Zweite Szene

[8] Lykon. Arratos.


ARRATOS.

Herr, deine Ruhe zu bewachen –

LYKON.

Ruhe?

Dieweil blindwüt'ger Drang nach diesem Kampfe

Die Seele mir mit Geierflügeln wundpeitscht?[8]

Ha, Ruhe! Wer kann ruhen, da uns endlich

Karthagertücke lammfromm in den Stall geht,

Durch dessen Pforte keiner lebend mehr

Ans Licht sich stiehlt? In diesem Felsenrachen,

Des Kiefer lückenlos zusammenklappen,

Der hungrig greift und niemals wieder losläßt –

Hab' ich sie erst – und morgen hab' ich sie.

Denn ahnungslos ziehn sie des staub'gen Weges

Nach Syrakus! – Du schweigst – du blickst zur Seite?

Schenkst mir von meinem Jubel nichts zurück?

ARRATOS.

Vergib mir, Herr! Wohl bist du unser Meister

Und meisterlich der Plan, der sie ins Netz holt,

Doch wolle nicht vergessen, daß der Schlag

Noch nicht geführt ist, daß kein Schwerthieb noch

Des Schicksals Wage sich dir neigen hieß ...

Ich bin ein stiller Mann. Was ich mir wünschte,

Das schlang ich in die wunde Kehle schweigend

Herab. Auch jetzt wünsch' ich mir mancherlei –

LYKON.

Das gleiche hoff' ich.

ARRATOS.

Sicherlich. Wär' ich

Der Sohn des großen Syrakus gleich dir,

Getränkt mit Griechenmilch, von Hellas' goldnen

Gestaden her mit Siegergeist gerüstet,

Und dächte nicht wie du? – Doch sind der Fäden

Gar viele, die die Parze spielend schlingt,

Und eine Schere nur, die sie durchschneidet.[9]

LYKON.

Verständ' ich dich – ich will dich nicht verstehn!

Phöbos, der Sehende, mag mit dir rechten!

Doch meinem Sinn geziemt es – den erwognen

Gedanken in Gewalt umsetzend –, alles

Zu wagen, daß die meerumgürtete,

Die weiße Stadt – karthagischer Umschlingung

Gewaltig sich entwinde. Und damit

Kein Zaudern, kein Zurück, kein dunkler Ausweg

Den Fuß mir lahme, nahm ich als ein Pfand

Ureignen Wollens und beschworner Pflicht

Das Weib, das meiner Liebe Inbegriff,

Und ihr Geschenk, die Kinder beide, mit mir.

Im Heiligtum der Gäa, dessen Mauern

Grauzahnig in die Felsenwand sich beißen,

Ließ ich sie dir. Du sorgest wohl für sie?

ARRATOS.

Ein Lager, Herr, aus Moos und weichen Farren

Half ich zusammentragen. Dort – umschlungen –

Sanken sie hin, noch halb in meiner Hand,

Und regten sich nicht mehr.

LYKON.

So dien' ich nun

Der Stadt, die mich gebar, mit allem, was ich

Mein eigen nenne: Weib und Kind und Ehre.

Das Leben zähl' ich nicht; das ist des Kriegers

Besitz nicht mehr, wenn er ins Blachfeld zieht.

Doch eines zähl' ich zwiefach, tausendfach:

Den Ruhm, der auch auf toter Stirne grünt,[10]

Der Wurzel schlägt in langversunkne Gräber

Und, aufwärtsdrängend zu den Himmlischen,

Verflognen Staub der Ewigkeit vermählt.

Ob morgen auch mein Mund in blut'gem Stummsein

Die Erde küßt, was tut's? Wenn nur sein Schweigen

Vieltausendfält'gen Wonneruf erschließt.

So will ich leben in des Volks Gedächtnis!

In meines Namens Schatten sollen wandeln

Die Namenlosen. Sieger sollen Zweige

Sich pflücken von dem Baume meines Sieges.

Mein Schwert soll glänzen über allen Schwertern.

ARRATOS.

Stets warst du mir ein güt'ger Herr –

LYKON.

Nicht Herr!

Sag »Freund« – wie ich mit Stolz dich Freund mir nenne.

ARRATOS.

– Und deine Trunkenheit zu nähren, sollte

Gebot mir sein. Doch mein' ich's redlich, kenne

Wohl auch aus eigenem die heiße Sucht,

Die Halbgottähnliches verspricht und wohlfeil

Zu geben scheint. Doch setze nun den Fall,

Dein Schlag mißlingt –

LYKON.

Wie sollt' er das?!

ARRATOS.

Gesetzt

Den Fall, sag' ich – nicht mehr! –[11]

LYKON.

Dann freilich!

ARRATOS.

Sterben!

Wir Männer haben's leicht – wir sterben. Aber

Dann zogst du auch dein Weib, zogst deiner Kinder

Vertraunde Unschuld mit dir in den Sturz.

LYKON.

Du sprichst, als läg' ich schon besiegt!

ARRATOS.

Ich sprach

Als Freund! Ja, stürben sie mit uns, wir dürften

Den Sprung zum Hades heitern Sinns erproben, –

Doch was Karthago –

LYKON.

Schweig! Den Sprung zum Hades,

Dein Weib erprobt' ihn längst. Was quälst du dich

Um meines? Und der Knabe, den die Tote

Dir ließ, zog er nicht mit uns in das Feld?

ARRATOS.

Er führt sein Schwert gleich allen.

LYKON.

Freund, ich lobe

Die Sorgfalt, die du mir beschertest, doch

Blick auf! – So wahr nur schmählicher Verrat –

Und wo zu Syrakus haust ein Verräter? –

Den Feind zu jenen Felsentürmen trägt,

So wahr weilt schon der Sieg in unsrer Mitte.[12]

Drum spare dein »gesetztenfalls« und spare

Den Eulenschrei ... Was gibt's? Wer wecket uns

Die Schläfer?


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 8-13.
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