Vierundsechzigstes Kapitel.

[99] Wenn der Leser von den anderthalb Faden Land, die am Ende von meines Onkel Toby's Küchengarten liegen und der Schauplatz seiner genußreichsten Stunden sind, keine klare Vorstellung hat, so ist das mein Fehler nicht, sondern ein Fehler seiner Einbildungskraft; denn ich kann wohl sagen, ich habe ihm denselben so genau beschrieben, daß ich mich fast schäme.

Als eines Nachmittags das Fatum in die großen Vorgänge zukünftiger Zeiten hinaussah und daran gedachte, zu welchen Zwecken dieses Stückchen Erde nach unwandelbaren Beschlüssen bestimmt sei, gab es der Natur einen Wink, und er genügte. Alsbald warf Natur einen Spaten voll ihrer trefflichsten Mischung hierher, gerade so viel Lehm, als nöthig war, um die Formen der Winkel und Ecken fest zu halten, und doch gerade nicht mehr, damit die Erde nicht an dem Spaten anklebe und das ruhmvolle Werk bei nassem Wetter nicht im Koth ersaufe. –

Mein Onkel hatte, wie dem Leser schon berichtet wurde, die Pläne fast aller befestigten Plätze in Flandern und Italien mit aufs Land gebracht; mochte nun der Herzog von Marlborough oder mochten die Alliirten sich vor einer Stadt, gleichviel welcher, festsetzen, mein Onkel Toby war vorbereitet.

Er verfuhr dabei auf die einfachste Weise von der Welt. – Sobald eine Stadt belagert wurde, oder sobald nur die Absicht, sie zu belagern, bekannt geworden war, nahm er ihren Plan vor und vergrößerte ihn nach dem Maßstabe seines Rasenplatzes, auf welchen er dann mit Hülfe einer großen Rolle Packschnur und einer Menge kleiner Pflöcke, die er an den verschiedenen Ecken und Vorsprüngen in die Erde steckte, die Linien vom Papier übertrug; hierauf nahm er das Profil des Platzes und seiner Werke, um die Tiefe und die Böschung der Gräben, die Abdachung des Glacis, die genaue Höhe der verschiedenen Brustwehren, Parapete u.s.w. zu bestimmen, und[99] ließ dann den Korporal ans Werk gehen; ohne Hinderniß schritt dasselbe fort. Die Bodenart, die Art der Arbeit selbst, besonders aber die liebevolle Art meines Onkels Toby, der vom Morgen bis zum Abend dabei saß und mit dem Korporal freundlich von alten Kriegsthaten plauderte, – das Alles ließ es nur dem Namen nach eine Arbeit sein.

Wenn die Festung auf diese Weise beendigt und in gehörigen Vertheidigungszustand gesetzt war, dann fing die Belagerung an, mein Onkel Toby und der Korporal zogen ihre erste Parallele. – Ich möchte sehr bitten, mich hier in meiner Erzählung nicht etwa mit dem Einwurf zu unterbrechen, daß die erste Parallele wenigstens dreihundert Toisen von dem Hauptkörper des Platzes entfernt sein müsse, und daß dazu kein Zoll breit Land übrig gelassen sei; denn mein Onkel nahm sich die Freiheit, den Küchengarten mit zu benutzen, um die Werke auf dem Rasenplatze größer anlegen zu können. Deshalb zog er seine erste und zweite Parallele gewöhnlich zwischen seinem Weißkohl und seinem Blumenkohl, was seine Vorzüge und seine Unbequemlichkeiten hatte, auf die ich in der Geschichte der Feldzüge meines Onkels Toby und Trims zurückkommen werde; denn jetzt gebe ich nur eine kurze Skizze, die, wie ich vermuthe, (aber was helfen da alle Vermuthungen!) nicht mehr als drei Seiten füllen wird. Die Feldzüge aber werden wenigstens ebenso viele Bände ausmachen, und deshalb fürchte ich, es hieße ein Werk so leichter Art wie dieses mit einer zu großen Menge eines und desselben Stoffes überladen, wollte ich sie, wie es erst meine Absicht war, demselben einverleiben; es möchte also besser sein, sie besonders drucken zu lassen. – Ich werde mir das überlegen; vorläufig gebe ich nur folgende Skizze.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 99-100.
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