Dreiundzwanzigstes Kapitel.

[75] Ich habe große Lust, dieses Kapitel recht unsinnig anzufangen und will mich darin auch nicht stören lassen. – Also:

Wenn des Menschen Brust, wie der Erzspötter Momus als Verbesserung vorschlug, mit einem Glase versehen wäre, so würde[75] die närrische Folge davon sein: erstens, daß selbst der Weiseste und Ehrbarste unter uns jeden Tag seines Lebens in dieser oder jener Münzsorte Fenstersteuer bezahlen müßte.

Und zweitens, daß, sobald besagtes Glas einmal eingesetzt wäre, man weiter nichts nöthig hätte, um den Charakter eines Mannes genau kennen zu lernen, als einen Stuhl zu nehmen und wie in einen gläsernen Bienenkorb hineinzusehen; da könnte man die Seele splitternackt erblicken, alle ihre Bewegungen und Anschläge beobachten, alle ihre Grillen vom ersten Anfang bis zum vollendeten Wachsthum verfolgen, sie in ihren Sätzen, Luftsprüngen und Kapriolen belauschen, und nachdem man einige weitere Notiz von der solchen Luftsprüngen nachfolgenden würdigeren Haltung genommen hätte, würde man nach Dinte und Feder greifen, um Alles, was man gesehen hätte und demzufolge beschwören könnte, niederzuschreiben. – Aber eines solchen Vortheils muß ein Biograph auf unserm Planeten entbehren; im Merkur kann er's vielleicht so machen, und wenn nicht, desto besser für ihn; denn dort muß die ungeheure Hitze des Weltkörpers, welche nach der Berechnung unserer Astronomen, der Nähe der Sonne wegen, dem weißglühenden Eisen gleich ist, die Körper der Menschen schon längst verglast haben (wirkende Ursache), um sie dem Klima anzupassen (Endursache), so daß – was die gesundeste Philosophie nicht wird widerlegen können – die ganze Behausung ihrer Seele nur ein durchsichtiger Glaskörper sein wird (mit einziger Ausnahme des Nabels). So lange nun die Bewohner jenes Sternes nicht alt und runzelicht geworden sind, in welchem Falle die Lichtstrahlen, welche durch sie hindurchgehen, sich stark brechen oder in solchen schrägen Linien von ihrer Oberfläche auf das Auge zurückgeworfen werden, daß man nicht durchsehen kann, ist es ganz gleich, ob ihre Seele außer- oder innerhalb des Hauses den Narren spielt, es wäre höchstens etwa des Anstands halber oder wegen des lumpigen Vortheils, den das Nabelpünktchen ihr gäbe.

Aber so ist's, wie oben schon gesagt, bei den Bewohnern dieser Erde nicht; unsere Seelen scheinen nicht durch den Körper hindurch, sondern sind vielmehr in eine Hülle undurchsichtigen Fleisches[76] und Blutes eingewickelt, und wir müssen daher anders zu Werke gehen, um hinter ihren besondern Charakter zu kommen.

Wahrlich, der menschliche Verstand hat zu dem Ende mancherlei Wege einschlagen müssen.

Einige z.B. zeichnen alle ihre Charaktere mit Blasinstrumenten, – Virgil bedient sich dieser Art in der Geschichte von Dido und Aeneas; – aber sie ist trüglich wie die Stimme des Ruhmes und zeugt überdies von wenig Geist. Ich weiß wohl, daß die Italiener gewisse unter ihnen vorkommende Charaktere nach dem piano und forte bezeichnen, womit dieselben sich eines gewissen Blasinstrumentes bedienen, und daß sie dieser Methode eine fast mathematische Genauigkeit zuschreiben, ja sie für untrüglich halten. – Ich wage nicht, den Namen dieses Instrumentes hier zu nennen; es sei genug, wenn ich sage, daß wir es auch bei uns haben, aber nicht daran denken damit zu bezeichnen. Das klingt wie ein Räthsel und soll es auch sein, wenigstens ad populum: und deshalb ersuche ich Sie, Madame, sobald Sie an diese Stelle gekommen sind, schnell weiter zu lesen und nicht stehen zu bleiben, um darüber nachzudenken.

Wieder Andere zeichnen eines Menschen Charakter blos nach dem, was er »verrichtet«, was oft ein sehr inkorrektes Bild giebt, man müßte denn zugleich eine Skizze von dem geben, was in ihm steckt, auf welche Weise sich allerdings eine gute Gestalt herstellen ließe, indem man das eine Bild durch das andere verbesserte.

Gegen diese Methode hätte ich nichts einzuwenden, dächte ich nicht, sie müßte etwas zu stark nach der Lampe riechen und noch beschwerlicher dadurch werden, daß sie Einen zwingt, auf alles, was ein Mensch gemacht hat, sein Auge zu richten. Wie man übrigens bei den natürlichsten Handlungen im menschlichen Leben von etwas »Gemachtem« reden kann, ist freilich eine andere Frage.

Viertens giebt es noch Solche, welche alle diese Mittel verschmähen, nicht etwa aus Uebermaß eigener Erfindungskraft, sondern weil sie sich verschiedener Methoden bedienen, die[77] sie den ehrenwerthen Kunstgriffen der Pentagraphisten1 beim Kopiren von Gemälden nachgebildet haben. – Dies sind, wie man wissen muß, unsere großen Historiker.

Der Eine von ihnen zeichnet einen ganzen Charakter gegen das Licht; das ist unedel, – unehrlich und unbillig gegen den Charakter des Menschen, der sitzt.

Andere, um's besser zu machen, zeichnen Euch in der Camera; das ist das Allerschlimmste, denn da könnt Ihr sicher sein, in einer Eurer lächerlichsten Stellungen abgenommen zu werden.

Um nun bei der Charakterzeichnung meines Onkels Toby den einen wie den andern Fehler zu vermeiden, bin ich entschlossen, mich gar keiner mechanischen Hülfsmittel zu bedienen; auch soll sich mein Pinsel von keinem Blasinstrumente beirren lassen, mag's diesseit oder jenseit der Alpen gespielt werden; noch will ich was in Onkel Toby steckt und seine Verrichtungen weiter untersuchen, oder mich mit dem, was er gemacht hat, befassen, sondern will seinen Charakter einfach zeichnen nach – seinem Steckenpferde.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 75-78.
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