Die vierundfunfzigste Fabel.

Vom alten kranken Man.

[273] Ein alter man war wol betagt,

Der den hust jemmerlichen klagt,

Und so gar heftig quelen tet,

Daß er für onmacht lag zu bet.[273]

Ein meidlin het, seinr tochter kind,

War wol erzogen, höflich gsinnt,

Welchs doch nit ist bei viln gemein,

Sonderlich wenn sie sein so klein,

Denn es war nur im vierten jar;

So wolts doch seinen dienst nit spar.

Beim großvatter blieb tag und nacht,

Mit schwatzen im vil kurzweil macht.

Einsmals aus lieb den alten bat,

Sprach: »Großvatter, sagt, was euch schad,

Daß ir so ser und schwerlich hust,

Darumb zu bett auch ligen must?«

Er sprach: »Liebs kind, den fel ich hab,

Het ich ein kraut, das heißt jar ab,

Und daß mirs der könt minder machen,

So wer gut rat zu disen sachen.

Die jar han mich zu ser beseßen,

Und hab vil ostereier geßen,

Dieselben mir den schaden tun.«

Es sprach: »Eßt liebr dafür ein hun,

Und eßt doch nit mer ostereier.«

In dem hat von dem dorf ein meier

Ein großen korb voll eier bracht.

Das kind sich heimlich zuhin macht

Und warf dieselben eier frisch

Rab auf die erd hoch von eim tisch;

Und wo es fand ein ganzes ei,

Das trats mit füßen gar entzwei

Und sprach: »Wenn ir auch jetzt gern wolt,

So weiß ich doch, daß ir nit solt

Mein großvatter mer husten machen.«

Das hört der alt, ward herzlich lachen,

Des kindes tat gar höflich preist,

Damit es het sein lieb beweist.

Das sprichwort sagt, es sei das alter

Ein schweres maß und böses malter,

Denn on die jar so bringt es sust

Sorg, krankheit, müe und groß unlust[274]

Und ist also des lebens summen,

Drin all unfell zusamen kummen.

Damit der sachen werd ein end,

Im alter sich als stößt und wendt;

Denn von alter wird der man gro,

Und von alter wird mist aus stro,

Von alter fauln epfel und birn,

Alter macht runzeln an der stirn,

Alter macht rote wangen bleich,

Alter macht harte brüstlin weich,

Von alter wird aus eisen rost,

Von alter wird der wein aus most,

Das alter macht die augen rot,

Alter macht schimmel in dem brot,

Von alter wird runzlicht der bauch,

Von alter wird das meuslin rauch,

Von alter wird aus waßer salz,

Von alter wird gersten zu malz,

Das grün laub wird für alter fal,

Ein krauser kopf von alter kal,

Von alter wird ein stark pfert hinken,

Das alter macht den atem stinken,

Für alter wechst mos an den steinen,

Für alter wechst mark in den beinen,

Es zreißt die mauren an der stadt,

Alter macht schwarz die mülenrad,

Alter macht ratzen in den scheunen,

Alter macht neßeln bei den zeunen,

Für alter wird der wagen knarren,

Für alter wird der man zum narren,

Das alter macht waßer zu bier,

Es macht auch wol ein kalb zum stier,

Für alter werden schuh verschlißen,

Für alter wird das kleit zerrißen,

Es bringt auch maden in den käs,

Es bringt auch schaden in das häß,

Für alter wird aus waßer eis,

Alter macht schwarze rappen weiß,[275]

Für alter wird der esel treg,

Für alter wird gebant der weg,

Das alter macht aus blumen wachs,

Es macht auch wol den lein zu flachs,

Für alter wird der flachs zu tuch,

Das tuch zur bruch, die bruch zum buch,

Der walt für alter wird auch grün,

Ein jung man wird im alter kün,

Ein dick bret wird für alter dünner,

Alter macht auch aus eiern hüner,

Für alter get man bei dem stab,

Für alter get man nach dem grab,

Für alter get der topf zu scherben,

Für alter alle ding muß sterben,

Für alter mag kein ding bestan,

Für alter muß die welt zergan.

Quelle:
Burkard Waldis: Esopus. Erster und zweiter Theil, Band 2, Leipzig 1882, S. 273-276.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon