Einhundertundelftes Kapitel.

Ganz recht, Sir, – hier fehlt ein ganzes Kapitel und eine Lücke von zehn Seiten findet sich in dem Buche; – aber der Buchbinder ist nicht daran schuld, – auch ist das Buch nicht defekt (wenigstens deshalb nicht), – sondern im Gegentheil, es ist perfekter und vollständiger, als wenn das Kapitel nicht fehlte, was ich Ew. Hochehrwürden gleich beweisen werde. Ich möchte vorher nur noch in aller Geschwindigkeit fragen, ob man nicht mit vielen andern Kapiteln dasselbe Experiment, und zwar mit dem besten Erfolge machen könnte, – aber des Experimentirens mit Kapiteln würde dann kein Ende sein, Ew. Hochehrwürden, und wir haben schon zu viel davon gehabt – Also lassen wir's.

Bevor ich nun meinen Beweis anhebe, muß ich Ihnen sagen, daß jenes Kapitel, welches Sie jetzt, wenn ich es nicht herausgerissen hätte, statt dieses lesen würden, eine Beschreibung der Fahrt enthielt, welche mein Vater, mein Onkel Toby, Trim und Obadiah nach *** zur Kirchenvisitation machten.

Wir wollen uns einsetzen, sagte mein Vater. Ist das Wappen abgeändert, Obadiah? – Aber so fängt die Geschichte nicht gut an; ich muß erst etwas Anderes erzählen; nämlich: Als das Wappen meiner Mutter dem der Familie Shandy beigefügt und die Familienkutsche zur Hochzeit meines Vaters neu gemalt wurde, hatte der Maler, entweder weil er mit der linken Hand malte, oder weil er nicht sowohl mit der Hand als mit dem Kopf linkisch war, – oder weil nun einmal Alles, was mit unserer Familie in Beziehung stand, nach links neigte, statt des nach rechts aufsteigenden Balkens, der uns seit der Zeit Heinrichs VIII. von Rechts wegen zukam, einen linksaufsteigenden quer über das Shandy'sche Wappenschild gemalt. Es ist kaum glaublich, daß eine so unbedeutende Sache einen so vernünftigen Mann, wie meinen Vater, sehr hätte kümmern sollen. Doch war es der Fall; sobald nur das Wort Kutsche oder Kutscher, oder Kutschpferd oder Miethskutsche in der Familie ausgesprochen wurde, fing er sogleich an, sich bitter über dieses Zeichen der Illegitimität auf seinem Kutschenschlage zu beklagen;[293] nie stieg er in die Kutsche, nie heraus, ohne sich umzusehen und das Wappen zu betrachten, wobei er jedesmal betheuerte, daß es nun das letzte Mal gewesen sei, daß er seinen Fuß hineingesetzt habe, wenn der verdammte Balken nicht weggenommen würde. Aber wie die Thürangel, so war auch dies eines von den Dingen, die nach des Schicksals Schluß (in unserer wie in andern weisern Familien) ewig bemäkelt und nie gebessert werden sollten.

Ist der Balken weggenommen, frage ich? sagte mein Vater. 's ist nichts weggenommen, Herr, antwortete Obadiah, als der Ueberzug. – Dann wollen wir reiten, sagte mein Vater, indem er sich zu Yorick wandte. – Außer von Politik, sagte dieser, versteht die Geistlichkeit von nichts in der Welt weniger, als von der Heraldik. – Das ist mir gleich, rief mein Vater, ich will nicht mit diesem Makel in meinem Wappen vor ihnen erscheinen. – Laß Dich doch den Balken nicht kümmern, sagte mein Onkel Toby und setzte seine Stutzperücke auf. – Fahr Du mit Tante Dinah und dem Bastardbalken auf die Kirchenvisitation, wenn Du willst, sagte mein Vater. – Mein armer Onkel Toby wurde roth. Mein Vater ärgerte sich über sich selbst. – Nein, lieber Bruder Toby, sagte mein Vater mit plötzlich verändertem Tone, das feuchte Kutschenpolster könnte Dir Dein Hüftweh wiederbringen, wie vergangenen Winter im December, Januar und Februar. Setze Dich lieber auf das Pferd meiner Frau, und Sie, Yorick, da Sie predigen müssen, werden besser thun, vorauszureiten; ich folge langsam mit Bruder Toby nach.

Das Kapitel, welches ich ausgerissen habe, war nun die Beschreibung dieses Rittes und schilderte, wie Korporal Trim und Obadiah auf den beiden Kutschpferden den Zug anführten, während mein Onkel Toby in seiner Uniform und Stutzperücke und mein Vater ihnen folgten, wobei sie sich abwechselnd in grundlose Wege und gelehrte Gespräche über die Vorzüge der Wissenschaft und der Wappen vertieften.

Aber als ich die Schilderung dieses Rittes noch einmal durchlas, schien sie mir in Styl und Gattung so weit über alle dem zu stehen, was ich sonst in diesem Werke geleistet habe, daß[294] es gar nicht möglich war, sie stehen zu lassen, ohne zugleich das Gleichgewicht (sei es nun im Guten oder Schlechten) zwischen Kapitel und Kapitel zu zerstören, ein Gleichgewicht, von dem die Einheit des ganzen Werkes abhängt. Ich bin in dem Geschäft zwar noch ein Neuling und kann mich irren, Madame, aber meiner Meinung nach ist es mit dem Bücherschreiben gerade so wie mit dem Trällern eines Liedes; bleiben Sie nur im Ton, ob Sie hoch oder niedrig anfangen, ist ganz gleich.

Das ist der Grund, Ew. Hochehrwürden, weshalb so viele der seichtesten und erbärmlichsten Schriften Erfolg haben, nämlich (wie Yorick neulich zu meinem Onkel Toby sagte) durch »Aushungern«. Mein Onkel sah bei dem Worte »Aushungern« lebhaft auf, – wußte aber nicht, was er daraus machen sollte.

Ich muß nächsten Sonntag bei Hofe predigen, sagte Homenas; sehen Sie doch einmal mein Koncept an; – ich trällerte also meines Doktors Stückchen durch: – ganz gut modulirt, – wenn's so fort geht, Homenas, ist nichts dagegen zu sagen. Ich trällerte weiter, es schien mir eine ganz passabele Komposition zu sein, und bis zu dieser Stunde, Ew. Hochehrwürden, würde ich nicht gemerkt haben, wie gemein, geistlos und abgedroschen sie war, wenn ich nicht mitten drin plötzlich auf eine Melodie gestoßen wäre, so schön, so rein, so göttlich, daß sie meine Seele in eine ganz andere Welt emporriß. Wäre es (wie Montaigne in einem ähnlichen Falle sagt) langsam in die Höhe gegangen, hätte ein gangbarer Weg hinaufgeführt, – ich hätte mich täuschen lassen. – Eure Komposition, Homenas, sagte ich, ist eine gute Komposition; aber da ging's auf einmal so gewaltig in die Höhe, – es hob sich so plötzlich von allem Andern ab, – bei dem ersten Ton war ich in einer andern Welt, und sah von da oben in das Thal hinab, das ich gekommen war; – es war so tief, so klein, so eng, daß ich den Muth nicht hatte, wieder hinunter zu steigen.

*** Ein Zwerg, der eine Fahne in der Hand hält, an der man seine Kleinheit messen kann, ist in mehr als einer Hinsicht ein Zwerg, darauf kann man sich verlassen.

Damit mag das Herausreißen des Kapitels erklärt sein.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 282-283,293-295.
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