Siebente Szene

[278] Frieda Pilgermaier. Der Bürgermeister. Die Frau Bürgermeister.


FRIEDA. Da komm i ja grad recht zum Gratulier'n.


Frau Bürgermeister wendet sich schnell ab und trocknet ihre Tränen.


BÜRGERMEISTER mürrisch. Guten Tag!

FRIEDA. Ich war schon amal da, heunt. In aller Früh.

BÜRGERMEISTER. Was willst du denn?

FRIEDA. Gratulier'n halt! Zu der Ehrung. Das is ja großartig g'wesen!

BÜRGERMEISTER. Mhm. Ja.

FRAU BÜRGERMEISTER. Wir danken dir schön, Frieda.

FRIEDA. Das versteht si do von selber, daß die Familie an so was teilnimmt. No, ihr seid's ja auch recht vergnügt, wie ich seh.

BÜRGERMEISTER. Es geht.

FRIEDA. Es laßt sich denken. Wenn ma scho bei Lebzeiten an Fackelzug kriegt! Das passiert ja die wenigsten als a toter!

FRAU BÜRGERMEISTER. Warst du da?

FRIEDA. Freili! Mit mein Mann. Hinter'm Garten sin' mir g'standen.

FRAU BÜRGERMEISTER. Warum bist du nicht zu uns herein?

FRIEDA. Mei Mann hat g'meint, mir passen net in die vornehme G'sellschaft. Und nacha weiß ma ja net, ob ma net stört.

BÜRGERMEISTER. Immer die Redensarten.[278]

FRAU BÜRGERMEISTER. Du kommst doch sonst auch?

FRIEDA. Das scho, aba mei Mann is halt so. Er sagt, die klein Verwandten sieht ma net gern. De kann ma höchstens brauchen, daß s' ei'm mit da Leich geh'n.

FRAU BÜRGERMEISTER. Geh, hör auf!

FRIEDA. A bissel was is schon dran. Übrigens habt's ihr's scho g'hört vom Schneider Wilberger?

BÜRGERMEISTER. Ja. Da bist du leider zu spät gekommen.

FRIEDA. Und vom Hochwürden an Herrn Pfarrer?

BÜRGERMEISTER. Auch schon. Du hast Pech heute.

FRIEDA. Der muaß si g'äußert hamm. Jessas, Mariand Josef!

FRAU BÜRGERMEISTER. Mach es nur nicht so arg!

FRIEDA. So? Ja, wenn d'as du besser weißt!

FRAU BÜRGERMEISTER. Wir haben nicht die Beziehungen.

FRIEDA. I weiß halt, was mir d' Köchin erzählt hat. Und des g'langt überall hin!

FRAU BÜRGERMEISTER. Dann sag es halt!

BÜRGERMEISTER. Willst du die Geschichte vielleicht ratenweis absetzen? Damit der Genuß länger dauert?

FRIEDA. I hab euch bloß schonen wollen. Aber wenn's ihr wollt's! Also d' Köchin hat erzählt, so zorni hat si an Herrn Pfarrer überhaupts noch nie g'seh'n, und Schreiend. die ganze Ovation ist ein ewiger Schandfleck, hat er g'sagt, für die Stadt!

BÜRGERMEISTER zornig. Wenn nur er keiner ist!

FRAU BÜRGERMEISTER. Pst!

FRIEDA. Es ist überhaupts eine Auflehnung gegen den Staat und genau so schlecht wie jede anderne Revolution.

BÜRGERMEISTER laut. Was?

FRIEDA. Ja, und die Dornsteiner, hat er g'sagt, entwickeln sich allaweil schöner unter ihrem lieben Bürgermeister. Jetzt werden s' gar noch Sozialdemokraten!

BÜRGERMEISTER der immer erregter wird. Eine solche Unverschämtheit!

FRIEDA. Die nächste Predigt, hat er g'sagt, geht über die Pflichten gegen die gottgesetzte Obrigkeit. Da will er, hat er g'sagt, den Dornsteinern ein Licht aufzünden. Und an Herrn Bürgermeister auch!

BÜRGERMEISTER zornig auf und ab gehend. Ich will ihm was predigen! Ich will ihm was geben! Seine Frau geht neben ihm her.[279]

FRAU BÜRGERMEISTER. Mach es nicht noch ärger! Es ist schlimm genug.

BÜRGERMEISTER. Das lasse ich mir nicht gefallen!

FRIEDA. Und das vom Schlosser Gruber wißt's vielleicht auch noch net.

BÜRGERMEISTER bleibt stehen. Was ist mit dem Gruber?

FRIEDA. Der hat auch net mittan, weil er die Arbeiten fürs Rentamt hat und mit der Regierung gut steh' muß.

BÜRGERMEISTER. Unsinn!

FRIEDA. Ja, Unsinn! Der Pedell von der Realschul soll bereits entlassen wor'n sei, weil er mitg'sungen hat.

BÜRGERMEISTER. Wer bringt denn die Dummheiten alle auf?

FRAU BÜRGERMEISTER. Wenn die eigenen Verwandten solche Geschichten herumtragen!

FRIEDA. Tut's nur net so beleidigt! I erzähl' ja bloß, was i hör'.

BÜRGERMEISTER. Und hilfst noch brav mit!

FRAU BÜRGERMEISTER. Es ist genug, wenn die fremden Leute jede Kleinigkeit aufbauschen.

FRIEDA. No, weißt, Anna, gar so a Kleinigkeit is das net, wenn der Minister gleich krank werd vor lauter Aufregung und sein Abschied nehmen muß.

BÜRGERMEISTER. Wer ist krank geworden?

FRIEDA. Der Minister. Der Bürgermeister lacht gezwungen. Ja, das is schon wahr! Da brauchst net lachen!

BÜRGERMEISTER wütend. Herrgott! Seid ihr alle miteinander verrückt?

FRIEDA. Da müßt i scho bitten. Und überhaupts ... Der Major tritt rasch von links ein; er hält eine Zeitung in die Höhe.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 278-280.
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