Einhundertunddreiundzwanzigstes Kapitel.

[177] Wie und in welcher Stimmung ich von dem Grabe der Liebenden floh – oder eigentlich von ihm nicht floh, denn es war ja nicht da, – ist gleichgültig; genug, ich kam nur eben zur rechten Zeit bei dem Boote an, und eh' ich hundert Schritt weit gefahren war, hatten Rhone und Saone sich vereinigt, und lustig ging es thalab.

Aber diese Reise auf der Rhone habe ich schon früher, ehe ich sie machte, beschrieben.

So bin ich jetzt in Avignon, und da hier nichts zu sehen ist als das alte Haus, in welchem der Herzog von Ormond wohnte, und da ich blos eine kurze Bemerkung über diese Stadt zu machen habe, so könnt Ihr mich in drei Minuten auf einem Maulthiere über die Brücke reiten sehen: François auf einem Pferde, den Mantelsack hinten aufgeschnallt und der Eigenthümer der beiden Thiere zu Fuße vor uns, eine lange Flinte über der Schulter und ein Schwert unter dem Arme, für den Fall, daß wir ihm mit seinen Thieren davonlaufen wollten. Hättet Ihr meine Hosen gesehen, als ich in Avignon einzog, oder noch besser, als ich auf das Maulthier stieg, Ihr würdet diese Vorsicht nicht für überflüssig gehalten und sie dem Manne nicht verdacht haben; ich wenigstens fand mich nicht im Geringsten beleidigt und beschloß bei mir, ihm am Ende unserer Reise ein Geschenk damit zu machen, als Entschädigung dafür, daß[177] sie ihn in solche Unruhe versetzt und ihn gezwungen hatten, sich so gegen uns zu bewaffnen.

Eh' ich aber weiter reite, will ich mich doch meiner Bemerkung über Avignon entledigen. Es ist folgende: Ich würde es für ein großes Unrecht halten, wenn Jemand blos deshalb, weil ihm zufällig am ersten Abend seines Aufenthaltes in Avignon der Hut vom Kopfe geblasen wurde, gleich behaupten wollte, Avignon leide mehr als irgend eine andere Stadt Frankreichs an heftigen Winden. Deshalb legte ich also keinen weitern Werth auf die Sache, bis ich mich bei meinem Wirthe erkundigt hatte; erst als dieser mir bestätigte, daß dem wirklich so sei, und nachdem ich gehört habe, daß die Windigkeit Avignons im ganzen Lande sprüchwörtlich ist, erwähne ich des Umstandes, damit die Gelehrten den Ursachen nachforschen; die Wirkung habe ich selbst beobachtet, denn hier sind alle Leute entweder Herzoge, oder Marquis, oder Grafen, – in ganz Avignon giebt es keinen Baron, so daß man vor lauter Wind mit den Leuten gar nicht reden kann.

– Guter Freund, sagte ich, haltet mir doch einen Augenblick mein Maulthier, – denn ich mußte einen meiner Stiefel ausziehen, weil er mich am Hacken drückte; der Mann stand müßig an der Thür des Gasthauses, und da ich annahm, daß er zum Hause oder zum Stalle gehörte, so gab ich ihm die Zügel und machte meinen Stiefel zurecht. Als ich fertig war, drehte ich mich herum, um das Maulthier dem Manne wieder abzunehmen und ihm zu danken.

Aber der Herr Marquis war ins Haus gegangen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 177-178.
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