Einhundertundsechsundvierzigstes Kapitel.

[214] Der Korporal fuhr fort: Die Qual, welche mir mein Knie verursachte, die unbequeme Lage auf dem Karren, die Unebenheit der Straßen, die schrecklich aufgewühlt waren, Alles zusammen verschlimmerte meinen Zustand; bei jedem Ruck glaubte ich zu sterben, und dazu nun noch der heftige Blutverlust, der gänzliche Mangel an Pflege, das Fieber, das jetzt anfing – (Armer Bursche, sagte mein Onkel Toby) – es war wirklich nicht mehr zu ertragen, Ew. Gnaden.

Unser Karren, der der letzte im Zuge war, hatte bei einer Bauerhütte angehalten, und dort klagte ich einem jungen Frauenzimmer mein Leiden; man hatte mich hineingetragen, und das junge Mädchen hatte Tropfen aus ihrer Tasche genommen und sie auf Zucker geträufelt; – als sie sah, daß sie mir gut thaten, hatte sie mir noch einmal davon gegeben. – Ich sagte ihr, meine Qualen wären so groß und so unerträglich, daß ich lieber auf dem Bett da liegen und Jemandem im Zimmer das Gesicht zudrehen und sterben möchte, als weiter fahren. Sie versuchte, mich nach dem Bett zu führen, aber ich wurde in ihren Armen ohnmächtig. Es war eine gute Seele, sagte der Korporal und wischte sich die Augen, wie Ew. Gnaden gleich hören werden.

– Ich meinte, Liebe sei ein lustig Ding, sagte mein Onkel Toby.[214]

– Es giebt nichts Ernsthafteres, Ew. Gnaden – in der Welt nichts Ernsthafteres – nämlich manchmal.

Auf die Bitte des jungen Mädchens, fuhr der Korporal fort, war der Karren mit den Verwundeten ohne mich weitergefahren; sie hatte versichert, ich würde sogleich sterben, wenn man mich wieder auf den Karren lege. – Als ich wieder zu mir kam, sah ich, daß ich noch in der stillen, ruhigen Hütte war, ganz allein mit dem jungen Frauenzimmer und dem Bauer und seiner Frau. Ich lag quer über dem Bette, das in der Ecke stand, das verwundete Knie auf einem Stuhle; das junge Frauenzimmer neben mir tunkte den Zipfel ihres Schnupftuches in Weinessig und hielt ihn mir mit der einen Hand unter die Nase, während sie mir mit der andern die Schläfe rieb.

Ich hielt sie zuerst für die Tochter des Bauers (denn das Haus war kein Gasthof), und deshalb bot ich ihr eine kleine Börse mit achtzehn Gulden an, die mir mein armer Bruder Tom (hier wischte sich Trim die Augen) durch einen Rekruten als Andenken geschickt hatte, ehe er nach Lissabon gereist war.

Das ist auch eine traurige Geschichte, die ich Ew. Gnaden noch nicht erzählt habe (hier wischte sich Trim zum dritten Mal die Augen).

Das junge Frauenzimmer rief den alten Mann und seine Frau ins Zimmer und zeigte ihnen das Geld, damit sie mir das Bett und das Wenige, was ich sonst noch brauchen würde, gäben, bis ich nach dem Lazareth geschafft werden könnte.

– Also gut, sagte sie und band die kleine Börse zu; – ich will Euer Schatzmeister sein; aber da mir das nicht genug zu thun geben wird, so will ich Euch auch pflegen.

An ihrer Art zu sprechen, wie an ihrem Anzuge, den ich jetzt aufmerksamer betrachtete, sah ich wohl, daß sie die Tochter des Bauers nicht sein konnte.

Sie war vom Kopf bis zu den Füßen schwarz gekleidet und trug ihr Haar unter einem eng anschließenden Leinwandhäubchen; es war, mit Ew. Gnaden Verlaub, eine von den Nonnen, wie man ihrer in Flandern viele sieht, die frei herumgehen – Deiner Beschreibung nach, Trim, sagte mein Onkel[215] Toby, wird es eine Beguine gewesen sein, eine Art Nonnen, die man, außer in Amsterdam, nur in den spanischen Niederlanden findet; sie unterscheiden sich von den übrigen Nonnen darin, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie sich verheirathen wollen. Ihr Amt ist es, Kranke zu besuchen und zu pflegen; ich wollte lieber, sie thäten es blos aus gutem Herzen. –

– Sie sagte mir oft, erwiederte Trim, daß sie es um Christi willen thäte. Das wollte mir nicht gefallen. – Ich glaube, Trim, wir haben beide Unrecht, sagte mein Onkel Toby; – wir wollen heute Abend bei Bruder Shandy Mr. Yorick deshalb befragen, – erinnere mich doch daran.

Die junge Beguine, fuhr der Korporal fort, hatte mir kaum gesagt, daß sie meine Krankenpflegerin sein wolle, als sie auch schon ihren Dienst anfing und hinausging, um allerlei für mich zu besorgen; nach kurzer Zeit – obgleich es mir sehr lange vorkam – kehrte sie mit Flanellbinden u.s.w. u.s.w. zurück, und nachdem sie mir dann mein Knie ein paar Stunden lang tüchtig gebäht und mir zuletzt noch eine Tasse Haferschleim zum Abendessen gegeben hatte, wünschte sie mir eine gute Nacht und versprach, früh am Morgen wieder zu kommen. Sie wünschte mir, Ew. Gnaden, was es für mich nicht gab. Das Fieber nahm immer mehr zu, – ihre Gestalt ließ mir keinen Augenblick Ruhe, – ich theilte immer die Welt in zwei Hälften und gab ihr die eine, und dann schrie ich wieder, ich hätte nichts als meinen Tornister und achtzehn Gulden, die ich mit ihr theilen wollte. Die ganze Nacht war die schöne Beguine wie ein Engel dicht an meinem Bette und zog die Vorhänge zurück und reichte mir Tropfen, – und erst, als sie zur bestimmten Zeit wirklich kam und sie mir wirklich reichte, erwachte ich aus meinem Traume. Sie verließ mich fast keinen Augenblick, und ich gewöhnte mich so an ihre Pflege, daß ich gleich den Muth verlor und todtenblaß wurde, wenn sie nur aus der Stube ging. Und doch, fuhr der Korporal fort (indem er eine der allerseltsamsten Betrachtungen anstellte) –

»und doch war es nicht Liebe«, denn ich kann Ew. Gnaden in[216] Wahrheit versichern, daß mir während der drei Wochen, wo sie immer um mich war, und mir bei Tag und Nacht das Knie mit ihrer Hand verband, auch nicht ein einziges Mal * * * * * *.

– Das ist sonderbar, Trim, sagte mein Onkel Toby.

– Sehr sonderbar, sagte Mrs. Wadman.

– Nicht ein einziges Mal, sagte der Korporal.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 214-217.
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