Das Ideal


[269] Ja, das möchste:

Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,

vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;

mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,

vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –

aber abends zum Kino hast dus nicht weit.


Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:


Neun Zimmer, – nein, doch lieber zehn!

Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,

Radio, Zentralheizung, Vakuum,

eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,

eine süße Frau voller Rasse und Verve –

(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –,

eine Bibliothek und drumherum

Einsamkeit und Hummelgesumm.


Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,

acht Autos, Motorrad – alles lenkste

natürlich selber – das wär ja gelacht!

Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.


Ja, und das hab ich ganz vergessen:

Prima Küche – erstes Essen –

alte Weine aus schönem Pokal –

und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.

Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.

Und noch ne Million und noch ne Million.

Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.

Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.[269]


Ja, das möchste!


Aber, wie das so ist hienieden:

manchmal scheints so, als sei es beschieden

nur pöapö, das irdische Glück.

Immer fehlt dir irgendein Stück.

Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;

hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –

hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:

bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.


Etwas ist immer.


Tröste dich


Jedes Glück hat einen kleinen Stich.

Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.

Daß einer alles hat:

das ist selten.


  • · Theobald Tiger
    Berliner Illustrirte Zeitung, 31.07.1927, Nr. 31, S. 1256.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 269-270.
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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

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