Viertes Kapitel.

[16] Ich weiß, es giebt Leser in der Welt, – auch andere gute Leute, die ebenfalls in der Welt, aber keine Leser sind, – welche sich nicht eher zufrieden geben können, als bis man sie ganz und völlig in das Geheimniß eingeweiht hat, in Alles, was Einen angeht, von A bis Z.

Aus purer Gefälligkeit gegen solche Laune und weil es meiner Natur zuwider ist, irgend eine lebende Seele zu kränken, bin ich bereits so ausführlich gewesen. Da nun mein Leben und meine Meinungen voraussichtlich einiges Aufsehen in der Welt erregen werden, und ich vermuthe, daß sie sich wie des Pilgrims Wanderschaft in allen Ständen, Berufsarten und menschlichen Verhältnissen einbürgern werden, bis ihnen endlich wohl das Loos zu Theil wird, welches Montesquieu für seine Essais fürchtete, nämlich das, auf jedem Salonfenster liegen zu müssen, so finde ich es nothwendig, der Reihe nach einem Jeden genug zu thun, und bitte deshalb um Verzeihung, wenn ich noch ein Weilchen nach der begonnenen Art weiter fortfahre, wobei es mir sehr zu Statten kommt, daß ich meine Geschichte eben so, wie ich es that, begonnen habe, denn nun brauche ich nur so weiter zu gehen und kann jedes Ding (wie Horaz sagt) ab ovo behandeln.

Ich weiß wohl, Horaz empfiehlt diese Art und Weise nicht überhaupt und durchaus, sondern dieser Treffliche spricht nur von dem Epos oder der Tragödie (ich habe wirklich vergessen, von welchem von beiden); sollte es übrigens anders sein, so bitte ich Herrn Horaz um Verzeihung, denn bei dem, was ich hier zu schreiben im Begriff bin, werde ich mich weder an seine, noch an irgend Jemandes Regeln kehren.

Wem es jedoch nicht ansteht, so weit in der Sache zurückzugehen, dem weiß ich keinen bessern Rath zu geben, als den, den Rest dieses Kapitels zu überschlagen: denn ich erkläre im[16] Voraus, daß ich denselben blos für die Neugierigen und Nachforschlichen schreibe.

Also – die Thüre zu! Ich wurde erzeugt in der Nacht vom ersten Sonntag auf den ersten Montag des Monats März im Jahre unseres Herrn 1718. Darüber ist bei mir kein Zweifel. Weshalb ich aber in Betreff einer Sache, die sich doch vor meiner Geburt zutrug, so außerordentlich sicher sein kann, das hängt mit einer kleinen Anekdote zusammen, die nur in unserer Familie bekannt ist, die aber hier zur besseren Aufklärung dieses Punktes veröffentlicht werden soll.

Mein Vater, der, ehe er sich auf sein mütterliches Erbgut in der Grafschaft N. zurückzog, ein Geschäft mit türkischen Waaren besessen hatte, war unstreitig einer der regelmäßigsten Menschen, die es auf der Welt gab, sowohl was das Geschäft als was das Vergnügen anbetraf. Als eine kleine Probe dieser außerordentlichen Regelmäßigkeit, zu deren Sklaven er sich geradezu gemacht hatte, mag angeführt werden, daß er lange Jahre seines Lebens am Abend des ersten Sonntags im Monat, so gewiß als der Sonntagabend herankam, die große Hausuhr auf der Hintertreppe eigenhändig aufzog und dann zugleich (ich rede von jener Zeit, wo er in dem Alter zwischen 50 und 60 Jahren stand) gewisse kleine Familienangelegenheiten in Ordnung zu bringen pflegte, um sich, wie er oftmals zu meinem Onkel Toby sagte, alles miteinander auf einmal vom Halse zu schaffen und die übrige Zeit des Monats nicht weiter davon geplagt und belästigt zu werden.

Dies war aber mit einem Uebelstande verbunden, der mich in vollem Maße traf, und dessen Wirkungen ich, wie ich fürchte, bis zu meinem Grabe spüren werde, mit dem nämlich, daß meine arme Mutter durch eine unglückliche Verbindung von Ideen, die eigentlich nichts mit einander gemein hatten, besagte Uhr nie aufziehen hören konnte, ohne daß ihr gewisse andere Dinge in den Sinn gekommen wären, und – vice versa – eine sonderbare Ideenverbindung, von welcher der scharfsinnige Locke, der gewiß das Wesen der Dinge besser verstand als die meisten Menschen, behauptet, daß sie mehr thörichte Handlungen[17] hervorgebracht habe, als aus Vorurtheilen irgend einer Art entstanden seien.

Doch das nebenbei.

Nun geht aus einer Notiz, welche sich in dem vor mir liegenden Taschenbuche meines Vaters findet, hervor, daß er am Marientage, welcher der 25. jenes Monats war, in welchen ich meine Erzeugung setze, mit meinem ältesten Bruder Bob nach London reiste, um diesen in die Westminster-Schule zu bringen; da aber derselbe Nachweis sicher stellt, daß er erst in der zweiten Woche des darauffolgenden Maimonats zu seiner Frau und Familie zurückkehrte, so ist die Sache damit fast zur Gewißheit erhoben. Uebrigens wird sie durch das, was im Anfang des nächsten Kapitels steht, außer allen Zweifel gesetzt.

– Aber, bester Herr, was machte Ihr Vater denn den ganzen December, Januar und Februar? – Ei, Madame, die ganze Zeit über war er vom Hüftweh geplagt.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 16-18.
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