Sechsundfünfzigstes Kapitel.

[171] Nun werfe man sich nicht in die Brust und meine, die Flüche, welche wir in diesem unserm Lande der Freiheit loslassen, wären unser Produkt. Bilde man sich doch nicht ein, daß wir deshalb, weil wir den Muth haben, sie zu fluchen, auch den Verstand gehabt hätten, sie zu erfinden.

Das will ich Jedermänniglich sofort beweisen, ausgenommen einem »Kenner«; nur mit einem solchen Kenner des Fluchens will ich nichts zu thun haben, wie ich mit Gemäldekennern u.s.w. nichts zu thun haben mag, denn diese ganze Art ist dermaßen mit Bummeln und Zierrathen behängt und umfetischt, oder – um meine Metapher fallen zu lassen, die, beiläufig gesagt, nicht viel werth ist, und die ich an der Küste von Guinea aufgelesen habe – ihre Köpfe, Sir, sind so mit Richtmaßen und Zirkeln vollgepfropft, und sie haben eine so unausgesetzte Neigung, diese an Alles anzulegen, daß ein geniales Werk lieber gleich zum Teufel fahren, als es darauf wagen sollte, von ihnen zu Tode gestichelt und gequält zu werden. – Und wie sprach Garrick gestern Abend seinen Monolog? – Ach, gegen alle Regel, Mylord, ganz gegen die Grammatik; Haupwort und Adjektiv, die in Zahl, Casus und Geschlecht doch übereinstimmen müssen, riß er so auseinander, machte dazwischen solche Pausen, als ob die Sache noch zweifelhaft wäre, und zwischen dem Nominativ, der, wie Ew. Herrlichkeit wissen werden, jedenfalls das Verbum[171] regiert, hielt er im Epilog genau nach der Uhr wohl ein Dutzendmal die Stimme 3-33/5 Sekunden lang an. – Famoser Grammatiker! – Aber wurde durch diese Unterbrechung auch der Sinn der Rede unterbrochen? Füllte keine ausdrucksvolle Stellung oder Miene die Lücke aus? Sprach nicht sein Auge? Sahen Sie genau hin? – Ich sah auf meine Uhr, Mylord. – Famoser Beobachter!

Und was ist an dem neuen Buche, das so viel Aufsehen macht? – O! Mylord, ganz aus der Richte, ganz regelwidrig, windschief, kein Winkel recht. Ich hatte Richtmaß, Zirkeln. u.s.w. in der Tasche. – Famoser Kritiker!

Und was das Epos anbetrifft, das ich dem Wunsche Ew. Herrlichkeit zufolge durchgesehen habe, so maß ich es nach der Länge, Breite, Höhe und Tiefe und habe die Daten zu Hause nach Bossu's genauer Skala untersucht; durchweg über's Maß, Mylord, nach jeder Seite hin. – Bewunderungswürdiger Kenner!

Und haben Sie sich, als Sie nach Hause gingen, das große Gemälde angesehen? – 's ist eine erbärmliche Sudelei! Mylord! keine einzige Gruppe nach dem Princip der Pyramide, und was für ein Preis! Dabei keine Spur von Titianschem Kolorit, von Rubensschem Ausdruck, Rafaelischer Anmuth, nichts von der Reinheit des Domenichino, von dem Correggioartigen, was dem Correggio eigen ist, von Poussinscher Kunst der Komposition, Guido'scher Gestaltungskraft, keine Spur von dem Geschmacke der Carraccis oder den großen Kontouren eines Angelo.

Himmlische Gerechtigkeit! ist das nicht, um aus der Haut zu fahren? Von allem Wischiwaschi, das diese salbadernde Welt salbadert, möchte das Wischiwaschi der frommen Heuchler allerdings wohl das schändlichste sein, aber das lästigste ist das Wischiwaschi der Kritiker.

Fünfzig Meilen wollte ich zu Fuße gehen – denn zum Reiten fehlt mir's an einem Pferde, – um dem ehrlichen Manne die Hand zu küssen, dessen edelmüthiges Herz die Zügel seiner Einbildungskraft in die Hände seines Autors gäbe, und der[172] sich von ihm erfreuen ließe, ohne zu wissen wie und ohne zu fragen warum.

Großer Apollo! wenn du zum Geben aufgelegt bist, so gieb mir – ich fordere nicht mehr – nur ein wenig natürlichen Humor, mit einem Fünkchen deines eigenen Feuers darin, und dann schicke den Merkur, wenn er abkommen kann, mit allen Richtmaßen und Zirkeln und mit meinen besten Empfehlungen obendrein zum – nun, du wirst schon selbst wissen.

Ich mache mich also verbindlich, Jedermänniglich zu beweisen, daß sämmtliche Flüche und Verwünschungen, welche in den letzten 250 Jahren als Originalflüche und Verwünschungen über die Welt losgelassen wurden, – mit Ausnahme von »bei St. Pauls Daumen«, und »Potz Fleisch« und »Potz Fisch«, welches königliche Flüche waren und als solche nicht ganz schlecht sind, denn bei königlichen Flüchen ist es ziemlich gleichgültig, ob sie Fisch oder Fleisch – ich sage also, daß es unter allen diesen keine Verwünschung oder wenigstens keinen einzigen Fluch giebt, der nicht tausendmal aus dem Ernulphus genommen und diesem nachgemacht wäre; aber, wie es beim Nachmachen immer geht, wie weit bleiben sie an Kraft und Schwung hinter dem Original zurück! – Gott verdamm' dich! das hält man für keinen übeln Fluch, und erklingt auch ganz passabel. Aber man halte ihn gegen Ernulphus: Gott Vater, der Allmächtige, verdamme dich. Gott der Sohn verdamme dich! Gott der heilige Geist verdamme dich! Das sieht Jeder, dagegen fällt er gewaltig ab.

In Ernulphus' Flüchen ist so etwas Orientalisches, zu dem wir uns nicht erheben können; außerdem ist Ernulphus reicher an Erfindung, er besitzt die Gaben eines Fluchers in viel höherm Maße, und hat dabei eine so gründliche Kenntniß des menschlichen Körpers, seiner Gliedmaßen, Nerven, Muskeln, Flechsen und Gelenke, daß, wenn er flucht, kein Theil desselben unbeachtet bleibt. – Es ist wahr, seine Art ist ein bischen herbe – es fehlt ihm, wie dem Michel Angelo, ein wenig an Anmuth, – aber dafür, welch ein großer Styl! –

Mein Vater, der in Allem anderer Meinung war als andre Leute, wollte trotzdem nicht zugeben, daß er Original sei. Er[173] hielt Ernulphus' Bannfluch vielmehr für eine Art corpus maledictionis, in welchem Ernulphus zu einer Zeit, wo unter einem mildern Pontifikate das Verfluchen bereits in Verfall gekommen war, auf Befehl eines spätern Papstes mit großer Gelehrsamkeit und anerkennungswerthem Fleiße alle Fluchformeln gesammelt hätte, – wie ja auch Justinianus, zur Zeit als das römische Reich bereits zerfiel, seinem Kanzler Trebonian befahl, die römischen Civilgesetze im corpus juris oder den Pandekten zu sammeln, damit sie nicht etwa vom Zahn der Zeit zerstört würden und der Welt verloren gingen, indem sie der unsicheren Tradition allein überlassen blieben.

Deshalb, behauptete mein Vater, gäbe es keinen Fluch, von dem großen und furchtbaren Fluche Wilhelm des Eroberers (»Bei Gott's Herrlichkeit!«) an bis herab auf den allergemeinsten Gassenkehrerfluch (»Daß dir die Finger verdorren!«), der nicht in Ernulphus zu finden wäre. – Kurz, Den möchte ich sehen, pflegte er hinzuzusetzen, der besser fluchen könnte! –

Diese Hypothese ist, wie die meisten meines Vaters, eigenthümlich und geistreich, und ich habe nur das Eine dagegen einzuwenden, daß sie meine eigene über den Haufen wirft.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 171-174.
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