Siebenundachtzigstes Kapitel.

[130] Eh' wir jetzt Calais verlassen, – so etwa würde ein Reisebeschreiber sich vernehmen lassen – möchte es nicht unpassend sein, ein paar Worte über die Stadt zu sagen. – Nun halte ich es aber für höchst unpassend, daß ein Mensch nicht einfach durch eine Stadt fahren und sie, die ihn in Ruhe läßt, auch in Ruhe lassen kann, sondern sich in Einem fort umdrehen und jede Gasse, durch die er fährt, mit seiner Feder schildern muß, blos um sie zu schildern; denn urtheilt man nach dem, was in dieser Art geschrieben wurde, sowohl von denen, die schrieben und Courier ritten, als von denen, die Courier ritten und schrieben (was immer noch etwas Anderes ist), oder von den noch Eiligeren, die, wie ich jetzt, während des Courierreitens schrieben, – überschaut man die ganze Reihe von dem großen Addison an, dem der Schulsack auf dem A – hing und seines Thieres Hintertheil wund rieb, – so wird man unter allen diesen Courierreitern keinen finden, der nicht ebenso gut in seinem Garten (wenn er einen besaß) hätte herumgehen und trockenen Fußes alles das schreiben können, was er zu schreiben hatte.

Was mich anbetrifft, so ist der Himmel mein Zeuge (und auf den berufe ich mich immer, wenn's gilt), daß ich, außer der Lumperei, die der Barbier mir während des Messerabstreichens erzählte, von Calais nicht mehr weiß als von Groß-Kairo; denn als ich am Abend landete, war es schon dämmerig, und als ich am Morgen weiterfuhr, war es noch ganz dunkel. Dennoch wollte ich jede Wette eingehen, daß ich aus allgemeinen Betrachtungen und vermittels Schließens aus einem Theil der Stadt auf den andern, und indem ich dies erriethe und jenes mit dem zusammenstellte u.s.w., ein Kapitel über Calais zusammenschreiben wollte, so lang als mein Arm, und mit so genauen und ausführlichen Einzelnheiten über jede Merkwürdigkeit der Stadt, daß man glauben sollte, ich sei Stadtschreiber von Calais.

– Und warum nicht, Sir? was wäre daran so Wunderbares? – War nicht Demokrit, der zehnmal mehr als ich gelacht hat, Stadtschreiber von Abdera, und war nicht – – (den[131] Namen hab' ich vergessen), der zweimal mehr kluge Zurückhaltung besaß, als wir beide, Stadtschreiber von Ephesus? – Gewiß, Sir, – es sollte mit so viel Sachkenntniß, Ueberlegung, Wahrhaftigkeit und Genauigkeit verfaßt sein –

Nun wohlan – wenn Sie mir nicht glauben wollen, so sollen Sie das Kapitel zur Strafe lesen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 130-132.
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