Geheimnis

[359] Jüngst betraf mich ein Japaner,

und in des Gespräches Wellen,

als wir von Matrosen sprachen,

ließ er ein klein Wörtlein fallen:

›Skibi‹.


»Was bedeutet das, Geehrter?«

fragt ich leicht und glatt und höflich.

»Nie noch hört ich diese Silben:

Skibi –?


Ists ein Laster? Ein Gesellschafts–

spiel? Kann man es konsumieren?

Tun Matrosen es? Mit wem wohl?

Skibi –?«


Der Japaner nickte höflich,

lächelte und schwieg. Und seitdem

hockt auf mir der Skibi-Wahnsinn.

Skibi! zwitschern alle Spatzen.

Skibi-skibi! gellt die Hupe.

Und die Stadtbahn-Wagenachsen

rattern: Skibi-skibi-skibi . . . ![359]


Skibi! piept die Bodenmaus.

Und so sieht die Sonne aus:


Geheimnis

Traurig krauche ich durchs Leben.

Kann mir niemand Rettung geben?

Auf, nach Japan laßt mich fahren,

seekrank, heiß, mit Möwenscharen,

wochenlang in Schiffsbewegung,

II. Klasse (mit Verpflegung) –

Und ich seh nicht Palästina,

Indien nicht an und China –

Bombay nicht und nicht Kalkutta,

in Port Said die Kuppelmutter . . .

Ungegessen, ungeschlafen,

fahr ich.


Auf dem Quai im Japan-Hafen

spring ich auf den ersten besten,

halt ihn an am Knopf der Westen –

schreiend frag ich:

»Was ist Skibi –?«


Der Japaner, kalten Blutes, spricht:

»Das fragt man nicht. Man tut es.

Skibi-skibi-skibi-skibi –!«


In die Heimat fährt ein Greis.

Stumm. Zerbrochen. Haar schlohweiß.

Geht ins Kloster als Trappist,

weil er nicht weiß, was Skibi ist.


  • [360] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 01.11.1927, Nr. 44, S. 673, wieder in: Mona Lisa.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 359-361.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon