Vor-Anrede

[7] Obwol die Edle und schöne Tugend / wegen ihrer Vollkommenheit und Würde / billig / von allen Menschen der Welt / solte geehret / geliebet und bedienet werden / so sihet man doch öfters / wie die törichte Sterbliche / dieses Göttliche Kind verjagen / die Thür ihres Hertzens vor derselben zuschließen / und an ihrer stat / den schänd- und schädlichen Lastern / als ihren ärgsten Todfeinden / herberge geben: daß also die verlassene Tugend gezwungen wird / zuweiln ihre gewönliche Ehrwürdige Kleidung auszuziehen / und in einem bunten und frölichen Rock zu erscheinen /damit sie / in so fremdem Habit / von den verblendten Seelen eingelassen werden / und dieselben / als ihre eigentliche Wohnung[7] / von den aufrührischen und verdammlichn Wollüsten reinigen möge. Einer solchen Verstellung / bedienet sie sich auch in gegenwärtigem Büchlein / da sie / unter das Honig einer anmutigen Liebes-Geschicht / ihre heilige Lehren verstecket / üm solche den Lustliebenten Gemütern beyzubringen und süße zu machen. Und damit sie desto leichter ihren vorgesetzten Zweck erreiche / hat sie ihr gefallen lassen / diese Liebes-Beschreibung / einer Weibs-Person anzubefehlen: entweder / dem Neuheit-begierigen Leser / durch so ungemeinen Kiel sich angenem zu machen; oder / weil von ihrer vielen das Weibliche Geschlecht / in Uberwindung der Hertzen und Beredung zur Nachfolge / geschwinder und glückseeliger / als das Männliche selber / geschätzet wird. Zwar / daß meine Wenigkeit sich erkühnet / in einer so wichtigen Handlung zu arbeiten / scheinet deren glücklichen Ausgang nicht wenig zu verhintern:[8] angesehen meinem untauglichen Pinsel / zu Abbildung der allertrefflichsten Tugend / Farbe und Kunst mangelt / und die alleredelste Früchte / wann sie in grob-hölzernen Schalen vorgetragen werden / ihren hohen Wehrt verächtlich machen. Aber mein höflicher Leser! ich bilde die Tugend: deren bloße Linien alle Zuneigung und Ehrerbietung verdienen. Und ob meine Schale unzierlich / so ist doch derselben Holz selten / und die Frucht / so sie darreichet / köstlich. Zerreisset ihr den Abriß / so möchte die Tugend üm solchen Schimpf eiffern. Wann ihr auch die schlechte Schalen zerbrechet / so müssen die herrliche Früchte hinfallen und verderben. Derowegen liebet den Schatten / wegen des Körpers / und das Gefäß / wegen des Schatzes. Entschuldiget meine Unwissenheit / mit dem Mangel / auch der aller geringsten Unterweisung. Vergebet meiner Künheit / in Betrachtung des guten[9] Vorsatzes / und gönnet diesem unwürdigen Büchlein /die unterste Stelle bey euren gelehrten Schriften / auch die kürzeste von euren müssigen Stunden: damit ich Ursach habe / eure Höflichkeit zu rühmen / eurer Gütigkeit zu danken / und unter dem Schatten eurer Leutseligkeit und Gedult / ferner kentlich zu machen /


Die Schäferin

Dorilis.[10]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. VII7-XI11.
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