Zweiundneunzigstes Kapitel.

[137] In ganz Frankreich giebt es, meiner Meinung nach, keine Stadt, die auf der Karte besser aussieht als Montreuil. – Im Posthandbuch sieht sie allerdings schon nicht so gut aus, aber wenn man erst hineinkommt, so ist es wirklich eine ganz erbärmliche Stadt.

Doch Eins an ihr ist sehr hübsch – das ist die Tochter des Gastwirths. Sie ist achtzehn Monate in Amiens und sechs in Paris gewesen, wo sie ihre Schule gemacht hat; daher strickt und näht und tanzt sie ganz gut und kokettirt auch ein bischen.

– Ein durchtriebenes Ding! während der fünf Minuten, die ich ihr zusah, ließ sie wenigstens ein Dutzend Maschen an ihrem weiß-zwirnen Strickstrumpf fallen. Ja, ja, ich sehe, Du kleine Hexe! – er ist lang und schmal – Du brauchst[137] ihn nicht so ans Knie zu pressen; – 's ist Deiner – er steht Dir vortrefflich.

Daß doch Natur diesem Geschöpfchen gesagt hat, wie man den Daumen halten muß!

Aber da dieses Pröbchen mehr werth ist als alle Daumen zusammen, – übrigens erhalte ich ja ihre Daumen und Finger mit in den Kauf, wenn sie mir als Fingerzeig dienen können, – und Jeannette (das ist ihr Name) so schön zum Schildern dasteht, – so soll nichts mich abhalten, es zu thun; möge ich sonst nie wieder schildern oder vielmehr mein Lebtag als Schildwach schildern müssen, wenn ich sie jetzt nicht auf das genaueste abkonterfeie, und zwar mit einem so dreisten Pinsel, als ob sie in nassem Gewande vor mir stände.

Aber Ew. Wohlgeboren wollen lieber etwas über die Länge, Breite und Höhe des großen Kirchthurms hören, oder wie die Façade der St. Austreberte-Abtei aussieht, die von Artois hierher geschafft worden ist; ich vermuthe, sie ist noch ganz ebenso, wie die Maurer und Zimmerleute sie ihrer Zeit hingestellt haben, und wird in fünfzig Jahren noch ebenso sein, wenn der Christenglaube noch so lange aushält; also brauchen Ew. Wohlgeboren und Hochehrwürden sich mit dem Maßnehmen nicht zu übereilen. Wer aber Dir, Jeannette, das Maß nehmen will, der muß es jetzt thun, denn Du trägst die Quelle der Veränderung in Dir selbst, und wenn ich die Wechselfälle des vergänglichen Lebens ins Auge fasse, so möchte ich nicht einen Augenblick für Dich einstehen; ehe noch ein Jahr dahin, kannst Du wie ein Kürbiß schwellen und Deine Gestalt verlieren, oder Du kannst wie ein Blume welken und Deine Schönheit verlieren, oder ein Nickel werden und Dich selbst verlieren. – Nicht für meine Tante Dinah, wenn sie noch lebte, möchte ich einstehen, – ja kaum für ihr Bild, wenn es selbst von Reynolds gemalt wäre.

Aber ehe ich jetzt, wo ich diesen Sohn Apollo's genannt habe, noch weiter im Schildern fortfahre, will ich mich lieber todtschießen lassen.

Sie müssen also mit dem bloßen Original zufrieden sein, das, wenn Sie an einem schönen Abend durch Montreuil[138] kommen, an ihre Chaisenthür tritt, während die Pferde gewechselt werden, und haben Sie dann keinen so leidigen Grund zur Eile wie ich, so bleiben Sie lieber. – Sie ist ein bischen fromm – aber das, Sir, ist eine Terz zu neun für Sie.

Helf' mir Gott! ich konnt' es nicht einmal bis zu einem Point bringen; – Stich auf Stich verloren und zuletzt Matsch geworden.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 137-139.
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