Innhalt

Erster Brief

[217] Der Weise kann überall fröhlich seyn: sein wahres Vergnügen ist nicht an den Ort, noch an die Abwechslungen[217] des Glückes gebunden, folglich auch seine Glückseligkeit nicht. Denn Vergnügen ist das Wesen der Glückseligkeit, die entstehet, wenn wir alle unsere natürliche Begierden mit Vergnügen erfüllet sehen, und von allem Schmerz befreyet sind. Dieß scheint Epicurs Wollust zu seyn, worunter er vermuthlich nicht bloß sinnliches Vergnügen verstanden hat, welches nicht den ganzen Menschen, also nicht vollkommen, glücklich macht. Obgleich der Mensch dieser vollkommenen Glückseligkeit in seinem dermaligen Zustande nicht fähig ist; so muß er ihr doch nahe zu kommen suchen. Er kann schon glückselig heißen, wenn das Vergnügen die schmerzhaften Empfindungen nur merklich übertrift. Daß aber Vergnügen ein Zweck der Natur sey, lehrt uns ihre ganze Einrichtung. Wir sind bloß unglückselig, weil wir uns nicht zu erfreuen wissen.

Zweyter Brief

Wer sich immer erfreuen will, muß zuerst die Summe seines Vergnügens zu vermehren suchen. Dieß kann er nicht ohne Weisheit und Tugend. Er sey also weise und tugendhaft, und forsche der Wahrheit nach: so hat er eine Quelle der edelsten und reinesten Freuden. Außer dem und bloß durch sinnliche Ergötzungen ist kein allgemeines und dauerhaftes Vergnügen zu erlangen. Diese letztern sind den Menschen nicht verboten: aber in deren Genuß müssen sie der Natur folgen, Misbrauch, Uebermaaß und[218] falschen Witz vermeiden, und dabey die höhern Ergötzungen der Seele bey Zeiten vorzüglich lieben.


Dritter Brief

Wer immer fröhlich seyn will, muß ferner die schmerzhaften Empfindungen zu verhüten, oder doch zu vermindern suchen. Das erste geschieht, wenn er sich durch die Weisheit in den Stand setzet, daß seine Begierden erfüllet werden können, wenn er daher die überflüßigen Begierden sich vom Halse schafft, die niedern Güter sich nicht als nothwendig vorstellt, und dagegen die edlern und wesentlichen zu seinem Augenmerke macht. Das andere geschieht, wenn man sich nicht thöricht fürchtet, durch Ungeduld nicht übel ärger macht, und sich vornimmt, was sich nicht ändern läßt, standhaft zu ertragen. Dieser Vorsatz wird durch den Gedanken, daß ein weiser und gütiger Gott die Welt und unser Schicksal regieret, belebet und befestiget. Diese Regierung Gottes kann aus seinen und der Geschöpfe Eigenschaften bewiesen werden. Und weil unter einer göttlichen Regierung alles, was ist, im Zusammenhange recht ist; so wirkt die Ueberzeugung von dieser Wahrheit eine freudige Beruhigung in den Widerwärtigkeiten des Lebens.


Vierter Brief

Durch die Gründe der Weisheit zur Standhaftigkeit, wenn sie auf das gegenwärtige Leben eingeschränket werden, wird der Zustand eines dauerhaften Vergnügens, unter allen Arten von Leiden, nicht wirklich gemacht. Die Unsterblichkeit der Seele und ein anderes Leben wird von[219] der Vernunft erkannt, aber nur wahrscheinlich, unsicher und mühsam. Die Offenbarung der Religion setzet sie außer Zweifel, und erweitert unsere Aussichten. Indem sie uns lehret, daß dieses Leben nur ein Zustand der Prüfung, und ein besserer Zustand der Tugendhaften künftig sey: so setzt sie uns in den Stand, die Widerwärtigkeiten des kurzen Lebens, in welchen das Glück einer Ewigkeit gegründet ist, die Leiden der Zeit, den Verlust der Glücksgüter und unserer Freunde zu ertragen, den Tod selbst nicht zu fürchten, sondern uns darauf zu freuen, und auf diese Weise immer fröhlich zu seyn.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 217-220.
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