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[509] Zu Vrees, einem Dorfe auf dem Hümmling, nicht weit von Lindern, lebte vor reichlich 100 Jahren ein großer gewaltiger Mann, der hatte so viel Kraft wie zehn andere. Eine Schwester hatte er, die war beinahe ebenso stark. Dieser Mann hieß Wille Bäkmann und soll der letzte der Hünen gewesen sein. – Einst war er an einem Musiktage im Wirtshause in Markhausen, und wie es gewöhnlich geht, entstand zuletzt Streit unter den jungen Leuten, und auch Bäkmann wurde hineingezogen. In seiner Wut riß er einen Vorschöttel (Fäsken), woran man im Kuhstalle Kühe und Kälber festzubinden pflegt, los und schlug damit um sich herum. Bald hatte er denn auch das ganze Haus leer geschlagen, und als er nun wieder zu Verstande kam und seinen Vorschöttel einmal ansah, hing ein Kalb daran. – Ein anderes mal war Bäkmann auf Heidbrügge bei Esterwege, wo die saterschen Bootjer (Bootfahrer) die großen Feldsteine einnahmen. Ein junger Bootjer, beinahe noch ein Knabe, wurde beim Laden von den anderen zurückgedrängt und fing an zu weinen, weil er nicht zeitig genug zum Laden kommen konnte. Dies sah Bäkmann und, gutmütig wie er war, ging er zu dem weinenden Knaben und fragte ihn, wo er sein Boot liegen habe. Der zeigte es ihm. Da nahm Bäkmann einen großen Feldstein,[509] wohl eine halbe Last schwer, in seine Arme und wollte damit durch die anderen Boote gehen, um damit zu dem des Knaben, das ganz zurückgedrängt war, zu gelangen. Aber als die anderen Bootjer das sahen, legten sie schnell ihre Boote weg, denn sie befürchteten, Bäkmann möge mit dem Stein durch den Boden der Boote treten. So hatte der Knabe sein Boot zuerst beladen, denn Bäkmann brachte nur zwei Steine hinein, und das war eine Last. – Wieder ein anderes mal war Bäkmann auf Ellerbrok. Viele Bootjer und andere Leute saßen im Wirtshaus am Feuer, denn es regnete. Da kamen zwei Cloppenburger, die fingen von Bäkmann zu sprechen an und bezweifelten, daß er so stark sei. Sie in Cloppenburg hätten auch Leute, die könnten einen Malter tragen, und das solle Bäkmann wohl lassen. Sie hatten aber Bäkmann noch nie gesehen, und der saß in einer Ecke und schlief. Da rüttelte einer ihn wach und erzählte ihm, was die Cloppenburger gesagt hatten. »So?« sagte Bäkmann, »einen ganzen Malter können sie in Cloppenburg tragen? das ist viel, aber an mich hängt, so viel ihr wollt.« Und damit stellte er sich mitten in die Küche hin. Da holte man denn ein starkes Tau, legte es zweimal doppelt um seinen Nacken und band an jedes Ende zwei Sack zu vier Vierup Rocken, dann legte man auf jede seiner Schultern zwei Sack, und endlich nahm er noch selbst unter jeden Arm zwei Sack. Da machten die Cloppenburger große Augen und meinten, das hätten sie nimmer geglaubt. Er trug aber vier Malter, denn ein Malter hat sechs Vierup oder zwölf Scheffel. – Auch ein Bauer war, der nicht recht an Bäkmanns Stärke glauben wollte. Da ging Bäkmann eine Wette ein, er wolle stärker sein als des Bauern ganzes Gespann Pferde. Bäkmann ließ sich zu dieser Probe eine Grube graben, so tief, daß nur der Oberkörper herausguckte, dann faßte er den großen »Knüppel« an, an welchen die Pferde gespannt waren. Aber der Bauer hatte es auf'n Schelm vor und trieb die Pferde an, ehe Bäkmann fertig war; aber dennoch holte Bäkmann die Pferde zurück, daß sie zu sitzen kamen, wie man Hund und Katze sitzen sieht. – Es war im Spätsommer, wenn die Ernte heimgefahren wird, als ein Bauer im Geburtsort Wille Bäkmanns Samstags ein Fuder Rockengarben geholt hatte, aber unterwegs von einem Regenschauer überrascht worden war, sodaß sein Fuder Garben von außen naß geworden. Weil es am Sonntag schönes Wetter[510] war, ein scharfer trockner Ost über die Stoppeln fegte und die Sonne recht prall dabei schien, hatte der Bauer sein Fuder zum Abtrocknen wieder aus dem Hause geschoben. Gegen Abend, als der Tau zu fallen anfing, wollte der Bauer sein Fuder wieder ins Haus haben, aber der Wagen stand in der Miststätte, die bedeutend niedriger war als der Dielenraum. Nun waren ihrer etwa zehn junge Burschen bei dem Bauern auf Nachmittagsbesuch, denn er hatte drei hübsche Töchter, und man hatte schon lange hin und her überlegt, wie man den Wagen am besten ins Haus bringe, ohne eben die Pferde vorzuspannen. Da kam zufällig Wille Bäkmann, ein Freund des Bauern. Lächelnd sah Wille den jungen Burschen eine zeitlang zu, wie sie um den Wagen herumstanden, bald beratschlagten, bald vor den Rädern kleine Unebenheiten beseitigten, im ganzen aber nicht wußten, was sie anfangen sollten, um den Wagen mit vereinten Kräften die Höhe hinauf zu schieben; dann trat Wille näher, sagte spottend: »Na Jungens, so geit dat nich, anpacken gelt,« und faßte die Deichsel an. Dieser Spott angesichts der dabeistehenden Mädchen verdroß die bis dahin unschlüssigen Burschen, und wie aus einem Munde flüsterten sie sich zu: »Zurückhalten, zurückhalten!« Aber ungeachtet die zehn kräftigen Burschen die Speichen der Räder faßten und rückwärts schoben, zog Wille an der Deichsel den Wagen die steile Bahn hinan, ohne sich eben dabei anzustrengen. Der Bauer stand verwundert dabei und fragte Wille, als der Wagen auf der Diele stand: »Nu Wille, güng et uk stur?« »Och,« erwiederte Wille, »dat was en lütteck, man väl noch nich.« – (Scharreler Mundart.) Bäkmanns Wille was in sin olde dege scheper. Det alder hidde weil sin hëire blek't un sin reg krûm maket, man hi hidde nog kraft for tjen ourswêike. Dit mate ungefär in do tid wäse, as op 'e Gälenbëirg nog nen husse wierne un ok was op 'e Barenbëirg nog nen hus; dann do kemene erste as di grote bround 1821 in Scherrel wäsen was un vull van do verbarnde plaze op 'e Barenbëirg nemene. Vartied was die Barenbëirg un ganz Swotefan un ok, weir nu Gälenbëirg leit, meente wëide. Di Barenbëirg heerde do Seter, un di Gälenbëirg heerde do Hummelske, man so jüst gingt med' weedjen nit tou, un de Hummelske kemen ofte op des Seter. Do was ôk Bäkmanns Wille inzen op 'e Bärenbëirg med sin koppel schëipe. Ofte hidden do Scherreler al dëir op luret,[511] do Hummelske bi't been tou krigen, man al tide wiërne dëirop jo him nog entkemen dan do schëipe wiëerne ongjucht, un wan die scheper man floitede, dan ronnene do schëipe al dat se wegkemene. Man ditmal mendene do Scherreler dog, jo wilne den olden Wille weil krige. Twein ut Scherrel hiddene den ganzen dej al op him luret un wiërne al vor di dej utgan un hiddene sik in un sloot verkrepene. As Wille nu fiër genoug op' e Barenbëirg herope was, do gingene do bee op him tou un wilne him do schëipe nime; man as hi det merkede quad hi: »No Jungens, will ji mi dei Schape nehmen? dat schall abers int Gode nich passeiren!« un do nohm hi den tjukke stock, den hi in do honde hidde, un trahlde 'ne stuf ouw, det do splittere herum fleine. Di stock was weil un eirm tjuck un dëirtou un ekene. As do bee Scherreler det sigene, gingene jo slipsteiten weg un litene Bäkmanns Wille sille weedje. (Bäkmanns Wille war in seinen alten Tagen Schäfer.) Das Alter hatte wohl seine Haare gebleicht und seinen Rücken krumm gemacht, aber er hatte noch Kraft für zehn andere. Es mochte ungefähr in der Zeit sein, als auf dem Gälenberg (Neu-Arenberg) noch keine Häuser waren, auch war auf dem Bärenberg (Neuscharrel) noch kein Haus, denn die kamen erst, als der große Brand 1821 in Scharrel gewesen war und viele von den Abgebrannten Wohnplätze auf dem Bärenberge nahmen. Vor Zeiten war der Bärenberg und das ganze Schwarzemoor und auch, wo nun Gälenberg liegt, gemeine Weide. Der Bärenberg gehörte den Saterschen, und der Gälenberg gehörte den Hümmlingschen, aber so genau gings mit dem Weiden nicht zu, und die Hümmlingschen kamen oft auf das Satersche. Nun war auch Bäkmanns Wille einst auf dem Bärenberg mit seiner Schafherde. Oft hatten die Scharreler schon darauf gelauert, die Hümmlingschen beim Bein zu kriegen, aber immer waren sie ihnen noch entkommen, denn die Schafe waren darauf abgerichtet, und wenn der Schäfer nur pfiff, dann rannten die Schafe schon, daß sie wegkamen. Aber diesmal meinten die Scharreler doch, sie wollten den alten Wille wohl kriegen. Zwei von Scharrel hatten den ganzen Tag schon auf ihn gelauert und waren schon vor Tag ausgegangen und hatten sich in einem Graben verkrochen. Als Wille nun weit genug auf dem Bärenberg herauf war, gingen die beiden auf ihn zu und wollten ihm die Schafe nehmen. Aber als er das merkte,[512] sagte er. »Na, Jungens, will ji mi dei Schape nehmen, dat schall abers int Gode nich passeiren!« und dann nahm er den dicken Stock, den er in Händen hatte, und schlug ihn stumpf ab, daß die Splitter herumflogen. Der Stock war wohl armsdick und noch dazu ein eichener. Als die beiden Scharreler das sahen, gingen sie schliepsterts – eigentlich mit schleifendem Schweife wie ein retirierender Hund – weg und ließen Bäkmanns Wille ruhig weiden).

Einige Stunden von Vrees, in Stapelfeld bei Cloppenburg, wohnte ein großer kräftiger Mann, den man den groten Schipper nannte. Dieser bekam eines Tages Lust, mit Bäkmann ein Ringen zu veranstalten. Er bricht nach V. auf, trifft dort auf dem Acker einen großen Mann hinter dem Pfluge und frägt diesen, wo der Riese Bäkmann wohne. Der Pflüger faßt an den Pflugsterz, hebt den ganzen Pflug in die Höhe und zeigt damit nach einem Hause: »Dar woahnt de Bäkmann«. »Is de noch stärker es ji«, frägt der Fremde. »Dar bin ick man ein Kind kägen«, ist die Antwort. Der Fremde dreht sich um und hat das Haus des Bäkmann niemals aufgesucht. Die Holzschuhe, welche Bäkmann getragen, wurden noch vor einigen Jahren gezeigt, sie faßten 10 Liter Roggen.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. DIX509-DXIII513.
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