Keinen Mann und keinen Groschen –!

[424] Man denke sich einen Feuerwehrhauptmann, der allwöchentlich in der Stadtverordnetensitzung seines Heimatortes aufmuckt und folgende Rede hält:

»Wir Feuerwehrleute sind die ersten im Staate! Ihr habt für uns zu zahlen, daß euch die Knochen knacken! Wer nichts bewilligt, ist ein Schuft! Wir, die Feuerwehrleute, geben den Ton bei euch an! Wir Feuerwehrleute allein haben den echten deutschen Geist! Wir, wir, wir –!«

Spräche er so, so klopfte ihm nach der zweiten Ansprache sicherlich ein verständiger Mann auf die Schulter und sagte: »Lieber Herr Hauptmann! Regen Sie sich wieder ab! Die Feuerwehr ist eine Notwendigkeit, denn mal brennt es immer irgendwo. Aber dafür, daß Sie Ihre sicherlich schwere Pflicht tun, bekommen Sie bezahlt – Sie sollen auch die Gerätschaften haben, die Sie brauchen. Was aber den echten deutschen Geist betrifft, die Gesinnung und alles das . . . das ist nicht Ihre Sache. Tun Sie Ihre Pflicht, überlassen Sie den Bürgern und Steuerzahlern, was die für Ihre Feuerwehr ausgeben wollen, und im übrigen: schweigen Sie.«

So spräche ein Mann mit seinen fünf gesunden Sinnen.

Dieselben Reden wie die eines aus dem Leim gegangenen Feuerwehrhauptmanns hören wir ständig von unsrer Reichswehr. Nur liegt da die Sache weitaus schlimmer.

Von Geßler wollen wir nicht ernsthaft reden. Der Mann ersetzt, was ihm an Macht in seinem Bereich fehlt, durch Unverfrorenheit im Auftreten jenen Parlamentariern gegenüber, die es nicht besser verdienen, weil sie sichs gefallen lassen. Der wahre Reichswehrminister heißt Hans von Seeckt.

Wenn wir Seeckt den besten deutschen Politiker nennen, so heißt das zunächst nicht viel, denn ernsthafte Rivalen hat er nicht. Er ist aber nicht nur der Mann, der mit der weitesten Sicht seit Jahren unbeirrbar auf sein unheilvolles Ziel zustrebt, sondern er ist der Mann, der, völlig befangen in der kaiserlichen Offizierserziehung, die Interessen seiner Kaste, nicht die seiner Person, über die wahren Interessen seines Landes setzt. Geht das so weiter, ist uns der Krieg im Osten sicher.

Zur Zeit des Noske, vor dem Kapp-Putsch, acht Tage vor der Ermordung Rathenaus habe ich mich jedesmal wegen ›Unkens‹ auslachen lassen, und wer sich die Mühe nehmen will, die alten Nummern der ›Weltbühne‹ nachzulesen, kann das feststellen. Ich bin bereit, auch dieses Mal mitanzusehn, wie die Herren Realpolitiker die Achseln zucken werden – das beweist aber, wie richtig unsere Politik ist. Und dies ist unsere Politik:

[424] In einer Zeit, in der wir in Deutschland nicht Geld genug haben, um tuberkulöse Arbeiterkinder zu versorgen, um Notwohnungen zu bauen – in einer Zeit, die selbst dem, der arbeitet und arbeiten will, grade das knappe Auskommen gibt, ohne die leiseste Garantie, was denn nun im Alter mit ihm werden wird – in einer Zeit, in der alle kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Nation aufs äußerste gefährdet und darniederliegen – in einer solchen Zeit scheint es mir ein verbrecherischer Wahnsinn, die Militärausgaben fortlaufend von Jahr zu Jahr zu steigern.

Das Heer, so wie es da ist, mit seinen 100000 Mann (offiziell), mit seinem Mangel an Flugzeugen und schwerer Artillerie (offiziös) – dieses Heer ist für einen Angriffskrieg, ja, selbst für einen Verteidigungskrieg gegen eine gerüstete Macht nach außenhin vorläufig unbrauchbar. Nun will Seeckt zweierlei:

Er sagt in seinen Erlassen deutlich, daß er auf seinen Kriegsschulen mit einem Heer rechnet, wie es sein könnte und sein sollte – aber nicht, wie es ist. Er schafft zweitens eine entsetzlich gefährliche Waffe, gefährlich in den Händen der Arbeitergegner, denen schon der zahmste Demokrat als Umstürzler erscheint. Die Waffe hat schon zweimal zugeschlagen: in Sachsen und Thüringen. Jeder der Geschlagenen weiß, wie es damals zugegangen ist.

Ich rede gar nicht von dem überheblichen Ton, in dem uns immer wieder versichert wird, daß uns der Geist von Sedan not täte, daß die Armee dazu da sei, den Deutschen ein Ideal vorzuleben, und nicht von andern schönen Lesebuchphrasen, mit denen man höchstens einem nationalen Studenten der Juristerei imponieren kann. Ich rede hauptsächlich von dem, was bezahlt werden soll.

Der Heeresetat jeden Jahres ist ein Musterbeispiel von Verworrenheit und unübersichtlichem Kram. Es gibt kaum zehn Parlamentarier, die überhaupt wissen, was sie da bewilligen – weil sie viel zu faul oder zu fleißig, auf alle Fälle zu überladen und zu falsch beschäftigt sind, um diesen gradezu ungeheuerlichen Etat wirklich durchzuarbeiten. Daß die sozialistische Partei ihn nicht, schon als Geste gegen Seeckt und dessen Untergebenen Geßler, ablehnt, zeigt, wie volksfremd dieses Parlament geworden ist. Wir wollen ihm ein bißchen unter die Arme greifen.

Genau so, wie das Parlament mit seinem Kuhhandel um den Volksentscheid den klaren Willen der Massen, die es doch vertreten soll, verfälscht, genau so wenig kümmert es sich um uns, die wir es ja erst delegiert haben, um unsern Willen, das Heer betreffend. Unser Wille ist klar.

Wir wollen keinen Krieg.

Wir wollen keine sinnlosen Milliardenausgaben für eine Sache, die uns kulturfeindlich erscheint, deren einzelne Vertreter ehrenhafte Leute[425] sein mögen, die aber im ganzen nichts als Unheil im Reich anrichtet. Wir arbeiten nicht dafür, daß die Offiziere morgens, nach alter schlechter Sitte, von ihrem Burschen begleitet, spazieren reiten können; wir arbeiten nicht dafür, daß Zehntausende von jungen Bauernsöhnen von nützlicher Arbeit abgehalten werden und unproduktiv ihr Leben in einem geschäftigen Müßiggang verlungern; wir arbeiten nicht dafür, daß der Kasernenhofgeist in Familien und Gemeinde dringt – und wir arbeiten nicht für den Mord. Wir haben das satt.

Und so gewiß, wie wir uns abwenden, wenn die »Militärmusik mit blitzenden Instrumenten forsch, daß einem das Herz im Leibe lacht«, dahermarschiert, so gewiß wenden wir uns von einem Mechanismus ab, dem wir sittliche Werte überhaupt absprechen und der der Feuerwehr weit, weit unterlegen ist. Diese Leute verhüten das Feuer nicht. Sie bereiten es vor.

Und weil das Parlament schläft und sich in Geschäftsordnungsdebatten erschöpft, wo es zu handeln gilt – deshalb wollen wir die Steuerzahler aufklären, damit endlich einmal Ordnung in den Laden kommt. Ich habe absichtlich nicht von dem gesprochen, was in Geßlers Häusern und Lagern in den letzten Jahren vor sich gegangen ist. Selbst, wenn um die Schwarze Reichswehr nicht Hunderte von Menschen unschuldig ins Zuchthaus gegangen wären, selbst, wenn niemand ermordet worden wäre, lehnen wir die Reichswehr ab, die wir nicht nötig haben.

Es ist nicht wahr, daß die Welt über uns herfallen wird, wenn wir kein Heer mehr besitzen; kein Heer wird sie davon abhalten, nicht einmal die Maschinerie des kaiserlichen Heeres hat das vermocht. Die Armee ist heute in Deutschland politischer Selbstzweck.

Und im Namen der Mütter, die den nutzlosen Tod ihrer für einen Dreck gefallenen Söhne beweinen, im Namen jener Millionen junger Menschen, die von diesem aberwitzigen Tun genug haben und den einfachsten Steinklopfer höher schätzen als einen Telefongeneral – im Namen aller dieser wehren wir uns gegen die Vergeudung unsrer Steuergroschen, die man uns abpreßt, und rufen:

DIESER REICHSWEHR KEINEN MANN UND KEINEN GROSCHEN –!


  • · Ignaz Wrobel
    Das Andere Deutschland, 01.05.1926.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 424-426.
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