Einhundertunddrittes Kapitel.

[272] Als das Unglück mit meiner Nase so schwer über meinen Vater hereinbrach, ging er, wie sich der Leser erinnern wird, sogleich hinauf und warf sich aufs Bett, und wer keine tiefere Einsicht in die menschliche Natur hat, wird geneigt sein zu[272] vermuthen, es würde dieser Unfall mit dem Namen dieselbe Wirkung auf ihn geäußert haben. – Nein!

Das verschiedene Gewicht, Sir, ja nur die verschiedene Vertheilung desselben Gewichtes zweier Unfälle macht einen gewaltigen Unterschied in der Art und Weise, wie wir sie ertragen und darüber hinwegkommen. Erst vor einer halben Stunde warf ich (in der Hast und Eile, die ein armer, um's tägliche Brod schreibender Teufel nicht vermeiden kann,) einen guten Bogen, den ich eben beendigt und sauber fertig geschrieben hatte, statt eines andern, der nichts taugte, ins Feuer.

Sogleich riß ich mir die Perücke vom Kopf und warf sie mit aller Gewalt gerade in die Höhe an die Decke des Zimmers, – allerdings fing ich sie wieder auf, aber damit war die Sache auch abgemacht; – ich weiß nicht, ob mir irgend etwas Anderes eine solche Erleichterung verschafft hätte. – Natur, die göttliche Helferin, läßt uns in allen Fällen besonderer Erregung unwillkürlich dieses oder jenes Glied bewegen, oder schiebt uns in diese oder jene Lage oder Körperstellung, ohne daß wir wissen, wie es zugeht. – Aber, wohl zu merken, Madame, wir leben umgeben von Räthseln und Geheimnissen, – die allernatürlichsten Dinge, die uns aufstoßen, haben ihre verhüllte Seite, welche das schärfste Auge nicht erkennt, und jede kleine Ritze und Spalte in den Werken der Natur verwirrt sogleich den klarsten und scharfsinnigsten Verstand; – deshalb müssen wir, wie bei tausend andern Dingen, die wir nicht ergründen können, auch hier damit zufrieden sein, die Zweckmäßigkeit erkannt zu haben, was mit Ew. Wohlgeboren und Hochehrwürden Erlaubniß übrigens genügen wird.

Nun konnte sich mein Vater mit diesem neuen Kummer durchaus nicht hinlegen, auch nicht hinaufgehen, – er ging also ganz gefaßt nach dem Fischteich.

Hätte er den Kopf in die Hand genommen und eine Stunde lang überlegt, wohin er gehen solle, so würde alles Ueberlegen ihn nicht besser gewiesen haben. In Fischteichen ist etwas, Sir, – was aber, das mögen die ergründen, die Systeme bauen und Fischteiche graben, – aber in Fischteichen ist etwas – so etwas[273] Besänftigendes, die heftigste Aufregung des Gemüthes Niederschlagendes, wenn man nämlich langsam und anständig um sie herumwandelt, daß ich mich oft gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch Lykurg, noch Mohamed, noch irgend einer der berühmtern Gesetzgeber darauf verfallen ist, sich welche anlegen zu lassen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 272-274.
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