b.

[317] Im Jahre 800 feierte Karl der Große mit seinen Feldobersten zu Visbek das Osterfest. Da kam Wedekind, welcher damals wie auch sonst oft sein Hoflager auf der Wedekindsburg zu Wildeshausen hielt, als Bettler verkleidet nach Visbek, in der Absicht, sein eigenes Leben zu wagen, um Karl den Großen zu ermorden. Wedekind traf gerade zu der Zeit in Visbek ein, als Karl mit seinen Feldobersten zum Abendmahl gegangen war. Er schlich deshalb vor die Kirchtür, um Karl, wenn er heraustreten würde, mit einem unter seinen Kleidern verborgenen Dolch zu durchbohren. Wohl hatte er Karl nie gesehen, aber er dachte ihn schon zu erkennen, denn wer ihm an der Kirchtür das größte Almosen reichen werde, das müsse sicherlich der Kaiser sein. Neugierig sah er durch die halbgeöffnete Tür, wurde aber von Schauder ergriffen, denn er sah, wie der Priester aus einem schönen Gefäße ein kleines Kind herausnahm und den Kriegern zum Empfange darreichte. Das Kind war von einem solchen Glanz umgeben, daß Wedekind fast die Augen geblendet wurden. Wedekind sah, wie das kleine schöne Kind die Arme ausstreckte und sich willig hinreichen ließ, bis die Reihe an einen der Offiziere kam. Da sträubte sich das Kind, und erst nach einigem Widerstreben konnte dieser es empfangen. Wedekind sah aber ganz deutlich, wie das Kind sein sonst so liebevolles Antlitz plötzlich[317] ganz veränderte. – Wedekind war mit einemmale ganz verwandelt. Anstatt Karl zu ermorden, sann er nun auf einen Plan, was er zu tun habe, um Christ zu werden; und als Karl mit seinem Gefolge aus der Kirchtür herauskam, rief Wedekind mit lauter Stimme: »Karl, ich bin Wedekind und bin gekommen, dich zu ermorden«; aber, indem er den Dolch wegwarf, sprach er: »Verzeihe mir, auch ich will Christ werden.« Und er erzählte ihm, was er soeben gesehen, und wie das schöne Kind sich vor dem einen Offizier so sehr gesträubt und sein sonst so liebevolles Antlitz auf einmal sich in ein zornfunkelndes verwandelt habe, und er zeigte ihm den Offizier. Als dieser von Karl sogleich zur Rechenschaft gezogen wurde, erschrak er und bekannte, er sei ohne Bekehrung, also unwürdig, zum Abendmahl gegangen. Wedekind beriet nun mit Karl, wie er es anzufangen habe, um Christ zu werden, denn seine Sachsen würden es nicht zugeben, sondern ihn töten; sie verabredeten eine Schlacht, welche Wedekind schlecht anzuführen versprach. Wedekind ging daher nach Wildeshausen zurück und brach mit seinem ganzen Heere auf, um, wie er sagte, Karl in Visbek zu überfallen. Aber Karl zog ihnen entgegen, und es kam zu einer mörderischen Schlacht in der Gegend der jetzigen Bauerschaft Endel. So schlecht Wedekind die Sachsen auch anführte, konnte Karl sie doch nicht zum Weichen bringen; sie fochten ganz verzweiflungsvoll. Karl verlor viele seiner Feldobersten und Ritter und mußte fliehen. Zum Andenken an diesen Sieg wurden von den Sachsen viele große Steine als Denkmäler aufgerichtet und unter denselben die Asche der gefallenen Feldobersten beigesetzt. Noch heutigen Tages sind die Steine zu sehen. Karl zog sich hinter Visbek zurück, und etwa eine halbe Stunde südlich von Visbek, in der Kiebitzheide, kam es zu einer zweiten Schlacht. Schon bei dem ersten Angriff flohen Karls Truppen, obwohl Wedekind alles aufbot, um seine wütenden Sachsen aufzuhalten. Karl wandte sich jetzt südlich, zog durch Wälder und Moräste und ging zwischen Vechta und Lohne über das Moor. In der Gegend von Diepholz sammelte Karl sein Heer und lieferte Wedekind abermals eine Schlacht. Wieder konnte Wedekind nicht hindern, daß seine Scharen, ungeachtet der absichtlich schlechten Führung siegten. Da, in dem entscheidenden Augenblick, erhob Wedekind seine Hände zum Himmel und rief mit lauter Stimme. »Sancte Hülfe, Sancte Hülfe!« Als dies[318] seine Krieger sahen und hörten, wußten sie nicht, was es zu bedeuten habe, und kamen darüber in eine solche Verwirrung, daß der anfängliche Sieg sich in eine gänzliche Niederlage verwandelte. Wedekind wurde gefangen genommen, ließ sich taufen und wurde ein Christ. An der Stelle, wo Wedekind jenen Ausruf getan, wurde zum Andenken eine Kapelle erbaut, welche den Namen Sanct Hülpe erhielt. (Von einem Landmann aus der Gemeinde Visbek, welcher angab, die Erzählung auf einem mit alter Schrift bedruckten Blatte, das er in der Heide gefunden, gelesen zu haben; kürzer auch aus Wildeshausen. Keime der Sage, soweit sie die Bekehrung Wittekinds behandelt, finden sich bei Krantz, Saxonia, II. c. 23. und Baron. annal. ecclesiast. zum Jahr 785. Die Erklärung des Namens St. Hülpe ist ziemlich weit verbreitet und bekannt. Die Erzählung von der Schlacht bei Endel dagegen halte ich für einheimischen und volksmäßigen, wenn auch vielleicht neueren und jedenfalls durch Lektüre beeinflußten Ursprungs. So Strackerjan. Vgl. den Artikel »Der Birkenbaum bei Endel« im Jahrbuch, XIV. S. 125 ff.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 317-319.
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