Fünfter Akt.

Dieselbe Szene.

Nachmittag. Mudder sitzt an der Nähmaschine. Elsabe hat das ganze Tellerbort abgeräumt; das Geschirr steht zum Teil übereinander auf dem Tisch. Sie wischt die Borte ab und fängt dann an, die einzelnen Teile nachzuwischen und einzuordnen. Sie sieht verweint aus und tut alles ängstlich und schnell.


MUDDER näht am weißen Kinderbettbezug den letzten Knopf an. Dat brukst mi nich gliek weder öbel to nehmen. Ick nimm mi doch gewiß in acht.

ELSABE ohne einzuhalten. Ick nimm nichs öbel.

MUDDER. Denn is 't ja man god – Beißt den Faden durch. So, nu is dat lütt Ding fertig. Hol mi mal denn dürn Wagen her. Will 't gliek öbertrecken, dat anner süht ja all to dreckig ut.

ELSABE geht sofort links ab und kommt gleich mit dem Kinderwagen zurück. Geht wieder an ihre Arbeit.

MUDDER. So Steht auf; überzieht Kopfkissen und Überbett mit den neuen Bezügen, wirft die alten auf den Boden. – Dat möt di doch ok veel mehr Spaß maken, wenn dat all 'n beeten recht schön sauber is. Ick hew de Nacht sitten möst un mi sowat maken, un doch gung'n mien Kinner immer sauber un adrett, dat sick de Nachborn dröber wunnern dehn. Du hest aber doch den ganzen Dag Tiet – Als sie fertig ist. Kiek! süht dat nu nich veel beeder ut? Ick har mi schämt,[111] har 'n fremden Minsch mien Kinner so dreckig liggen seihn.

ELSABE arbeitet fort und schweigt.

MUDDER. Slöpt denn de Lütt op dien Bett?

ELSABE. Ja.

MUDDER. Hett s' sick ok nich weder nattmakt?

ELSABE. Ick hew nich toseihn.

MUDDER. Wat? Du hest nich toseihn? Mien Kinner wärn immer dat erst' un dat letzt. Mit 'n Vierteljahr hem s' all kein Dauk mehr schietig makt, so hew ick s' tiedig ant Affholln gewöhnt. – Aber dat is ja ok bie Brustkinner ganz wat anners, Buttelkinner brukt mal so veel Deuk! Befühlt eins der über dem Ofen hängenden Kindertücher. Ja, dat is drög. Zieht es von der Leine, reibt es und schlägt es mehrmals kräftig über die linke Hand. Soveel will ick man seggn, Du harst Dien Kind ok de Brust geben künnt.

ELSABE. Ick hew 't ja versöcht, aber dat gung nich; in twei Dag har de Lütt mi alls kaput beeten. Ick sull s' nich mehr anleggen, säh de Doktor, sünst künn sick dat entzünden Ordnet das Geschirr wieder ein.

MUDDER. Na, dat hett woll man 'n beeten weihdahn, un da harst gliek kein Lust nich mehr. De jung 'n Frun hütesdags sünd all to bequem, ehr Kinner selbst to stilln. Dat is jem nich fein genog Indem sie mit dem Wagen links abschiebt. Wenn ick dor man bie west wär, denn har 't woll gahn süllt mit Di! Kannst Di to verlaten Ab.[112]

ELSABE allein; sieht schweratmend zu Boden, trocknet sich dann mit der Schürze die Augen und wischt sich die Nase. Weinend. – Gott, nee, wo lang sall dat noch durn?! – Nach einer Weile trocknet sie sich hastig das Gesicht mit der Schürze ab und arbeitet weiter.

MUDDER tritt wieder ein, ein nasses Kindertuch in der Hand. Gewiß har se sick natt makt, kiek bloß mal an. Schlägt das Tuch beim Ofen über die Leine. Se is gliek weder inslapen, un wie liggt se da seut. – Du seggst, de Doktor hett 't seggt, sonn Doktor weit von sonn' Saken öberhaupt nichs! Wenn ick dorann denken do, wat 'n Doktor all alls in vörut prophenzeiht hett – ach Jeses! – Du – Du bad'st de Lütt nich häufig genog. De lütten Lend'n schien mi all wund to warden. Da möst Du mehr acht op geben. För dat eigen Kind darf di kein Arbeit toveel sien. Tiet genog hest Du doch wahrraftig. – Besinnt sich. Wat do ick nu? Na, ick kann eben dat Schrank 'n beeten afseipen.

ELSABE. Ick bin da ja bie, ick war damit woll allein ferdig.

MUDDER. So. – Sieht sie von unten bis oben an. Du kümmst mi all weder ganz komisch vör. Fehlt Di wat?

ELSABE. Wat sull mi woll fehln?

MUDDER. Denn is Di 't woll nich recht, dat ick di helpen do; wenn allein ferdig werden künnst, denn harst mi doch nich trüchhaln brukt! Meinst, dat mi dat angenehm is, hier jeden Dag in Striet un Zank to leben?

ELSABE. Dat is nich mien Schuld.[113]

MUDDER. Na, mien doch erst recht ich! Ick helg jedenein gern, un noch kein hett mi wat Slechts nahseggen künnt. Da hör mal rum, ob se Di nich öberall seggt, ick arbeit' wie 'n Pferd, Dag un Nacht kein Ruh! Du wullt man immer op mi rumhacken, jedes Wurt, wat ick seggen do, is di toveel. Aber denn segg mi doch mal, ob ick 't all jemals slecht mit Di meint hew? Will ick nich dien Best' op Steg un Weg? Ick will wieder nichs, as dat dien Mann sick hier gemütlich feuln deiht. He is sonne Unornung nich gewohnt!

ELSABE. De Unornung is hier nich so grot, as Du maken deihst; nich grötter as in jeden Husstand, wo Mann un Fru sick verdragen könnt. Wo aber de Mann schimpt un spektakelt, und de Fru vör em in 'e Ecken krupen möt, da mag dat anners sien. Dat weit ick nich.

MUDDER ganz erstaunt, aber sprungbereit. So?!

ELSABE. Willem hett sick hier woll feult, so lang ick hier allein för em sorgt hew!

MUDDER. So? Denn wullt Du also seggen, dat ick för mien Mann in 'e Ecken krupen mößt? Un nu ok noch, dat Willem sick nich mehr woll feult, sietdem ick hier bin? Warum hett he denn de drei Dag, de meiste Tiet bie mi rumlegen?

ELSABE. Dat mag de leibe Gott weeten! He is woll gorkein Kerl mehr.

MUDDER hört genau zu. Wat seggst Du??

ELSABE. He is gorkein Kerl mehr.[114]

MUDDER lächelt. Hm! nu weit wi 't ja. Gießt Wasser in eine braune Kumme. – Hm! Du wußt woll seggen, he is öberhaupt noch kein Kerl weest? Nimmt grüne Seife, zerschlägt sie in dem Wasser. Nu geiht mi erst 'n Licht op. Lächelt. Hm! Denn hett de Doktor doch recht hatt. – Dat dat mal so rutkamen mößt, hew ick mi all lang dacht.

ELSABE sieht sie verwundert an, gespannt. Wat? Wat denn? Ick verstah Di nich!

MUDDER. Ick verstah Di desto beeder. Lächelt. Na ja Geht mit dem Seifenwasser an den Schrank und beginnt ihn mit dem Seifentuch abzuwaschen.

ELSABE arbeitet wieder. Ick war da nich ut klok, is mi ok egal, wat Du meinst. – Bien Schrank harst nich bietogahn brukt. Beeder, Du makst 'n warm Abendbrot för de beiden. Dat Middageeten hett doch all to lang röst. Dat smeckt nich mehr. – Ick begriep öberhaupt nich, wo de Beiden so lang bliewt, se harn doch längs von Alt'na trüch sien künnt – se kamt sünst all to Middag, un wenn se noch mehr Fisch harn as ditmal. – Sieht die Mudder wieder an. Ick kam da doch nich öber weg, wat meinst Du eingtlich mit 'n Licht opgahn? – Geht an den Tisch, den sie abwischt. Na nee, mi sall 't nichs angahn.

MUDDER. Wenn doch bloß de oll grießborte Doktor noch leben deh! Ick wür hengahn un em fragen, so gewiß as ick hier stah.

ELSABE. Welche Doktor?[115]

MUDDER wirft das Seifentuch in die Schüssel, geht geheimnisvoll lächelnd zu Elsabe. Weißt ok, wat de seggt hett? As Willem noch sonn' lütten Jung wär, fief Johr wull, da lät ick em mol unnerseuken.

ELSABE aufmerksam. Wat denn? Öber Willem hett he wat seggt?

MUDDER geht wieder an den Schrank und seift eine Weile lächelnd.

ELSABE. Na, nu war ick doch neigierig Geht zu Mudder. Wat denn? Wat hett he denn seggt?

MUDDER das Seifentuch wieder in die Kumme werfend. Dat will 'ck Di seggen. He hett seggt, Willem sien Fru künn maleins kein Kinner kriegen.

ELSABE wendet ihr den Rücken, macht ein paar Schritte zum Tisch. Dat hest all mal seggt Bleibt dann plötzlich, schrickt zusammen und wendet sich nach Mudder um. Aber Du seggst dat ditmal so ...

MUDDER. He hett meint, sien Fru künnt maleins von em kein Kinner kriegen Sie will das Seifentuch lächelnd wieder aufnehmen.

ELSABE springt auf Mudder zu, packt mit beiden Händen ihren linken Arm, den sie wohl schüttelt, sich aber doch mehr noch daran hält, um nicht umzustürzen; zittert heftig, versucht zu schreien, doch kommt kein Laut über ihre Lippen.

MUDDER greift zu, stützt sie, doch sie sich immer vom Leibe haltend. Wat is denn los? Ick segg bloß, wat de Doktor mi seggt hett.[116]

ELSABE schreit endlich dumpf auf. – – – Mudder!! – Du – Du gläuwst dat?!

MUDDER. – Ick weit nich, wat ick glöben sall; so hett de Doktor dat seggt!

ELSABE. – Du bist slecht!Wankt zurück, sinkt endlich auf den Stuhl vor der Nähmaschine nieder. – von mi dat to glöben! Weint endlich laut auf. – Du bist ... Du ... Du ... Weint und schluchzt.

MUDDER sieht sie an; halb tut es ihr schon wieder leid, geht ein paar Schritte zu ihr, bleibt wieder stehn, schüttelt den Kopf; kehrt um und geht an den Herd. Weißt Du, so brukst Du Di dorum nich antostelln! Wenn man 'n reines Gewissen hett, denn lätt man eben jeden Minschen seggen, wat he will! – Aber Du makst 'n Larm davon ... da möt man ja sien Deil glöben ... Rührt im Feuer, wirft Kohlen auf.

ELSABE ist ruhiger geworden, steht auf, sich auf beiden Armen stützend; das Weinen ist vorüber, eine krampfhafte Starre verzerrt ihr Gesicht. Sie läßt von jetzt ab kein Klagen, Stöhnen oder Weinen hören, in ihrer inneren unheimlichen Wut erstickt alles. ... Bliw von' Für! – Mak dat Du rutkümmst!

MUDDER sieht sie verständnislos an. Wat wullt Du?

ELSABE. Du sast maken, dat Du rut kummst ut 'n Hus! Rut!!

MUDDER. Na nu ward 't god! Du wullt mi ut mien Söhn sien Hus rutsmieten?

ELSABE. Rut!! Sünst stick 'ck dat Hus an![117]

MUDDER. Man kann ja bang vör di warden! Du bist woll narrsch?!

ELSABE. Du hest mi sowiet bröcht! Rut! Op de Stell! Rut!! ick weit nich, wat ick sünst do!

MUDDER. Na, dit 's ja amüsant! Wat hört di denn von dat Hus to, dat Du mi rutsmieten kannst? Dn süst doch man froh sien, dat noch sonn ehrlichen Mann kreegen hest, de Di ernähren kann. Wat hest Du denn hatt? Willem, ein Paket unterm Arm, und Hugo kommen über den Deich.

MUDDER zur Tür. Na, Gott sie Dank!Da kamt s' ja all.


Willem und Hugo kommen herein.


MUDDER. Hört bloß mal an, Elsbe will mi hier umbringn!

WILLEM wirft das Paket auf das Sofa. Nanu? Wat is denn nu all weder los?

HUGO geht zu Elsabe, die starr dasteht. Elsbe! Elsbe! Wie sühst Du ut? Fehlt Di wat?

MUDDER. Se will mi hier rutsmieten, juch dat Hus baben 'n Kopp ansticken, un allerhand dumm' Kram quatscht se.

WILLEM. Warum antwurt s' denn nich? Geht ebenfalls näher zu ihr. Elsbe!

HUGO faßt sie an. Elsbe! wat hest Du?

ELSABE schüttelt die Hand ab. Mudder fall sofort ut 'n Hus!!

WILLEM. Na nu ward 't rieten! Du bist woll nich ganz bie Sinn? Einmal is se dienwegen ut 'n Hus gahn,[118] un 'n zweites Mal passiert dat nich! Verdammi! twei grote utwuss'ne Minschen, de möt sick doch sließlich sowiet verdragen könn', dat de Nachborn nich mit de Finger op uns wiest!

HUGO. Wat dat wull weder west is?

WILLEM. 'n Dummheit natürlich.

MUDDER. Se hett seggt, Du wärst kein Mann nich!

WILLEM versucht die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Wahrraftig! Hahaha! Lacht, schlägt sich dabei mit der Hand aufs Knie. Denn nich ...

ELSABE. De nich dörchgriept, wenn sien Mudder de Fru dodpiern deiht, dat is ok kein Mann nich! Bewies', dat Du ein bist, schick Mudder ut 'n Hus!!

WILLEM geht wieder näher zu ihr. Hör mal, Elsbe, Du kümmst mi nu bald 'n beeten mutsch vör. – Segg mal, wat fallt Di eingtlich in?

ELSABE. Mudder möt sofort rut, oder ick gah! Ick bliw kein Stünn mit ehr unner ein Daak.

WILLEM dreht sich nach seiner Mudder um, die Essen auf den Tisch trägt. Wat is dat?

ELSABE immer ziemlich hinten stehend. Se – se hett seggt – mien beiden Kinner – Mächtig zitternd, kann die Sprache kaum herausbringen. dat sind Haurnkinner!!

WILLEM. Wat?

MUDDER holt weiter Brot, Butter, Wurst aus dem Schrank; wird von dem andern durchaus nicht berührt. Dat is nich wohr. Ick hew bloß seggt, wat de Doktor seggt hett.[119]

WILLEM. Ach so, dat is 't.

ELSABE. Aber wie Du dat seggt hest!! ›Nu geiht mi 'n Licht op!‹ ›Nu weit ick ok, wat los is!‹ un denn dit verfluchte höhnsche Lachen!

MUDDER steht. Sall ick denn nu ok all nich mehr lachen? Geht, setzt die Sachen auf den Tisch.

HUGO. Ick kann mi't denken!

WILLEM. Wie se dat seggt hett, is doch ganz egal! De Haupsak is doch man, dat ick de Kinner anerkenn' do. – Mudder har dat nich seggen brukt, se weet doch, dat dat dumm'n Snack weest is von denn Doktor. Wat will de Schapskopp an' sößjährigen Jung seihn, ob he mal Vader ward. Deshalb brukst Du di nich gliek op de Achterbein' to setten.

ELSABE. Mudder glöwt dat! Entweder se geiht – oder ick!

MUDDER geht zu ihr, wütend. Nu segg mi bloß mal ein Minsch an, woher nimmst Du Di dat Recht, noch so denn Kopp in' Nacken to smieten?! Du süst doch man ganz still sien! Is nich de Lütt-Hein all söß Mond nah de Hochtied to Welt kamen? Dat 't Willem sien is, will ick nich beswörn!

WILLEM wütend. Verdammi! Mudder! swieg still!!

HUGO. Junge! Junge! Junge!

ELSABE. Da! Da hörst dat! Se geiht oder ick!! Hüt abend noch!!

WILLEM. Mudder, Du swigst jetzt, sünst kriegst mit mi to dohn![120]

HUGO. Dat 't so kamen möst, hew ick woll dacht! Mudder hört nich ehr op! Ganz recht, Elsbe! ick in dien Stell har 't all lang fordert!

WILLEM. Se hett s' sick selbst weder hahlt, ohn dat ehr ein Minsch wat seggt hett. Meinst dat ick hier op Finkenwarder rum kamen will? Se lacht mi nu all wat ut! 'n tweites Mal ward de Komeidi nich makt!! Dorbie bliwt!! – Mudder, Du, nimmst Dien Wür 'n beeten mehr in acht! Wenn ok old bist, Du hest doch noch dien gesunden Verstand un mößt weiten, wur wiet Du to gahn hest.

MUDDER. So? Nu fang Du ok noch an, nich? Geht rückwärts, sich beide Füße abtretend. dat 's to gräßlich! wenn man immer so op de Kohl rum pett Holt den Besen und fegt die Kohlen nach dem Ofen zu zusammen. Fallt man all öber mi her, denn is 't am besten, ick gah gliek hen, wo ji mi nich wederholn könnt.

HUGO. Wär ok nich slecht!

MUDDER stellt den Besen wieder in die Ecke. Juch beiden hew ick all lang in stilln beobacht. Du süst man ganz still sien.

WILLEM. Nu hör op, in goden! Ick hew Di sonn' schönes Kleed mitbröcht, Elsbe, stünnlang sind wi lopen, ehr wi ein fündn, dat uns god genog wär Will nach dem Sofa gehn.

ELSABE. Sall Mudder nich gahn?! – denn gah ick. Aber mien beiden Kinner nimm ick mit mi! Wenn[121] ok kein glöben will, dat 't Dien sind, mie sind 't doch gewiß!! de Haurnkinner.

WILLEM. Elsbe! ick segg Di in goden: mak kein Dummheiten! Von mi hest doch nie 'n Twiefel hört.

ELSABE. Ick will s' ok von Dien Mudder nich hörn!! Du bist de Mann un möst Dien Fru vör sonn' Redensarten in Schutz nehmen!! Süst glöwst Du 't ok! – Hüt abend geiht Mudder ut 'n Hus!!

WILLEM. Hüt abend geiht se nich! Du hürst doch! Ick will hier nich nochmal Obseihn maken. – Morgen will ick s' ropbringn.

HUGO ist näher zu ihnen herangetreten und mißt seinen Bruder zornig. Do fangst Du weder an, ehr op jede Ort to konjuniern! Du mit Dien oll dwatsches Hen- und Herlurn hest doch man Schuld, dat s' Mudder weder hahlt hett. Gläuwst an' Dübel und Vorbedüdung wie sonn olles Wief!

WILLEM. Wat wullt Du?

HUGO in heimlicher Wut. Du bist ok kein Mann nich! Ick hewt toerst seggt! Sünst würst Du hier ja 'n Machtwurt spreeken! Du Schooster!

WILLEM will auf ihn zu. Wat?!

ELSABE tritt dazwischen und sieht ihren Mann groß und durchdringend an. He hett recht!

MUDDER. Nu kiek doch bloß mal an, de Beiden!

HUGO. Lat em man kamen, Elsbe, wenn he ok soveel öller is, aber wenn 't drop ankümmt, smiet ick em mi noch dreimal öbern Kopp.[122]

WILLEM will Elsabe zur Seite schieben. Gah weg!

MUDDER hält ihn zurück. Gah nich op em af, Willem! He hett immer glieks dat Mess' prat!

HUGO. För jeden de 't verdeint hett!

MUDDER. Da sühst dat nu! Ick hew 't ja all lang markt, glieks as ick kamen bin! De Beiden hebt wat tosam!

WILLEM. Quatsch nich, Mudder!

MUDDER. Dat is doch wahr! Du höllst noch veel to veel von Dien Fru! Wer is se denn? Wat hett s' denn hatt? Un nu will s' mi rut triezen?

WILLEM. Du bliwst hier! Un jetzt still davon! sünst slag ick alls in korten Stücken!!

ELSABE will zur Kammer hinten links. Denn gah ick!!

WILLEM. Elsbe!! reiz mi nich!!

ELSABE. Ick gah noch hüt abend, un mien Kinner nimm ick mit mi!! Will in die Tür.

WILLEM in äußerster Wut; springt ihr nach packt sie an der Schulter und reißt sie zurück. Gah, wenn gahn wullt! de Kinner letst Du mi slapen! – Gah!! un wenn 't ton Dübel is!! – Du bist jawoll narrsch worden in ein' Dag! Gah! wohen Du wullt! hier lat ick Di nich rin!

ELSABE zitternd, heiser. Lat mi mien Kinner!! – Lat mi mien Kinner!! – Ick will mien Kinner hem!! –

MUDDER. Lat s' nich rin, Willem!

WILLEM. Holl Du Dien Mul, Mudder! Verdammi! ick will von Di nichs mehr hörn![123]

ELSABE. Gew mi mien Kinner!! oder ick stört mi int Wader!

WILLEM ganz außer sich. Do doch!! Gah doch!!

ELSABE. Gew mi mien Kinner, oder ick stört mi int Wader!!

HUGO. Elsbe!

WILLEM. Verdammi! gah doch, segg ick! dat Wader is natt! Da kümmst wenigstens glieks to Besinnung!

ELSABE packt ihn krampfhaft an der Brust, heiser. Willem! mien Kinner ...

WILLEM schleudert sie von sich. Gah!! segg ick Di!!

ELSABE taumelt, hält ihren Kopf mit beiden Händen, sieht sich ganz entgeistert um.

HUGO geht ein paar Schritte zu ihr, leise. Elsbe.

ELSABE rafft sich auf; hauchend. – Mudder hett Schuld – Stürzt aus der Tür und quer über den Deich.

WILLEM ruft ihr nach. Kumm aber nich so lat weder! sünst ward toslaten!

HUGO sieht Willem groß an. – Du Willem – ick glöw, se makt ernst! Erst noch unentschlossen, stürzt ihr endlich nach.

MUDDER. Wat dat woll ward.

WILLEM geht zum Tisch. Alls narrsch in ein' Dag!

MUDDER. Kumm, seet Di op 't Sofa, eet erst wat, Du mößt ja Hunger hem. Da fehlt doch nichs? Übersieht den Tisch. Nee Geht an den Herd. Ick will noch eben 'n beeten Tee opschenken.[124]

WILLEM läßt sich stöhnend aufs Sofa fallen. För mi brukst nichs optoschenken – ick mag nich.


Es ist jetzt ziemlich dunkel. Draußen leuchtet matt der Abendhimmel.


MUDDER wendet sich zu ihm. Nanu? Du mößt doch 'n Happen eeten.

WILLEM laut, wobei er sie groß ansieht. Du hörst doch, ick mag nich!!

MUDDER. Nu, nu – ja, deshalb brukst nich gliek optobrusen. – Am End' giwst Du mi ok noch de Schuld?

WILLEM. Swieg davon! Du harst nich nödig hatt, se mit Dien Quatsch so optobringn! Se wär ja in ein Für, dat 'n se nich weder kennt. Wenn 't bloß ...


Draußen Lärm, Leute laufen über den Deich nach links.


WILLEM steht erschrocken auf, stützt sich mit bei den Händen auf den Tisch. Nu?! – sull s' doch ...?

MUDDER halb über die Schulter sprechend. Na, so dumm ward s' doch woll nich weest sien. Sieht die Schüssel mit dem Seifenwasser:. Nu hew ick doch in dem Rapus dat ganz vergeeten.

WILLEM geht zur Tür, reißt sie auf. Hm! da kamt s' all! Tritt zurück. Er bleibt von nun ab ruhig und groß, nach außen hin verrät nichts, was in ihm vorgeht. Nur seine Sprechweise ist jetzt kurz und forsch.


Nachbarn schleppen Elsabe, deren Kleider triefen über den Deich herein. Hugo, naß, trägt ihren Oberkörper,[125] mit den Armen um Schulter und Hals. Neugierige drängen nach.


WILLEM macht beide Türen auf. Is s' all dod?

MUDDER schlägt die Hände zusammen. Herri Jesis, wat is nu?! Dormit wull s' uns doch man blos argern – Weint. Nee, nee, wo künn se sowat maken?!

WILLEM. Leggt se hier dahl!


Die Männer legen sie nieder, stehen und sehen bald auf Willem, bald auf Mudder.


HUGO kniet neben ihrem Haupt, streicht ihr immer wieder das nasse Haar aus dem Gesicht und ruft leise. – Elsbe – Elsbe – Elsbe –

WILLEM. Nu – rut! Wi brukt hier kein Mulapen! rut! Die Leute gehen, ihn vorwurfsvoll anblickend, ab. Wi weet allein, wat to dohn is! Macht die Türen zu und verschließt sie, den Schlüssel steckt er in die Tasche. So! Geht zu Hugo. Kumm hoch! willn se in 'e Kammer drägen! Dien Ropen helpt nichs! hoch!

MUDDER weinend. Kinner! Kinner! mi ward ganz slecht! – Wie is dat bloß kamen?

WILLEM UND HUGO fassen Elsabe an und schleppen sie nach links ab.

MUDDER allein, läßt sich auf einen Stuhl fallen, sieht eine ganze Weile weinend vor sich auf den Boden, schüttelt endlich den Kopf. Nee, nee, de armen Kinner! de armen beiden lütten Kinner ...

HUGO kommt leise und langsam zurück, sieht hinaus, geht nach rechts zur Tür, langt mit dem Arm hoch, um[126] seinen Hut vom Nagel zu holen, läßt ihn wieder sinken und wendet sich nach Mudder um. Du hest Schuld, hett se seggt, un Du hest ok Schuld!!

MUDDER wischt sich mit der Schürze das Gesicht ab und springt auf. So?! Du dumme Jung!

HUGO geht langsam näher. Du hest mit Dien verfluchte Ornung hier denn ersten Striet anstift! Du hest se piert op Schritt un Tritt! un hest se dod makt!!

MUDDER weicht vor ihm immer mehr nach der Tür links. Wenn se sick man nich um Dien halben dat Leben nahmen hett. Du hest se ja so leiw hatt!

HUGO. Ja! ick hew se leiw hatt! – Du nich! Du hest se hier rut hem wullt, damit Du ok Willem noch sowiet krigst, as Du Vader kreegen hest! Du bist Schuld, dat se sick dodsapen hett! Du hest se mit Dien verfluchtes Sticheln, Quatschen un Leigen unt 'n Hus dreeben!! Du hest Di all Dien Leiden selbst to verdanken! Geht auf sie zu. Un mi driwst Du ok!!

MUDDER flüchtet ängstlich bis an die Tür. Du wist mi woll dodmaken? Mi ward ganz bang vör Di!

HUGO bleibt stehen, drückt die Fäuste gegen den Leib; heiser. Du hest ok Ursak!! Wendet sich, sieht den Schrank. Hä! Geht langsam auf den Schrank zu, reißt die linke Schublade heraus, daß alles auf den Boden fällt. Nimmt die Börse mit Geld und geht zur Tür hinten. Indem er das Geld in die Tasche steckt; heiser. Du wist 't nich beeder hem! Langt seinen Hut herunter und will zur Tür hinaus; prallt zurück, da[127] sie verschlossen ist. Nu?! Zieht erst seinen Hut tief über die Ohren und tritt dann wütend die Tür ein. Geht mit langen langsamen Schritten, beide Hände in den Hosentaschen über den Deich nach links ab.

WILLEM kommt von links. Wat wär dat hier? Wat klirrt hier so? Wat fehlt Di?!

MUDDER ängstlich, kann kaum sprechen. Ach Willem – Hugo is gahn, hett sick dat Geld ut de Schuf nahmen – Weinend. He seggt, ick bin an alls schuld!

WILLEM. Dat ok noch Geht nach rechts, nimmt seine Mütze.

MUDDER. Is s' denn all dod?

WILLEM. – – möt 'n Slag kreegen hem – – hier denn – – dat kolle Wader ...

MUDDER. Ach – Wo wullt Du hen?

WILLEM. Hugo seuken!

MUDDER. Seggst Du ok, dat ick schuld hew?

WILLEM laut. Nee!! Leiser. Nee, nee! ick hew de Schuld! Nu seih ick't in! – nu, da 't to spät is. – Sieht die eingetretene Tür an.

MUDDER weinend. Willem! wenn bloß Hugo sick nich ok wat andeiht! Steckt Licht an.

WILLEM. Denn möt ick em erst recht seuken!

MUDDER weint, geht an den Schrank, seift ihn weiter ab. – Nee, nee! wat ick ok alls dörchmaken mött! –


Ende.
[128]

Quelle:
Fritz Stavenhagen: Mudder Mews. Hamburg 21908, S. 107-108,111-129.
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