Sechste Szene

[41] Die Vorigen. Diokles.


DIOKLES hereinstürmend und plötzlich stutzend.

Was da?

Wie seht ihr mich so strafend an? Oh, zwar

Ein wenig strafbar fühl' ich mich auch sonst.

Ja, daß ich atme, wirkt schon strafenswert.

Doch, wie gesagt, ich grüß' euch, edler Vater

Und liebe Mutter, und auch sonst die ganze

Gesellschaft.

ARRATOS.

Höre mich, du Wilder! Wer

Sich Sohn mir nennen will, dem wär's geziemend,

Daß er des Vaters würdig sei.[41]

DIOKLES.

Was nun?

ARRATOS.

Du teilst die Ehren dieses Hauses –

DIOKLES.

Das,

Wenn ich gehorsamst dich erinnern darf,

Von Hause aus mein eigen Haus ist!

ARRATOS.

Schweig,

Vermeßner! zerre nicht an meiner Güte,

Die schon zu lange diesen Trotz erduldet. –

Und läs' ich nicht in deiner Mutter Auge

Ein heimlich Flehen, das um Losspruch bittet,

Und wäre nicht der Tag so freudereich – –

DIOKLES.

Der Tag? Was für ein Tag denn?

ARRATOS.

Wär' es möglich?

Auf welcher Erde hausest du, mein Sohn,

Daß du nicht weißt, wie heute vor zehn Jahren

In jener Schlucht durch aller Götter Hilfe

Karthagos Übermacht –?

DIOKLES.

Ja so! Das war

Ja wohl der Tag, an dem sie meinen – – Wie?

O nichts, vergib! Bald hätt' ich Schwereres

Vergessen. Hätte gar an einem Namen[42]

Die Zunge mir verbrannt, dem heil'gen Namen,

Der, wie du wolltest, uns zum Gift geworden,

Da, der ihn trug, in allzustolzem Glauben

Die weiße Stadt der Not zur Beute gab.

Ich schweige schon! Beim Zeus! ... Doch schau hinaus,

Mein gnäd'ger Vater. Leicht versieht man sich.

Es gibt so viel Karthager in der Stadt,

Die beinespreizend auf den Gassen prunken,

Daß uns der Glaube wohl gedeihen kann,

Der Tag sei nie gewesen – oder schlimmer –

Er hätt' uns eine Schlappe heimgebracht.


Bewegung.


ARRATOS heftig.

Genug! Im eignen Hause füglich sollte

Man Dank sich ernten. Doch als Trotz und Hader

Und kaum verhehlter Vorwurf kehrt mein Wohltun

Zu mir zurück.

ARTEMIDOR beflissen.

Mich, Vater –

ARRATOS.

Laß, o laß!

ARTEMIDOR zu Diokles.

Wie durftest du, zumal an solchem Tage,

Der unsern Jubel zu den Göttern trägt,

Den Helden, der die Stadt errettete –

Den Helden, der uns Vater ist und Freund ...[43]

PHILARETE.

Tritt vor ihn, Kind, und wirf dich in die Knie! –

Verschmäh ihn nicht, du Teurer. Sei ihm gnädig!


Zu Diokles.


Bei allen Göttern, sprich!

DIOKLES.

Was ich da sagte,

Mein hoher Vater, war kein Lästerwort,

Dich zu betrüben tückisch vorbestimmt,

Auch keines Murrens, das da heimlich hauset,

Geschwätz'ger Widerhall. – Vergnüglich ist

Die weiße Stadt – vergnüglich sind wir alle –

Und wahrlich! Übel würd' es uns geraten,

Wenn's anders wäre! Doch was unverstanden

Und ungehört in jeder Brandung atmet,

Was mit verhaltnem Herzdruck uns die Brust

Zusammenschnürt – ich weiß nicht, was es ist,

Mein Vater. – Ist's, was ich da faselte?

Ist's jener eine Mago, der seit Monden

Als wohlgehegter Gast im Land umherstreicht?

Wie dem auch sei, mein Mund ist nicht berufen,

Dich zu gemahnen, daß – – denn wer – wie ich –

Von da herstammt, wo man – – wo ich herstamme,

Der muß – maulhalten ... Drum – vergib!


Er sinkt in die Knie.


ARRATOS.

Steh auf,

Mein Sohn. Unedel ist dein Wille nicht,

Und so vergeb' ich dir. Doch acht in Zukunft[44]

Bedächtiger, wie Menschenwitz den Lauf

Des Stromes lenkt, der, ob er tausendmal

Bezwungen scheint, uns doch verschlingen würde. –

Ihr Jünglinge, verkündet auf dem Markte,

Daß euer Vater ohne viel Gepränge

– Denn Aufsehn liebt er nicht, als Herr der Stadt

Zu trumpfen liebt er nicht – dem Zeus-Erretter

In dessen hehrem Tempel heut' als Opfer

Zwei goldgehörnte Stiere bringen werde,

Den alten Sieg zu preisen. So zerstört

Ihr gleich das alberne Gerücht, die Feier

Sei nicht beliebt, weil unsre guten Freunde

Sich dran entrüsten könnten. – Noch ein Wort,

Mein Sohn!


Nimmt Artemidor beiseite.


DIOKLES.

Ich aber will für meinen Teil

Der Artemis 'nen Lichterkuchen opfern.

Zehn Lichter drum herum und eins inmitten,

Das ausgeblasen wurde, weil – es stank.


Ab.


ARRATOS leise zu Artemidor.

Du lenkst ihn falsch. Unschädlich ihn zu machen,

Begehrt' ich, als ich ihn dir übergab,

Doch scheint sein Trotz im Wachsen. Sag, wie steht's?

ARTEMIDOR.

In Lüsten wälzt er sich. Sein Leumund ging

Zuschanden. Was zugleich ihn abwärts treibt

Und wieder hochreißt, dunkel ist's und schwer[45]

Zu bänd'gen – ist ein Gram, ein Groll, der heimlich

Ihn strafft – der Gram um seines Namens Schande.

ARRATOS.

Zu schonen ist mein Wunsch. Sein Blut begehr'

Ich nicht. Doch wenn – ...'s ist gut. – Was jenes Mädchen

Belangt, will ich mich umtun.

ARTEMIDOR nach Verabschiedung ab.

ARRATOS zu Myrrha.

Siegesfeste

Laß andre feiern, Kind, und geh derweilen

Dem Eros einen Schurz voll Rosen weihn.

MYRRHA ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 41-46.
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