IV

[218] Die Diwanlampe leuchtet.


SIE horcht die Hände gekrampft zur Tür. Komm! kommen! Schüttelt in Schluchzen. lieb! lieben! Kauert auf den Diwan. komm kommen! komme! Schweigt und spannt. fühlen, fühlen! Ringt die Hände zur Tür. ich habe lieb! Erblickt den Ring auf der Erde, stürzt, hebt hoch, betrachtet und steckt sorgsam wieder auf. ich zieh ihn auf! ich ziehe ihn wieder auf Zeigt die Hand ins Leere. sieh, sieh ... Preßt die Hände an die Schläfen und starrt zur Parktür. oo! Hetzt an die Tür, stößt mit Händen und Füßen die Nacht, zurückweichend. nein Nacht! Schiebt vorwärtsstemmend etwas hinaus. kalt! Wirft in der Tür die Hände hoch hinausgellend. wiederkommen! nicht wiederkommen! Preßt den Kopf besinnend. Liebe Liebe Lehnt die Tür, weich weh. ich liebe! ja! Schrickt auf und dreht die Faust der Tür. Du! Starrt entsetzt und wehrt mit beiden Fäusten. stehen! stehn Taumelt wirr in das Zimmer. Wände! taumelt! Schaut entsetzt umher, rast gegen die Wand und stapft mit dem Fuß dagegen. stehen! steh! Schleicht gebückt zum Diwan. still! Kauert angstgehetzt umherblickend zu den[218] Wänden. nicht laufen! laufen! so lauft doch nicht! Springt auf und würgt sich die Hand an die Kehle. das Gewürge! Gewürge! ihr würgt mich!

ER tritt in die Parktüre mit Mantel und Hut. Du bist hier.

SIE schrickt furchtbar, fällt zu Boden, springt hoch, geht mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, stark. O Du kommst! Du kommst! leben.

ER ruhig. Ich suche Dich.

SIE umschlingt. Nicht. Dich! Dich! Dich! Du!

ER schaut sie an, ruhig. Ich wollte für jeden Fall.

SIE hält ihm die Hand auf den Mund. Es ist alles nicht wahr! nicht wahr! nicht wahr!

ER wiederholt mechanisch. Nicht wahr.

SIE. Lüge! Lüge! gelogen! Lüge lügt!

ER verständnislos. Lügt.

SIE immer leidenschaftlicher. Hat er nicht gesagt? gesagt? nicht gesagt?

ER ruhig. Er schießt!

SIE stemmt ab, taumelt zum Tisch und legt das Gesicht auf den Arm. Ooo.


Er legt die Hand auf die Schulter.


SIE springt auf stark visionär. Du stirbst.

ER streichelt sie weich. Sterben.

SIE. Du.

ER. Lieben.

SIE wirft um und klammert. Du wirst nicht gehen.

ER ruhig. Ich gehe!

SIE entwindet sich ihm jäh. Du!

ER armt weich nach ihr. Du Du.

SIE stößt ihn mit beiden Händen zurück. Du Du Du! gehen! gehen! lügen! lügen! ich weiß nicht Wahrheit! wo lügt Wahrheit?

ER. Lügen?

SIE weicht und stößt, zischt. Ich hasse Dich Gellt ihm ins Gesicht. tot!


Er tritt einen Schritt zurück.

[219] Sie lacht gellend auf und ordnet im Nacken das Haar mit beiden Händen.


ER haucht. Du bist ...! fasse Dich! Hält ihr die Hand hin ruhig. eine Weile.


Sie wendet ab.


ER schließt den Mantel. Wenn Du mich liebst.

SIE jäh zu ihm. Wenn Du mich liebst.

ER hält ihr die Hand hin. Das gilt die Karte.


Sie beugt über den Tisch, stemmt die Ellbogen auf und hüllt das Gesicht in die Hände.

Er küßt ihr Haar, geht schnell ohne umzublicken in den Park.

Sie fährt hoch, streckt die Hand ihm nach, setzt den Fuß und bleibt stehen. Ihre Haltung löst langsam.


SIE matt schlaff gefangen. Eine Weile Peischt auf und wütet die Venus in dem Winkel zwischen Parktür und Flurtür. fort! fort! Hält inne. nein! bleib! bleib! Hetzt die Reitgerte vom Tisch und peitscht die Venus. runter! runter! kuschen! kusch! Läßt erschöpft ab, schleudert die Peitsche fort, wendet und knirscht in Schauern. nun fallt! fallt Wände! fallt! würgt! würgt! Erstarrt, stützt die Faust auf den Tisch, spannt ab, schüttelt heiter den Kopf, leicht. würgt!


Die Tür klopft.

Sie spannt hoch.

Freundin im Nachtgewand.

Sie starrt.


FREUNDIN zaghaft. Verzeih, ich hörte sprechen.

SIE rauh. Du? so spät in Nacht? so früh am Tag?


Freundin schauert, tritt ein und schließt die Tür.


FREUNDIN. Ich bin unruhig.

SIE abwesend. So so.

FREUNDIN erschöpft. Angst!

SIE lacht kurz auf. Angst!

FREUNDIN erschrocken. Du.


[220] Sie lauscht in den Park.


FREUNDIN. Du horchst.

SIE bezwingt. Nichts.

FREUNDIN hastig. Stimmen gehen im Hause.

SIE ruhig. Nichts ist im Hause.

FREUNDIN starrt. Wo?

SIE wirkt gleichgültig, ordnet den Diwantisch. Er hat mich angefaßt.


Freundin verständnislos.


SIE gleichmütig. Ja der Horcht wieder.

FREUNDIN aufgelöst. Wer?

SIE nickt. Ja.


Freundin preßt die Hände auf die Brust und atmet schwer.


SIE belauert wegwerfend. Er liebt mich sagte er. Leidenschaft.


Freundin erhebt schwerfällig, taumelig.


SIE lauert grausam. Du liebst ihn? Du liebst? Streichelt sie.


Freundin sinkt auf den Stuhl zurück, wimmert.


SIE beugt über sie, gespannt. Verirrung nichts! Verirrung!

FREUNDIN wimmert. Unmöglich.

SIE richtet hoch, kalt. Unmöglich.

FREUNDIN schreckgespannt. Wo?

SIE zurück kalt. Ja die Männer.


Freundin erhebt sich und legt das Gewand fest um.


SIE. Was willst Du?

FREUNDIN gefaßt. Ich muß ihn sprechen.

SIE lauert. Ja?

FREUNDIN ringt mit Entschluß. Ich frage ihn.

SIE lauert. Fragen?

FREUNDIN in wilder Erregung. Es ist nicht, kann nicht sein, Verzweiflung.

SIE höhnt. Verzweiflung.

FREUNDIN hart, stark. Ja Verzweiflung Geht zur Tür, fest. ich frage ihn.


[221] Zwei Schüsse flattern aus dem Park.

Sie zuckt furchtbar.

Freundin starrt, schaut auf sie, schreit, preßt die Hand vor den Mund.

Sie hält zitternd am Tisch.


FREUNDIN haucht. Was war das? das?

SIE haucht. Frage, frage.


Freundin verständnislos.


SIE aufgerichtet, roh, selbstbewußt, gerechtfertigt. Er hat mich angefaßt.

FREUNDIN schreit, gell. Du lügst.

SIE dumpf drohend. Lüge.

FREUNDIN schreit. Entsetzen!

SIE reckt im Triumph. O! mich! Dich mich! ich hasse! Immer unbeherrschter, ungebändigter. hasse! hasse! Liebe! Wahn! Tobt dicht vor die Wehrlose. wahr! nicht wahr! wahr! nicht wahr!


Freundin wendet jäh zur Flucht.


SIE hält ihren Arm, erbarmungsvoll, weich, streichelnd. Arme!


Freundin reißt los, taumelt, schleudert gegen die Tür, klammert die Venus, stürzt zu Boden, hetzt hoch und flieht durch die Tür aufgellend.

Sie starrt und starrt auf die Trümmer der Venus, hebt den Kopf hoch.


SIE ins Leere. Wer! Horcht und horcht. das müßte anders klingen! anders! anders! Macht einen Schritt zur Parktür und horcht. nicht, nein, anders Schiebt Schritt um Schritt zur Tür hetzt dann in den Park. anders.

Quelle:
August Stramm: Das Werk. Wiesbaden 1963, S. 218-222.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon