Kino privat

[111] Für Emil Jannings


In vielen Prokuristen steckt ein Perser-Schah,

der ruht, verzaubert. Aber manchmal, im Büro,

wenn schläfrig nebenan die Schreibmaschinen schnattern,

so kurz nach Tisch . . . schlägt er im Traum die Augen auf

und atmet.

Dreimal klatscht er leise

in die Hände. Ibrahim erscheint

und kreuzt die Arme, neigt sich, schweigt.

»Die Mädchen!« sagt der Prok . . . der Schah.

Und sieben Mädchen trippeln

um ihn herum, jung, schlank, mit Öl gesalbt,

und eine ist dabei, feist wie ein praller Sack.

Der Schah versinkt in Weiberfleisch, in Brüste, die ihn streicheln,

er weiß nichts mehr, sieht rot, ist sieben Male Mann . . .

Wach auf, Gehirn! Das Hirn erwacht,

und aller Unflat, den er je gelesen

und je erträumt, bricht aus dem Prokuristen-Schah.

Er schaut, er schmatzt, er schmeckt, er wittert . . .

»Fatme! Suleima! Ah, du bist . . . «

Entzwei

reißt ihn ein Klingellaut, der hart verzittert.

Schah ab. Der Prokurist:

»Hier Lützow siebenundsiebenzignulldrei!

Am Apparat. Der Skonto? Wie gewöhnlich!

Na, unser Doktor Freutel hat persönlich . . .«


In vielen Angestellten wohnt ein Dschingis Khan,

der schläft, verzaubert.

Aber manchmal, wenn

der launenhafte Chef den Angestellten piesackt,

bis dem die Galle hochsteigt, bis er kocht

und bis er platzt –: dann steht der Kriegsmongole

wild in ihm auf. Er stürzt sich auf den Chef,[111]

pfeift seinen Leuten, und die packen

den Herrn Direktor, binden ihn mit Lassos

und werfen ihn auf ihre Pferde,

nein: er wird am Sattel festgebunden

und muß nun laufen. Laufe! Willst du laufen!

Du Hund! Die Peitsche saust. Es stöhnt der Chef!

Dann wirbeln ihn die Reiter auf die Erde

und schneiden ihm . . . nein: nadeln ihn . . .

nein: braten ihn in Kohlenfeuer

und streuen Salz und Pfeffer in die Wunden.

Und Mostrich.

Und der Dschingis Khan

streicht seinen Seidenbart und lächelt: »Na, Herr Zaschke . . .?«

Und während der Gefangene sich am Boden ringelt,

ergreift der Dschingis Khan den vollen Silberhumpen,

tut einen tiefen Schluck . . .

»Der Alte hat geklingelt!«

»Sie! Könn Sie mir nicht Ihre Zinstabelle pumpen?«

– »Gewiß, Herr Direktor!

Jawohl, Herr Direktor Zaschke!

Bis morgen früh, Herr Direktor!

Seppfaständlich, Herr Direktor –!«


So laufen manche Filme tief in Finsternissen.

Kino privat. Der Regisseur siegt immer über das Geschick.

Du lächelst, Lottchen. Und ich möchte gerne wissen:

Was denkst du dir in diesem Augenblick?

Du machst dir viele Filme aus den Dingen.

Das tun sie alle. Laß sie ruhig drehn.

Denn sagts der andre nicht wie Götz von Berlichingen –:

das, was er denkt, kann man zum Glück nicht sehn.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 15.04.1930, Nr. 16, S. 589, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 8, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 111-112.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon