Erste Szene

[244] WOLFRAM.

Wohl wußt ich hier sie im Gebet zu finden,

wie ich so oft sie treffe, wenn ich einsam

aus wald'ger Höh mich in das Tal verirre.

Den Tod, den er ihr gab, im Herzen,

dahingestreckt in brünst'gen Schmerzen,

fleht für sein Heil sie Tag und Nacht: –

o heil'ger Liebe ew'ge Macht!

Von Rom zurück erwartet sie die Pilger;

schon fällt das Laub, die Heimkehr steht bevor.

Kehrt Er mit den Begnadigten zurück? –

Dies ist ihr Fragen, dies ihr Flehen, –

ihr Heil'gen, laßt erfüllt es sehen!

Bleibt auch die Wunde ungeheilt, –

o würd ihr Lindrung nur erteilt!


Als er tiefer in das Tal hinabsteigen will, vernimmt er den Gesang der Pilger und hält an


ELISABETH erhebt sich, dem Gesange lauschend.

Dies ist ihr Sang. – Sie sind's! Sie kehren heim!

Ihr Heil'gen, zeigt mir jetzt mein Amt,

daß ich mit Würde es erfülle!

WOLFRAM während der Gesang sich langsam nähert.

Die Pilger sind's; – es ist die fromme Weise,

die der empfangnen Gnade Heil verkündet.

O Himmel, stärke jetzt ihr Herz

für die Entscheidung ihres Lebens!

DIE ÄLTEREN PILGER aus großer Ferne sich langsam der Bühne nähernd.

Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen,

und grüßen froh deine lieblichen Auen;

nun laß ich ruhn den Wanderstab,

weil Gott getreu ich gepilgert hab.[244]

Durch Sühn und Buß hab ich versöhnt

den Herren, dem mein Herze frönt,

der meine Reu mit Segen krönt,

den Herren, dem mein Lied ertönt!


Hier betreten die Pilger die Bühne von rechts her, im Vordergrunde; sie ziehen während des Folgenden an dem Bergvorsprunge vorbei langsam das Tal entlang dem Hintergrunde zu


Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden,

er geht einst ein in der Seligen Frieden;

vor Höll und Tod ist ihm nicht bang,

drum preis ich Gott mein Lebelang.


Bereits dem Hintergrunde zugewendet, sich allmählich entfernend


Halleluja! Halleluja in Ewigkeit!


Sich immer mehr entfernend und endlich durch die Talöffnung nach rechts verschwindend


Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen,

und grüßen froh deine lieblichen Auen!

Nun laß ich ruhn den Wanderstab ...

ELISABETH die von ihrem erhöhten Standpunkte aus mit großer Aufregung unter den vorüberziehenden Pilgern nach Tannhäuser geforscht hat, in schmerzlicher, aber ruhiger Fassung.

Er kehret nicht zurück!


Sie senkt sich mit großer Feierlichkeit auf die Knie


Allmächt'ge Jungfrau! Hör mein Flehen!

Zu dir, Gepries'ne, rufe ich!

Laß mich im Staub vor dir vergehen,

o! nimm von dieser Erde mich!

Mach, daß ich rein und engelgleich

eingehe in dein selig Reich!

Wenn je in tör'gem Wahn befangen

mein Herz sich abgewandt von dir,

wenn je ein sündiges Verlangen,

ein weltlich Sehnen keimt in mir: –

so rang ich unter tausend Schmerzen,

daß ich es töt in meinem Herzen. –

Doch, konnt ich jeden Fehl nicht büßen,

so nimm dich gnädig meiner an!

Daß ich mit demutvollem Grüßen

als würd'ge Magd dir nahen kann, –

um deiner Gnaden reichste Huld

nur anzuflehn für seine Schuld!


Sie verbleibt eine Zeitlang wie in andächtiger Entrücktheit;[245] als sie sich dann langsam erhebt, erblickt sie Wolfram, welcher sich ihr nähert, um sie anzureden. – Sie bittet ihn durch eine Gebärde, nicht mit ihr zu sprechen


WOLFRAM.

Elisabeth, dürft ich dich nicht geleiten?


Elisabeth drückt ihm abermals durch Gebärden aus: sie danke ihm und seiner treuen Liebe aus vollem Herzen; ihr Weg führe sie aber gen Himmel, wo sie ein hohes Amt zu verrichten habe – er solle sie daher ungeleitet gehen lassen, ihr aber auch nicht folgen. Sie besteigt die halbe Berghöhe und verschwindet allmählich auf dem Fußsteige, welcher

auf dieser nach der Wartburg führt, nachdem man ihre Gestalt lange noch in der Entfernung erblickt hat. – Wolfram, der Elisabeth lange noch mit den Augen verfolgt hat, setzt sich am Fuße des linken Talhügels nieder und beginnt auf der Harfe zu spielen


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 244-246.
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