Sechsundsechzigstes Kapitel.

[102] Ich muß bemerken, daß, obgleich das Wort Stadt in der Campagne des ersten Jahres öfter genannt wurde, doch zu jener Zeit noch keine Stadt innerhalb des Polygons bestand; diese Verbesserung wurde erst in dem Sommer nach dem Frühjahr[102] vorgenommen, in welchem die Brücken und das Schilderhaus angestrichen worden waren, also im dritten Jahre der Campagnen meines Onkels Toby. Als er nämlich Amberg, Bonn, Rheinsberg, Huy und Limburg eines nach dem andern nahm, schoß es dem Korporal durch den Kopf, daß es doch eigentlich ein rechter Unsinn sei, von der Einnahme so vieler Städte zu sprechen und keine Stadt zu haben; er schlug also meinem Onkel Toby vor, eine kleine Stadt aus dünnen Brettern bauen zu lassen, sie hübsch anzustreichen und dann innerhalb der Wälle zu beliebigem Gebrauche aufzustellen.

Mein Onkel erkannte die Vortrefflichkeit dieser Idee sogleich und stimmte ihr augenblicklich bei, jedoch brachte er noch zwei Verbesserungen an, auf die er ebenso stolz war, als ob er der ursprüngliche Erfinder dieses Planes gewesen wäre.

Erstens sollte die Stadt ganz im Stile jener Städte gebaut werden, die sie wahrscheinlich vorzustellen bestimmt wäre, also sie sollte Gitterfenster, Giebel nach der Straße u.s.w. haben, wie Gent und Brügge und die andern Städte in Brabant und Flandern.

Zweitens sollten die Häuser nicht, wie der Korporal es vorgeschlagen, zusammenhängen, sondern jedes Haus für sich bestehen, so daß sie alle einzeln wegzunehmen wären und nach dem Plane jeder beliebigen Stadt aufgestellt werden könnten. – Dies wurde sogleich in Angriff genommen, und mancher, mancher Blick gegenseitiger Beglückwünschung ward zwischen meinem Onkel Toby und Trim gewechselt, während der Zimmermann das Werk vollendete.

Es bewährte sich im nächsten Herbste auf das Herrlichste: die Stadt war ein wahrer Proteus. Bald war es Landen und Trarbach, bald Santvliet und Drusen und Hagenau, – und dann war es wieder Ostende und Menin und Aeth und Dendermond.

Wahrhaftig, solche Veränderungen erlitt keine Stadt seit Sodom und Gomorrah, als meines Onkel Toby's Stadt.

Im vierten Jahre meinte mein Onkel Toby, daß die Stadt ohne Kirche doch sonderbar aussähe; es wurde also eine recht[103] schöne mit einem Thurme dazu gebaut. – Trim wollte auch Glocken haben, aber mein Onkel Toby meinte, man könne das Metall besser zu Kanonen gebrauchen.

Das ward die Veranlassung, daß in der nächsten Campagne ein halbes Dutzend metallener Feldstücke, drei und drei zu jeder Seite, neben meines Onkels Schilderhause aufgestellt wurden; in kurzer Zeit führte das zu einer Batterie etwas größern Kalibers und so immer weiter (es pflegt bei Liebhabereien stets so zu gehen), bis es von einem halben Zoll Bohrloch zuletzt bis zu meines Vaters Stulpstiefeln kam.

Im nächsten Jahre, – dem, wo Lisle belagert wurde und an dessen Schlusse Gent und Brügge in unsere Hände fielen – war mein Onkel Toby sehr in Unruhe darüber, wie er eine passende Ammunition ausfindig machen könne, – eine passende, sage ich, denn Pulver konnte sein schweres Geschütz nicht aushalten, und das war ein wahres Glück für die Shandy'sche Familie, – denn die Zeitungen waren vom Beginn bis zum Ende der Belagerung so voll von dem ununterbrochenen Feuer der Belagerer, und meines Onkels Phantasie war von den Berichten so erhitzt, daß er wahrscheinlich sein ganzes Vermögen verpufft hätte.

Irgend etwas, ein Nothmittel, war also aufzufinden, um dieses ununterbrochene Feuer, besonders während einiger der heftigsten Beschießungen, nachzuahmen, und dieses Etwas verschaffte der Korporal, dessen stärkste Seite Erfindung war, durch ein ganz neues, ihm eigenthümliches Geschützsystem, ohne welche Erfindung die militärischen Kritiker den Kriegsapparat meines Onkels Toby bis in alle Zeit für mangelhaft angesehen haben würden.

Dies wird darum nicht weniger klar gemacht werden, wenn ich mich, meiner Gewohnheit nach, etwas von dem Gegenstande entferne.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 102-104.
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