6. Wiesenbocksbart

[61] 12. Mai 1834


Die Nacht ist vorübergegangen und hat mancherlei geändert. Vom Himmel hat sie die Perlen der Fruchtbarkeit herabgeschüttet und ihn gänzlich rein gefegt, daß er mit dem klaren, frühen Morgengelb zu mir hereinsieht – die Schornsteine und nassen Dächer schneiden sich scharf gegen ihn, und die kühle Luft regt die Nachbarzweige und strömt zu meinem offen gebliebenen Fenster herein. – Ich schreibe noch im Bette.

Was ist es nun mit dem Menschen, wenn er heute dieser ist und morgen jener? Auch mein Herz, wie der Himmel, ist frisch und kühl und sucht sich auf gestern zu besinnen. Was ists nun weiter?

Hat die Flasche Rüdesheimer, die ich gestern zu meinen Nachteinbildungen getrunken, die Seele so voll Sehnsucht angeschwellt – und ist sie heute leer, so wie die Flasche, die dort so wesenlos auf dem Tische steht, daß das Morgenlicht hindurch scheint?

Was ists nun weiter?[61]

Ein prachtvoller Blitz, eine schöne Rakete, eine ausbrennende Abendröte, ein verhallendes Jauchzen, eine gehörte Harmonie, ein ausschwingendes Pendel, – – und wer weiß, was es noch alles ist.

Mein Herz ist kraftvoll und jede Fiber daran gesund, und Du darfst schon heute auf Scherze rechnen, lieber Titus; denn wenn auch die zauberische Armida noch im Spiegel meines Innern schwebt, so ist derselbe doch ein fester, blanker Stahlspiegel, nicht das weiche Ding von gestern. Vor der Hand bleibt sie als Studie, als neue Kunstblüte da, als schönes Bild im Odeon, wo die andern stehen. Heute muß noch versucht werden, ob ich den Eindruck nicht in Farben herstellen kann, um mir seine reine Schönheit in alle Zukunft hinüber zu retten.

Da fällt mir nun ein närrischer Gedanke ein. Außerordentlich schwärmerische Menschen, Genies und Narren sollten gar nicht heiraten, aber die erste Liebe äußerst heiß, just bis zum ersten Kusse treiben – und dann auf und davon gehen. Warte mit dem Zorne, die Gründe kommen. Der Narr nämlich und das Genie, und der besagte schwärmerische Mensch tragen so ein Himmelsbild der Geliebten für alle künftigen Zeiten davon, und es wird immer himmlischer, je länger es der Phantasie vermählt ist; denn bei dieser ist es unglaublich gut aufgehoben; die Unglückliche aber, der er so entflieht, ist eben auch nicht unglücklich, denn solche herrliche Menschen, wie der Flüchtling, werden meist spottschlechte Ehegemahle, weil sie über vierzig Jahre immer den ersten Kuß und die erste Liebe von ihrer Frau verlangen und die dazu gehörige Glut und Schwärmerei – und weil er ihr nicht durch die Flucht so zuwider wird, wie er es als Ehemann mit seinen Launen und Überschwenglichkeiten würde, sondern sie sieht auch durch alle Zukunft in ihm den liebenswürdigen, schönen, geistvollen, starken, göttergleichen Mann, der sie gewiß höchst beseligt hätte,[62] wenn er nur nicht früher fortgegangen wäre. Und ist eine solche Phantasie-Ehe nicht besser und beglückender, als wenn sie beide im Schweiße des Angesichts an dem Joche der Ehe tragen und den verhaßten Wechselbalg der erloschenen Liebe langsam und ärgerlich dem Grabe hätten entgegenschleifen müssen. – Bei Gott, Titus, da ich auch so ein Stück eines Phantasten bin, so wäre ich im Stande, wenn ich die Unbekannte je fände, mich immer tiefer hineinzuflammen, und wenn dann einmal eine Stunde vom Himmel fällt, wo ihr Herz und mein Herz entzündet, selig in einander überstürmen – – – dann sag ich ihr: »Nun drücken wir auf diese Herrlichkeit noch das Siegel des Trennungsschmerzes, daß sie vollendet werde, und sehen uns ewig nicht mehr – sonst wird dieser Augenblick durch die folgende Alltäglichkeit abgenützt, und wir fragen einst unser Herz vergeblich nach ihm; denn auch in der Erinnerung ist er verfälscht und abgesiecht.« So spräche ich; denn mir graut es, sollte ich auch einmal die Zahl jener Gestalten von Eheleuten vermehren, wie ich viele kenne, die mit ausgeleerten Herzen bloß neben einander leben, bis eines stirbt und das andere ihm ein schönes Leichenbegängnis veranstaltet. Himmel! lieber eine echte unglückliche Ehe, als solch ein Zwitterding.

Alle Millionen Jungfrauen Europas habe ich hier zu Gegnerinnen, weil sie meinen, alle künftigen Himmelreiche würden ja durch einen solchen Entschluß freiwillig bei Seite gestellt, und diese müßten gerade jetzt erst recht angehen, da die Aufschrift an dem Tore schon so schön gewesen sei – aber das Prachttor führt nur zu oft in einen artigen Garten, der sich in Steppen verflacht oder leider oft in einem Sumpf vergeht.

Groß müssen zwei Herzen sein, die, dem leise nagenden Zahn der Alltäglichkeit nicht untertan, sich in ein reiches Leben schauen lassen, wo die Grazie täglich in einer andern Gestalt auf dem Throne sitzt; – groß müssen sie[63] sein und ohne Sünde. Dann dürfen sie getrost eingehen durch das Prachttor; für sie führt der Garten ins Unendliche.

Ein närrischer Gedanke heckt den andern aus. Ein solches Ehepaar – nein, zwei, drei, vier solche Ehepaare möchte ich an einem schönen See haben, zum Beispiel dem Traunsee, der so reizend aus schönem Hügellande ins Hochgebirge zieht. Dort baue ich zwei, drei Landhäuser fast altgriechisch einfach, mit Säulenreihen gegen den See, nur durch einen schönen Blumengarten von ihm getrennt. Aus dem Garten führen zehn breite Marmorstufen zu ihm hinunter, wo unter Hallen die Kähne angebunden sind, die zu Lustfahrten bereit stehen. Der Garten hat Glashäuser für die Tropengewächse – sie sind ganz aus Glas, mit eisernem Gerippe, nur äußerlich mit einem Drahtgitter gegen den Hagel überspannt. – Auch ganz gläserne Säle fehlen in ihm nicht, daß man wie in einer Laterne mitten in der Paradiesesaussicht schwebe. Von dem Garten wieder auf zehn Stufen steigt man zum Landhause, das den Eintretenden mit einer Säulenrundung empfängt. Diese Rundung ist durch Glas zu schließen, hat an der Hinterwand Sitze, und rings stehen dunkelblättrige Topfpflanzen, als da sind: Oleander, Kamelien, Orangen usw.

Zwischen diesen glänzen Marmorbilder. Zu den Seiten dieser Halle und über ihr sind die Zimmer, zu denen breite, sanfte, lichte Treppen mit Standbildern führen. Das ebene Dach ist ganz mit Blumen, Bäumchen und Sitzen bedeckt. Von ihm ragt der astronomische Saal empor. Auch ein paar Spiegelzimmer dürfen nicht fehlen, – von dem Fußboden bis zur Decke Spiegelebenen, im Vieleck gestellt, mit veränderlichem Neigungswinkel, daß man im lustigen Humor die Aussicht durch einander wirren und stückweise zerwerfen kann. Der naturwissenschaftliche Saal ist hinten im Baumgarten. Am Hause[64] rückwärts bilden zwei Flügel einen Hof mit – nicht Ställen, sondern – Zimmern für die Tiere, die fast ängstlich rein gehalten werden. Man hegt deren allerlei, und jede Gattung hat ihren geräumigen Spielplatz. Der Obst- und Gemüsegarten ist sehr groß und liefert durch gute Pflege genug und erlesenes Obst in die Winterbehältnisse. Park ist keiner, weil ohnehin einer da ist, den die Natur meilenweit umhergelegt hat mit Seen, Strömen, Alpenwässern, Matten, Felsen, Wäldern, Schneebergen usw. – nur mit kunstlosen Pfaden und Ruheplätzen wird nachgeholfen, aber nur äußerst vorsichtig, daß ja nichts verkleinlicht werde. Die einzelnen Landhäuser – denn die Ehepaare sind die besten Freunde – sind durch Säulengänge verbunden, in denen im Sommer die Orangensammlung steht.

In diesem Tuskulum nun wird gelebt und eine Schönheitswelt gebaut. Der Himmel segnete die Ansiedlung mit Weltgütern (sonst hätten sie die Landhäuser gar nicht erbauen können), und keiner der Männer ist an ein sogenanntes Geschäft gebunden, das ihm die allerschönsten Lebensjahre wegfrißt und das Herz ertötet, sondern jeder weiht seine Tätigkeit nur dem Allerschönsten und sucht, so viel an ihm ist, das Reich der Vernunft auf Erden zu gründen. Wissenschaft und Kunst werden gepflegt, und jede rohe Leidenschaft, die sich äußert, hat Verbannung aus dem Tuskulum zur Folge. Kurz, ein wahres Götterleben beginnt in dieser großartigen Natur unter lauter großen, sanften Menschen. Auch für ihre etwa kommenden Kinder ist mir nicht bange; sie werden schon recht erzogen werden.

Ich gehe hin und bitte die Eheleute um des Himmels willen, sie möchten mich bei sich leben, malen und dichten lassen, als Kebsmann des Bildes meiner getrennten Zenobia, die ihrerseits wieder anderswo mit meinem Bilde in geistiger Ehe lebt.[65]

Du siehst schon daraus, Titus, daß ich sehr bald überschnappe.

Aber der Gedanke von den Landhäusern ist nicht neu nur die trefflichen Ehepaare habe ich erst jetzt dorthin versetzt. Die Landhäuser sind schon seit 1830 fertig, das heißt ich suchte den Platz dazu aus, als ich im besagten Jahre den Juli, August und September an den Ufern dieses Sees zubrachte. Ich lebte damals abwechselnd fast an allen Punkten seiner Umgebung und oft ganze Tage auf ihm selber. Ja, ich muß nur meine ganze Schwäche eingestehen – ich malte das Traunkirchner Ufer dazumal und die fertigen Häuser bereits hinein. Sie stehen der Landschaft trefflich zu Gesichte. Vom Traunsteiner Ufer gesehen, sind sie weißglänzende Punkte; aber dem Näherschiffenden wachsen liebliche Säulen aus dem Wasser und flattern umgekehrt, wie leichtfertige Bänder, in dem schwanken Spiegel. Es sind ihrer mehrere gezeichnet worden, und ein Billionär, der sie etwa auf das großartigste ausführen wollte, kann täglich bei mir die Plane und Gemälde einsehen; ja ich wäre erbötig, dem Manne noch mehrere, die bis jetzt nur in meinem Kopfe sind, auf schönes Bristolpapier zu werfen. – –

Nun, Freund, da ich ausgeschwärmt, stehe ich Deiner letzten Frage und Klage Rede, daß ich nämlich immer in Phantasieen und Späßen herumjage und in meinem Tagebuche nichts von meinen persönlichen Verhältnissen anmerke. – Liebster, ich habe aber gar keine persönlichen Verhältnisse. Meine Seele bin ich, das heißt eben jenes spaßige, phantasierende Ding, das nebenher oft wieder gerührter ist, als kluge Leute leiden können. Willst Du aber auch von der Fassung dieses Dinges etwas wissen, so horche nur: Vier Treppen hoch liegt eine Stube Schreib-, Wohn-, Schlaf- und Kunstgemach – lächerlich sieht es drinnen aus! Dichter, Geschichtschreiber, Philosophen, auch Mathematiker und Naturforscher liegen[66] broschiert auf dem ungeheuren Schreibtische – dann Rechentafeln – Griffel, Federn, Messer, ein Kinderballen – mein kleiner Hund braucht ihn zum Spielen – ein Fidibusbecher, Handschriften, Tintenkleckse- – – daneben zwei bis drei Staffeleien in voller Rüstung; an den Wänden Bilder, auf den Fenstern Blumen, und noch eigens eine Menge derselben auf einem Gestelle; dann eine Geige, die ich abends peinige, und rings Studien, Skizzen, Papiere, Folianten – Fuggers Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich mit Stichen – dann noch anderes, woraus dem Eintretenden sofort klar wird, daß hier gelehrt gelebt werde und ein Junggesellenstand sei, in welchem eine große Anzahl Gulden Jahr aus, Jahr ein nicht da ist, wo aber Künste und Wissenschaften blühen und an Gefühlen ein wahrer Überfluß herrscht. – Hier nun lebt Dein Freund und verlegt sich auf das Schöne. Er liest eine Menge Bücher, läuft spazieren – ja, der Unglückliche geht oft drei Tage spazieren und gelangt zum Schneeberge, was dann zur Folge hat, daß er wieder drei Tage zurückspazieren muß; aber er tut es gern, und begeht da gerade die besten Pfingstfeste seines Herzens. Dann malt er fleißig an Vormittagen – dann wohnt er wieder einen Tag in einer Bilder- oder Büchersammlung macht abends Besuche oder geht gar in eine Schenke, wo ein Kränzchen von Bekannten wacker plaudern und alle Wissenschaften handhaben – oder er nimmt sein Geräte zur Hand und sitzt wochenlang auf den Bergen um Wien herum und will dort die Natur abkonterfeien. Wenn sie einen oder den andern Helden im Theater aufführen, so sitzt der frohe Kauz schon viel zu früh darinnen – manches Konzert kann er kaum erwarten; in die Oper und in das Ballett geht er gar nicht, der Einseitige – und in diesem Augenblicke wird er häufig in der Gemäldeausstellung und im Paradiesgarten gesehen. In manchen Familien haben sie ihn lieb, und er geht oft hin; in andern[67] können sie ihn nicht ganz gut leiden, und er geht auch hin, wenn er sie gleich durch verschrobene Begriffe ärgert. Nun, ich denke, hier hast Du persönliche Verhältnisse genug – aber da ich einmal im Zuge bin, so fahre ich fort. Bekannte habe ich eine Menge, worunter zwei fast Freunde sind, – Lothar und der drollige alte Engländer Aston. Er scheint mit mir einen Plan zu haben – er hat überhaupt für sein Leben gern Plane – ich weiß zwar nicht was für einen, aber daß ein solcher in voller Blüte steht, leuchtet wie ein Zeichenfeuer aus seinem ganzen Wesen. Kein Mensch auf Erden leitet und ordnet so gerne als er. »Ich bitte Euch flehentlich,« sagt er, »lasset nur mich gewähren und verderbet nichts;« – dafür, wenn man ihm die Sache überläßt, darf man aber auch rechnen, daß sie bis ins kleinste meisterhaft ist – nur darf es nichts Wichtiges sein; das verpfuscht er. Er überrascht auch gerne und hat seine Heimlichkeiten; nur weiß man sie immer, meist aus den Schildwachen, die er mit Angst um das Geheimnis stellt. Sein Herz ist wie Gold, und ich kenne mehrere Züge des anspruchlosesten Edelmutes von ihm. Im übrigen reitet er unterschiedliche Steckenpferde und tut seiner Kappe jährlich ein paar Schellen und sauberes Pelzwerk zu, was ihm wohl Du und ich am wenigsten verargen können, denen gewiß derlei Glocken und Streitrosse nicht ausbleiben werden. Und am Ende ist mir ein phantasiereicher Greis mit seinen paar zugehörigen Narrheiten lieber, als jene erloschenen Menschen, die sich vorgestorben sind und ihren Körper wie das leere Fach der Seele hinfristen. Gegen mich ist er väterlich warm und will mein Glück machen, da er mich wirklich mehr liebt, als ich es verdiene; er traut mir nämlich des Guten nicht weniger als alles zu, was mich manchmal sehr beschämt; daher, wenn ihn andere Leute seiner Eigenheiten willen unleidlich finden oder lächerlich machen, liebe ich ihn dafür von ganzem Herzen – und[68] kann stundenlang mit ihm spazieren gehen und ihn gewähren lassen, wie er teils erzählt, teils Plane dartut, teils verworrene Stücke seiner Vergangenheit herbeischiebt und im naiven Fortplaudern – weil er sich vor mir gehen läßt – arglos eine wahre Rumpelkammer eines Herzens auftut, worin Plunder und Kleinodien liegen, die nur niemand geordnet hat, weil die einzige Hand, die es konnte, und der er es mit geduldigster Liebe überlassen hätte, längst schon im Grabe liegt, – die seiner Gattin, deren leise, schöne Schritte in der Plunderkammer oft deutlich sichtbar werden, wenn der Zufall das eine oder andere unnütze Tuch von ihnen abhebt. Diese meine Schonung seiner Eigentümlichkeit mag ihm oft halb klar vorschweben und eigentlich das Band zwischen uns sein; denn das Anerkennen seiner Trefflichkeit teile ich mit vielen seines Umgangs – jene Schonung mit wenigen. So gut ist er gegen mich, daß, wenn ich so schlecht wäre, seines Vermögens halber einer seiner zwei Mädchen Liebe vorzuheucheln und sie zu gewinnen, er freudig sein Ja dazu sagen würde. Ohnehin weiß Wien nicht anders, als daß ich in die bedeutend schöne und noch dazu geistreiche Lucie, die ältere seiner Töchter, verliebt sei und deshalb sein Haus besuche. Man macht mir artige Worte über meinen Geschmack und lobt hinter meinem Rücken meinen Berechnungsgeist und mein Unterhandeltalent, mit dem ich den Vater gewinne.

Sonderbar ist mir noch eines, was ich hier anmerken muß, daß ich mich nämlich schon seit einiger Zeit mit einem Netze von Heimlichkeiten umgeben fühle, dessen Fäden ich oft sichtbar vor mir zu haben wähne, und wenn ich danach greife, so ist nichts da. Gestalten von Bedeutung sind zuweilen in meinem Bereiche, wiederholen sich und verlieren sich. Wünsche, die ich nie ausgesprochen habe, finde ich oft in meinem Zimmer verwirklicht. Nachfragen werden gehalten, Bestellungen gemacht, von denen[69] ich nicht weiß, für wen, und so andere Dinge, die ich fühle, aber für den Augenblick nicht darstellen kann.

Das Allerverkehrteste ist aber das, daß meine unbekannte Südländerin, die stolze Zenobia, nichts weniger als eine Südländerin ist, sondern die russische Fürstin Fodor. Sie reist bloß durch, und zwar aus Frankreich kommend, wo sie mit ihrem Gemahle das Grab ihrer Eltern besuchte, die dort vor vielen Jahren auf eine gewaltsame und geheimnisvolle Weise umgekommen sein sollen. Sie wird in einigen Tagen nach Petersburg abreisen, um die dortigen Gesellschaften zu verherrlichen, wo sie mit ihrem Gemahle das schönste Paar sein soll. Woher ich dies alles weiß? – – Ja, noch mehr – – während ich hier schreibe, liegt ihr äußerst gelungenes kleines Abbild neben dem Papiere auf dem Schreibtische. Niemand anders nämlich wurde mit dem Auftrage beglückt, sie lebensgroß zu malen, als Freund Lothar. Er malte sie in ihrer Wohnung und färbte sich heimlich das kleine Bildchen zusammen, als einen Schönheits-Diebstahl, und lief sogleich zu mir, um damit meine Paradiesgartenschönheit, von der ich ihm erzählte, auszustechen.

Wie staunte er, als ich ihm sagte, die sei es eben – und beide wunderten wir uns über den Zufall. Er verschaffte mir später sogar, daß ich das große Bild selbst sehen konnte, zu welchem Zwecke er ein Mädchen der Fürstin mit Geld und Liebesworten bestach. Die Arbeit war schön, und obwohl er sagte, daß sie nicht von weitem an das Urbild reiche, so wiederholte sich doch an mir fast dieselbe Wirkung, wie damals vor jenem erhabnen Spiegel. Er ergötzte sich herzlich an meinem elektrischen Funkeln, teilte es aber nicht im mindesten, obwohl er zugab, daß diese Arbeit die schönste Belohnung seines Pinsels sei, die er je zu hoffen habe, und er wolle nun recht geduldig viele der häßlichsten Gesichter nachbilden. Er schenkte mir das kleine Gemälde, und ich bewahre[70] es als Denkmal der sonderbarsten Wirkungen unserer Phantasie auf; denn die Fürstin soll hart und alt sein und von dem echtesten Ahnenstolze besessen; ich aber hatte alle Weichheit und Güte der schönsten Seele in die Züge dieses Bildes getragen. – Wenn sie längst in ihrem Norden ist, dann nehme ich erst das Bild echt her und dichte ihm alles an, was mir nur immer beliebt – ich wüßte nicht, wer mirs wehren könnte! Gute Nacht, Titus!

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 61-71.
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