Roßhalde

[208] Wer Hermann Hesse lieb hat, den wird dieses Buch (aus dem Verlag S. Fischer) sehr interessieren. Hesse ist jetzt siebenunddreißig Jahre alt und der ›Camenzind‹ lange her. Hesse hat die Welt seines erfolgreichsten Buches noch ein paar Mal gestaltet, und jedes Mal stärker, bewußter; am schönsten wohl im ›Diesseits‹, im ›Heumond‹.

Nun hat er sich gewandelt: er ist älter geworden, und es bereitet sich da irgend etwas vor. Wenn nicht vorn auf dem Titelblatt der Name Hesse stünde, so wüßten wir nicht, daß er es geschrieben hat. Das ist nicht unser lieber, guter, alter Hesse: das ist jemand anders. Eine Puppe liegt in der Larve, und was das für ein Schmetterling werden wird, vermag niemand zu sagen. Es ist schön, daß jemand im besten Mannesalter noch einmal frische Triebe ansetzt und wieder neue Blüten entfalten läßt.

[208] Noch ist nichts fertig. Noch sind, was wir bei Hesse kaum gewohnt waren, manche Gestalten ein wenig schemenhaft und blaß. So das ganze Lager der Frau Veraguth und sie selbst, zu der nicht die Sympathie des Autors neigte. Diese Ehe zerfällt in zwei ungleiche Teile: auf der einen Seite eine schwerlebige Frau und ein Sohn, die nur auf dem Papier stehen; auf der andern ein prachtvoller Mann und der Freund dieses Mannes. Als ich das Buch, das den Zerfall dieser Ehe schildert, zu Ende gelesen hatte, empfand ich das Ganze als ein Einleitungskapitel zu einem großen Werk. Wie Veraguth nach dem Tode seines geliebten jüngern Sohnes in die Fremde geht, zu seinem Freunde nach Indien, was nun folgt – das will ich wissen. Und Hesse ist wie dieser Veraguth: er hat die heimatlichen Zelte abgebrochen und geht – wohin?

Die Hand ist noch die des Meisters. Was wir von je an ihm so liebten und bewunderten: die starke Kraft und Sinnlichkeit seiner Sätze – das ist wieder da. Er kann, was nur wenige können. Er kann einen Sommerabend und ein erfrischendes Schwimmbad und die schlaffe Müdigkeit nach körperlicher Anstrengung nicht nur schildern – das wäre nicht schwer. Aber er kann machen, daß uns heiß und kühl und müde ums Herz ist.

Und noch eins: es freut einen so sehr, daß in diesem Buch, nachdem man uns über Gebühr mit läppischen Liebesgeschichten gelangweilt hat, einmal wieder der Wert einer rechten Männerfreundschaft aufgezeigt wird. Es ist ja in den großen Städten fast nicht mehr möglich, von solchen Dingen zu sprechen, ohne häßliche Nebengeräusche zu veranlassen. Da möchte man Hermann Hesse danken, daß ers uns wieder einmal geschrieben hat, wie fest dieses Band zwischen zwei Männern sein kann, gesponnen ohne hinterhältige Absichten, ohne Herrschsucht, geknüpft von Individualität zu Individualität, von Mensch zu Mensch.


  • · Peter Panter
    Die Schaubühne, 23.04.1914, Nr. 17, S. 485.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 208-209.
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