahr! seufzte Lottchen, und stützte, betrübt, daß sie auch gar nichts hatte, was sie der lieben Mutter schenken konnte, das Köpfchen in die Hand. »Ich hab's, ich hab's!« rief fröhlich der Knabe, und fort lief er. Am andern Morgen erschienen die Kinder, artig geputzt, mit ihren Geschenken. Die Mädchen hatten kleine Teller von weißem Porzelain gekauft, und auf diesen ihre Gaben, mit Kornblumen geschmückt, zierlich hingelegt, und die Knaben hatten die Blumentöpfe,[161] welche sie überbrachten, mit Kränzen und Feldblumen umwunden. Fritz hatte sein kleines weißes Täubchen, das ihm die Tochter des Nachbars vor einiger Zeit schenkte, weil es ihm so wohl gefiel, mit einem Kränzchen von Vergißmeinnicht um den Hals, stattlich heraus geputzt, und überreichte es der Mutter. Lottchen hatte nur ein einziges Veilchen in ihrem kleinen Gartenbeete gefunden. Traurig, daß sie nur eine so kleine Gabe bringen konnte, kam sie zuletzt und sagte dann: »Liebe Mutter! ich bringe dir nur dieses kleine arme Blümchen; aber ich will recht gut seyn, recht gut, und dir recht viele Freude machen.« Da nahm die gerührte Mutter ihr Kind auf den Schoos und küßte es herzlich, und sprach: »Dein kleines Veilchen macht mir schon Freude, und noch viel mehr dein schönes Versprechen; du hast mich eben so reich beschenkt, als deine Geschwister; und Fritzchen hat mir das Liebste gegeben, was er besitzt; ihr sollt beide das schneeweiße Lämmchen haben, welches euch so wohl gefällt; die Bäurin, der es gehört, hat es mir schon versprochen, und dann binden wir ihm eine Schelle mit einem rothen seidnen Bändchen um den Hals.« Da jauchzten alle Kinder vor Freuden, und am Mittage gingen die Eltern mit ihnen spazieren, und in das Dorf, in welchem das Lämmchen[162] war. Hier durften die Kinder recht umher springen, und bekamen Milch und Kuchen. Als sie nach Hause gingen, hüpfte das Lämmchen mit ihnen, schön geputzt, mit der Schelle und dem rothen Bande.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 159-163.
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