Zweiundzwanzigstes Kapitel.

[73] Der gelehrte Bischof Hall, – ich meine nämlich den berühmten Dr. Joseph Hall, der zur Zeit Jakob des Ersten Bischof von Exeter war, – sagt in einer seiner Dekaden, die seiner »Göttlichen Kunst des Meditirens«, London 1610, gedruckt bei John Beal, Aldergatestraße, angehängt sind, »daß es nichts Abscheulicheres giebt, als wenn sich Jemand selbst lobt«, – und ich bin derselben Meinung.[73]

Doch auf der andern Seite, wenn man etwas meisterhaft zu Stande gebracht hat, etwas, was Niemand so leicht ausfindig macht, – so dünkt es mich doch ganz ebenso abscheulich, daß man der Ehre davon entbehren und aus der Welt gehen soll blos mit dem stillen Bewußtsein, es zu Stande gebracht zu haben.

Das ist nun eben mein Fall.

Denn in dieser langen Abschweifung, in die ich zufällig gerieth, zeigt sich, wie in allen meinen Abschweifungen (eine einzige ausgenommen) ein Meisterzug der Abschweifekunst, dessen Verdienst, wie ich fürchte, bisher von dem Leser übersehen worden ist, – nicht etwa aus Mangel an Scharfsinn, sondern einzig und allein deshalb, weil man ihn in einer Abschweifung so selten findet, oder vielleicht gar nicht erwartet, – nämlich der: obgleich, wie man bemerkt haben muß, alle meine Abschweifungen schön sind, und obgleich ich mich von meinem Gegenstande so weit und so oft entferne als nur irgend ein Schriftsteller in Großbritannien von dem seinigen, so trage ich doch stets Sorge, die Sache so einzurichten, daß das Hauptgeschäft während meiner Abwesenheit nicht still steht.

Ich war z.B. gerade dabei, Ihnen den eigentlichen Charakter meines Onkels Toby in seinen Hauptumrissen hinzuzeichnen, als meine Tante Dinah und der Kutscher dazwischen kamen und uns einige Millionen Meilen weit mitten in das Planetensystem hineinführten; nichtsdestoweniger wird man bemerken, daß die Schilderung von Onkel Toby's Charakter ihren ruhigen Gang weiter ging – freilich nicht in großen Umrissen, das war unmöglich, aber doch in einigen Familienzügen und leisen Strichen, so daß Sie jetzt mit meinem Onkel Toby schon viel besser bekannt sind als vorher.

Durch diese Erfindung ist die Maschinerie meines Werkes eine ganz eigenthümliche: zwei entgegengesetzteste Bewegungen sind hier angebracht und miteinander in Uebereinstimmung gesetzt, die sonst sich zu widersprechen scheinen. Mit Einem Worte, mein Werk ist zugleich abschweifend und vorwärtsschreitend.

Dies, Sir, ist durchaus etwas Anderes als die tägliche[74] Drehung der Erde um ihre Axe und ihr gleichzeitiger Fortschritt in der Ellipse, woraus das Jahr und der Wechsel der Jahreszeiten entstehen, – obgleich ich bekennen muß, die Idee dadurch erhalten zu haben, wie denn überhaupt die allergrößten unserer gerühmten Erfindungen und Entdeckungen von solchen unbedeutenden Winken hergekommen sein mögen.

Abschweifungen sind unleugbar der Sonnenschein, sie sind die Seele und das Leben der Lecture. Man nehme sie z.B. diesem Buche, und das ganze Buch wäre nichts werth; kalter, ewiger Winter würde auf jeder Seite herrschen; – man gebe sie dem Verfasser wieder, und wie ein Bräutigam wandelt er dahin, – Jedem ruft er »Glück auf« zu, bringt Abwechselung und wehrt der Sättigung.

Die ganze Geschicklichkeit besteht darin, sie so herzurichten und zu handhaben, daß sie nicht bloß dem Leser, sondern auch dem Autor nützen, dessen Verlegenheit in dieser Sache allerdings beklagenswerth ist; denn wenn er eine Abschweifung anfängt, so steht, sage ich, sein ganzes Werk sogleich stockstill, und fährt er in der Hauptsache seines Werkes fort, so ist auch seine Abschweifung zu Ende.

Das ist aber ein schlechtes Stück Arbeit; deshalb habe ich, wie Jedermann sehen kann, gleich von vorn herein mein Hauptwerk und seine Nebentheile so ver bunden, und die abschweifende und die vorwärtsschreitende Bewegung, Rad für Rad, so in einander gefügt und kombinirt, daß immer meist die ganze Maschine in Gang bleibt und, was mehr sagen will, noch ferner vierzig Jahre in Gang bleiben wird, wenn es dem Geber aller Gesundheit gefallen sollte, mir so lange Leben und frischen Lebensmuth zu verleihen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 73-75.
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